Posts mit dem Label 14. Sonstiges werden angezeigt. Alle Posts anzeigen
Posts mit dem Label 14. Sonstiges werden angezeigt. Alle Posts anzeigen

Sonntag, 25. Oktober 2020

Der Induktionsherd vs. alle anderen Modelle -> Was ist wahr, was nicht?

 


 

Das hier wird mal wieder so ein richtig schöner, kleiner Popelbeitrag live aus Papa's Staubstube, der von früher erzählt. Um genau zu sein davon, wie das damals mit dem Kochen war: Wir hatten doch nichts! Junge, wir haben noch mit Eisenplatten gekocht, ach was, mit abgerundeten Steinen als Bestrahlungsfläche für den Sonnenofen! Aber heute ist alles modern, und das merken wir vor allem an den vielen, unheimlich wichtigen Knöpfchen. Oder vielleicht auch daran, wie schnell es geht.


Ich bin kein großer Koch. Ich habe mir vor einiger Zeit das Backen angeeignet, aber das Kochen als Handwerk ist mir nur als Leistungsempfänger ein Begriff. Meine eigenen Tätigkeiten am Herd beschränkten sich bis vor drei, vier Jahren auf die guten alten Nudeln mit Soße und ab und zu mal eine Reispfanne. Das mag sicherlich auch an meiner grasierenden Faulheit liegen, welche sich in allen Bereichen meines Lebens ausgewirkt hat, aber vor allem viel meinem alten, ranzigen Eisenherd die Schuld zu. Diesen hatte ich mit 18 zur Erstausstattung erworben, wo er mir einige Zeit lang passable Dienste leistete. Dann stellte ich fest, dass Kochen und ein Mindestmaß an Komfort und Selbstachtung sich gar nicht gegenseitig ausschließen, aber... die Faulheit. Darum blieb der Eisenherd noch lange bei mir, ehe es mir dann doch endgültig reichte und ich meine Küche wieder zu mehr machen wollte als den Lagerraum für Biotreibstoff. Ich suchte, ich fand, und entschied mich, das Upgrade gleich voll auszuloten - Ein Induktionherd, ganz neu mit Ofen und allem, am Zahn der Zeit, um mich selbst wieder zum Kochen zu motivieren und vom wissenschaftlichen Fortschritt der Menschheit zu profitieren. Ich hatte Glück und schoss mir einen Induktionsherd, und es passierte, was ich erwartet hatte: Mein Kochverhalten evolutionierte sich und wurde zum verdammten X-Man meiner Alltagsroutine. Das ist ein knappes halbes Jahr her und ich werde hier ein paar Gedanken darüber teilen, wie sich der Umgang mit dieser krassen, neuartigen Scifi-Technologie gestaltet, welche Klischees wahr sind und welche nicht. 


Aber zuerst, ein Überblick für Neulinge im Kochgeschäft.





Die verschiedenen Herdarten




Nicht hübsch in Haus und Herd: Platte 

Stahlplattenherde sind der alte und im heutigen Handelsalltag beinahe ausgestorbene Standard. Zwar sind die Platten robust, verbrauchen jedoch viel mehr Strom als sämtliche andere Herdarten, und aus persönlicher Erfahrung kann ich bestätigen, wie überaus unerfreulich es ist, sie reinigen zu müssen. Über die Jahre brennt da viel ein, und man kann sich leicht VERbrennen. Eine zurecht vom Aussterben bedrohte Herdart, welche nicht in Würde gealtert ist. 




Weg mit dem Streichholz: Gasherd

 

Gut gehalten hat sich der Gasherd: Damals wie heute die schnellste Lösung, sein Essen effektiv zu erhitzen, und so viel energiesparender und umweltfreundlicher als mit jedem Elektroherd. Allerdings benötigt man einen Gasanschluss, wenn man nicht aller paar Monate eine Gasflasche wechseln will. Die Töpfe werden extrem heiß, was schmerzhaft enden kann, und die Gefahr von offenem Feuer/Gas ist natürlich auch nicht zu ignorieren.




Alle wichtigen Ceranien: Glaskeramik

 

Die Herdplatte des 21 Jahrhunderts, die von der eifrigen Hausfrau bis zum trägen Studenten alle Generationen an die Töpfe bringt. Überall günstig zu kaufen, hübsch anzusehen, schnell in der Erhitzung und recht einfach zu reinigen. Leider aber genau so leicht zu beschädigen, denn Glas ist Glas. Außerdem ist die Hitze-Regulierung sehr langsam, und wird OFFEN ausgestrahlt. Verbrennungsgefahr. Im Übrigen, etwas Trivia: 'Glaskeramik' ist der korrekte Begriff, 'Ceran' ist nur ein Markenname der Firma Schott. Und ja, das habe ich nachgelesen.





Der coole, Neue in der Stadt: Induktion

Die aktuell noch auf dem Vormarsch befindliche Induktionstechnologie ist Leuten vorenthalten, die deutlich mehr Geld auf den Tisch legen können, trumpft dafür aber mit einer komplett anderen Erwärmungstechnik auf: Magnetspulen unter den Platten sollen die Töpfe direkt von innen erhitzen, was die Oberfläche kalt belassen und das Essen im nu fertigstellen soll. Der Energieverbrauch ist zwar nicht viel geringer als der von Glaskeramik, aber die Hitze-Regulierung ist so schnell und genau wie bei keinem anderen Herd. Außerdem geht der Glaube, man bräuchte teures, spezielles Magnetgeschirr für die Benutzung. So das Hörensagen.

Bringen wir etwas Klarheit in den Induktionsherd:

 

 

 

Wie viel besser ist Induktion?

SEHR. Ich kann gar nicht genug betonen, wie unglaublich komfortabel mein Induktionsherd meinen Alltag gestaltet hat. Ja, der Anschaffungspreis war hoch, und das gebraucht, aber er war einmalig und es war die Sache jeden Cent wert. Mit Eisenplatten kochte mein Wasser mit Glück nach 20 Minuten, der Induktionsherd schafft das in 2 Minuten. Innerhalb von 10 Minuten ist mein gesamtes Abendessen fertig, aufwendigere Gerichte sicher unter 30. Verbrennungsgefahr gibt es so gut wie keine, die Oberfläche ist der von Glaskeramik sehr ähnlich und damit extrem leicht zu reinigen - was selten überhaupt nötig ist. Es besteht die Möglichkeit das Essen im Topf warm zu halten, die Hitze-Regulation reagiert SOFORT, sprich, wenn ich die Platte ausschalte ist die Hitze weg. Stelle ich keinen richtigen Topf drauf, entsteht keine Hitze und der Herd piept auch wenn er angeschaltet ist - er ist also kein Risikofaktor, auch wenn man das Abschalten mal vergisst.



Man braucht spezielles, magnetisches Kochgeschirr?

Das STIMMT nicht!! Das ist schlicht und ergreifend NICHT korrekt, sondern nur ein weit verbreiter Irrglaube. Die Magnetspulen benötigen lediglich einen metallischen Boden, in dem sie Hitze erzeugen können. Aber das Gute an Töpfen ist nunmal, dass sie fast IMMER einen Metallboden haben. Ich selbst habe keinen einzigen neuen Topf gekauft, als ich meinen Induktionsherd in Betrieb genommen habe, und 8 meiner 10 Töpfe funktionierten einwandfrei darauf. Wenn ihr nicht sicher seid, hängt einen Kühlschrankmagneten an euren Topfboden - bleibt er hängen, könnt ihr damit auf Induktion kochen.

Und keine Sorge, wenn ihr einen falschen Topf drauf stellt, sagt der Herd euch das und es passiert einfach nichts.

Dass vielerorts 'Spezielles Induktionsgeschirr' verkauft wird ist nicht mehr als eine teure Marketing-Masche. 



Die Herdplatten werden überhaupt nicht heiß?

Leider stimmt auch das nicht so ganz, wie es einem überall heiß gemacht wird. Es ist richtig, dass die Hitze im Topf selbst entsteht und die Platten darunter somit nicht heiß werden sollten. Das ist die Theorie. Die logische Praxis hingegen ist, dass ein Metalltopf der von innen erhitzt wird Wärme an den Boden unter sich abgibt und die Herdplatten somit eben doch einigermaßen heiß werden - Ehrlicherweise aber viel, viel weniger als gewöhnliche Herde. Drauf fassen möchte ich dennoch nicht.



Wie ist es mit der Reinigung?

Da es dank der hypereffektiven Hitzeregulation spotteinfach ist, einen kochenden Topf schnell runterzureuligeren habe ich so gut wie keine Spritzer auf dem Herd, auf den Platten kann nichts einbrennen und das Reinigen beschränkt sich somit auf das gelegentliche Abwischen.



Fazit - Der Induktionsherd vs. alle anderen Herde

Ich selbst kenne in der Benutzung nur die Metallplatten so wie die Glaskeramik, und der Induktionsherd ist beiden Modellen haushoch überlegen. Es ist für mich jedes Mal aufs Neue wieder beeindruckend, wie unglaublich schnell die Platten warm und später wieder kalt werden, ich muss kaum reinigen und kann, wenn ich Hunger verspüre, zehn Minuten später essen. Der Kauf des Induktionsherdes war eine meiner besten lebensqualitätstechnischen Entscheidungen, und keine Firma zahlt mir einen Cent, damit ich das mit meiner unglaublichen Reichweite sage. Nein, ehrlich - Schnell, sicher, und dank dem Tempo energiesparsam - Induktionsherde. 


Lohnt sich vor allem, wenn man öfter kocht, ein Putzmuffel ist oder Kinder im Haus hat. Wer sich den teuren Spaß leisten kann, sollte es in meinen Augen auch tun - es ist eine Investition für viele Jahre. Glaskeramik mag als Alternative passabel funktionieren, aber für mich persönlich sind die einzigartigen Vorteile der Magnetspulen viel zu spürbar, als dass ich nochmal zu einem anderen Modell zurückkehren könnte. 


Danke, dass du für mich da bist, Indie. <3 




- Yoraiko

 

 

 

 

 

Freitag, 16. Oktober 2020

Goodbye, Leipzig - Ein Tribut an die Linkshochburg des Ostens

 


 

Zwei Wochen ist es nun her, dass das Hauptquartier der Staubstube sich vom tiefen Osten in Sachsen in den erfrischenden Norden verlagert hat. Von Leipzig nach Hamburg - Ein Update auf mehreren Ebenen. 12 Jahre habe ich in Leipzig gewohnt, nun wurde es Zeit für eine Veränderung.


Hier habe ich bereits einen Beitrag darüber verfasst.


Schon jetzt kann ich sagen, dass der Umzug sich für mich vollstens gelohnt hat - Hamburg ist eine wunderbare Stadt, größer, schöner, weiter, und so ganz anders als Leipzig. So sehr ich die linke Hochburg im braunen Moor Sachsens auch schätze. Beizeiten werde ich sicherlich ein bisschen Content zu Deutschlands größter Hafenstadt machen, aber zunächst möchte ich nochmal zurücksehen. Darum habe ich einige Impressionen Leipzigs, bei Tag und bei Nacht, auf Bild gebannt, um nochmal die schöne Seite dieser tollen Stadt festzuhalten. Alle Bilder, die dabei herausgekommen sind, findet ihr HIER.



Beachtet außerdem bitte meine beiden Beiträge zu den besten Nerdstores, welche die Messestadt zu bieten hat, City Comics und Comic Combo. Solltet ihr nur ansatzweise in irgendeine Richtung popkulturell interessiert sein, sind beide Geschäfte einen Besuch wert. 


Nochmals sage ich Adieu zu Leipzig und danke für 12 Jahre gute Bewirtung. Da ich öfter unten sein werde werde ich sicherlich ausreichend Gelegenheit haben, unfaire Vergleiche zu ziehen und darüber zu schreiben oder in der Youtube-Staubstube darüber zu sprechen.



Bis dahin - Moin! 



- Yoraiko



Mittwoch, 19. August 2020

Urlaub in Hamburg und München - Impressionen, Gedanken, Stadtbilder. Spottcast-Episode. Baldiger Umzug. [VIDEO]

 

Spottcast Episode 'HM' - Hamburg und München - Gedanken, Eindrücke, Umzug  

 

 

Vor knapp einem Monat haben mein Freund Pizzajuice und ich einen einwöchigen Urlaub in den Norden und in den Süden Deutschlands übernommen - zu den jeweils populärsten Städten dieser Himmelsrichtungen. Was wir dort erlebt haben, wie die Städte sich voneinander unterscheiden und warum ich nun bald nach 12 Jahren Leipzig umziehe, hört ihr in der aktuellen Folge des Spottcastes


Falls ihr einige der zahlreichen Bilder sehen möchtet, die ich geschossen habe, findet ihr hier die Links zu den Galerien.


Hamburg:

https://postimg.cc/gallery/6XP8FzD

https://postimg.cc/gallery/Zd7MmmM


München:

https://postimg.cc/gallery/1t97xd1

 

 - Yoraiko

 

Freitag, 20. März 2020

Leipziger Manga Comic Con 2020 FEATURE




Werter Besucher oder gar charmante Besucherin,

ob du nun durch meine laienhaft zusammengeschmierten Visitenkarten, als wiederkehrender Gast, als dreist-verlinkter Cosplayer oder als morbide-interessierter Leipziger den Weg hierher gefunden hast -

Herzlich Willkommen. Wie wir alle wissen gibt es keine Buchmesse und somit auch keine Manga Comic Convention. Dies hält mich aber nicht davon ab, darüber zu schreiben und zu fotografieren, was immer mir vor den Denkapparat kommt. Ich hoffe du findest hier, wonach du suchst.
Nach dem 'Messe'wochenende des 14.+15. März werde ich Zeit haben, mein gesammeltes Material online zu stellen.

HIER wird es zum Cosplay-Feature gehen, in dem ich alle fotografierten Cosplayer zeige und verlinke. 

HIER wird es zum Allgemeinen Bericht über die Ersatz-Veranstaltungen, die Fan-Künstler, die Versammlung im Clara-Zetkin-Park und die Stimmung gehen. 

Ob noch weitere Unterartikel folgen wird sich zeigen.

Vielen Dank für deine Zeit und Aufmerksamkeit. 


- Yoraiko





Artikel, die dich auch interessieren könnten: 
- Animagic 2019 Messebericht
- Warum sollte man Japanisch lernen?! 
- Die 11 besten Manga aller Zeiten
- Die 11 besten Videospiele aller Zeiten
- Ode an die Yogurette



Freitag, 28. Februar 2020

Produktionsschule Leipzig - Mehr als Bildung, Buch und Staub, weg vom Schultisch, mit Verlaub!


Produktionsschule Leipzig 

   Mehr als Bildung, Buch und Staub,
weg vom Schultisch, mit Verlaub!




Ein leeres Klassenzimmer. Ausgestattet mit nichts weiter als zwei Kreidetafeln, ein paar Stühlen und ausgefranstem Teppichboden. Ein Mann mit fragendem Blick, der uns anleitende Pädagoge. Zehn Jugendliche. Keiner von ihnen gerne hier. Eine unangenehme Stille. Schweigen im Stuhlkreis. 2010 in Leipzig. 

Der immerhin äußerst aufgeweckt wirkende Andreas Lehmann räuspert sich, sieht uns mit großen Augen an und fragt mit unverhohlener Ratlosigkeit:

"Und, hat einer einer von euch eine Ahnung, was wir jetzt machen sollen?"


Dem folgt eine weitere, erdrückende Sprechpause. Es ist keine Übertreibung zu sagen, dass wir Jugendlichen irritiert sind. Der zerstreute Werkstattpädagoge vor uns hat sich nicht vorbereitet, hat k einen blassen Schimmer was er mit uns anfangen soll und weiß nicht einmal, warum wir uns in den traurigen Überresten eines Klassenzimmers befinden. Aber, und das merken wir ebenso schnell, er ist ehrlich. Ehrlich, aufrichtig und auf Augenhöhe mit uns - eine klassische Hierarchie existiert von Anfang an nicht.

Also beginnen wir zu reden. An unserem ersten Tag als Teilnehmer der Produktionsschule Leipzig. Vielleicht interessiert es Sie, wie ich zu diesem einzigartigen Projekt gekommen bin und was ich heute, zehn Jahre später, darüber denke. Lassen Sie es mich Ihnen in aller Kürze erzählen
.







1. Die Anfänge
2010 hing ich schulisch, familiär und sozial in den Seilen. Ich war mit meinen 15 Jahren ein großer Problemfall, hatte damit zu kämpfen, die neunte Klasse zu absolvieren und wusste nicht, wie es weitergehen soll - meine zuständige Bearbeiterin des Jugendamtes - wo immer sie gerade auch sein mag ich hoffe sie gewinnt im Lotto - hat dann aus dem Blauen heraus erwähnt, dass es da bald dieses interessante neue Bildungsprojekt gäbe, von dem sie einen Flyer gesehen hat - Produktionsschule Leipzig. Wenig interessiert machte ich bei Direktor Arne Meisel einen Termin und - na klar - verpasste ihn aus Desinteresse. Nach einem Anruf war man ohne großes Nachfragen bereit, mir einen Neuen zu geben. Diesmal erschien ich, war vom offenherzigen und bodenständigen Direktor positiv überrascht und schrieb mich für den Handel ein. Einige Wochen darauf feierte die Produktionsschule ihren ersten Tag und die dargestellte Szene im Klassenzimmer spielte sich ab. Wir begannen zu reden.

Wir stellten uns einander vor, arbeiten in der Gruppe zusammen und sammelten Ideen - jeder wurde ernst genommen, jeder Einfall besprochen. Nach zwei Tagen waren wir nur noch zu fünft, aber das war in Ordnung, die Interessierten hatten sich eingespielt, der Rest ging seines Weges. Die Idee, an den zwei vorhandenen Computern Flyer zu erstellen und in der Gegend Dienstleistungen wie Haushaltshilfen anzubieten setzte sich durch und beschäftigte uns fortan in diesem trotz aller Mühe sterilen, leeren Büroraum. Ich durfte mich als halbwegs computer-affiner Mensch mit dem Design der Flyer auseinandersetzen und abgesehen davon, dass ich mich heute alleine schon für das Layout verprügeln würde, hatte ich die zwanghafte Angewohnheit, ein - urheberrechtlich selbstverständlich höchst problematisches - Comicbildchen auf die Flyer zu setzen, um sie 'besonders' zu gestalten. Die ratlosen 'Warums' meiner Kollegen ignorierte ich und Andreas Lehmann zuckte lächelnd mit den Schultern. Wir zogen gemeinsam los und verteilten sie in der Stadt. In den folgenden Wochen erreichte uns der eine oder andere Anruf - Ein Umzug, eine Garten-Umgrabung, eine auszumistende Messiwohnung eines Strafgefangenen, ein anzubohrender Spiegel. Wir waren nicht immer kompetent, aber wir sind rausgegangen, haben verschiedene Dinge probiert und dabei mehr oder weniger effektiv zusammengearbeitet. Bei dem Spiegelschrank, den wir einer älteren Dame anbringen sollten und uns dabei recht unversiert anstellten, fragen wir uns heute noch, ob er die arme Frau nicht doch wenige Stunden nach unserem Einsatz unter sich begraben hat.


                         
Werkstattpädagoge Andreas Lehmann mit zwei Teilnehmern der ersten Generation


Abseits von der Arbeit ging es hoch her in der Anfangszeit - wie man es sich vorstellen kann, wenn man eine Handvoll problematischer und gereizter Jugendlicher in einen Raum sperrt und einen Pädagogen dazu stellt, der einen extrem, nun, liberalen Ansatz hat, was die Maßregelung dieser angeht. Unvergessen für mich die Szene, in der ein anderer Teilnehmer und ich uns vor versammelter Mannschaft auf der Treppe der Produktionsschule wegen einer Lappalie in den Haaren hatten, bis Direktor Arne Meisel selbst dazwischen ging und uns ordentlich die Köpfe wusch. Unvergessen für Andreas Lehmann und mich, wie ich im Frust einen Apfel aus unserem Klassenzimmer im zweiten Stock geworfen und damit unbeabsichtigt einen Teilnehmer des nahen BvJ an den Kopf getroffen habe - Keine Sorge, ihm ging es gut und ich bekam eine verdiente Standpauke, die sich gewaschen hatte. Es war nicht immer einfach, wirklich nicht, weder für uns Teilnehmer noch für die Pädagogen der Produktionsschule, die tagtäglich eine Engelsgeduld mit uns bewiesen. Aber es war diese unvollkommene, ehrliche und zwanglose Art, die uns alle irgendwie zusammen schweißte und sich bei uns auf lange Sicht einprägte.



2. Der große Umschwung
Eine Entwicklung heraus aus unserem Hamsterkäfig im Produktionsschulgebäude gab es endlich, als man sich entschied, eine nahegelegene Kleiderkammer zu übernehmen und sie in unsere Verantwortung zu geben - mit großer Vorfreude, endlich eine aktive und anspruchsvolle Aufgabe übernehmen zu dürfen, begaben wir uns in unser neues Wirkungsfeld und stolperten sowohl über unsere Kinnladen als auch über die sich auftürmenden Wäscheberge. Der Privatbereich der Kleiderkammer war über und über mit alten Sachen gefüllt, so dicht, dass man den Boden nicht sehen geschweige denn sich problemlos bewegen konnte. Wie Moses das Meer spalteten wir den Ozean aus Altkleidern. Zwei, drei Wochen lang misteten wir Stunde um Stunde aus, sanierten die Räumlichkeiten, strichen, richteten uns neu ein und ackerten, bis wir ein uns halbwegs angenehmes Arbeitsumfeld geschaffen hatten. Es war eine aufregende Zeit - wir sahen mit an, wie durch uns etwas entstand. Wir fanden einen Sinn für uns als Handelsabteilung, wo wir ihn vorher noch nicht kannten, weder wir Jugendlichen noch Pädagoge Andreas Lehmann. Wir verteilten die Aufgaben, fanden uns ein und wussten - Ja, das ist ab jetzt die Abteilung Handel - Die Kleiderkammer am Adler. Unsere Kleiderkammer. Und das ist sie bis heute, nach wie vor erfolgreich, wie ich höre.




3. Die Kleiderkammer am Adler 
Ich würde mich nicht als einen Mann vieler Talente bezeichnen, aber wenn es eines gibt, das ich schon immer beherrschte, ist es mein Mundwerk. Nicht wenn es darum ging, es zu halten, wohl aber wenn ich jemanden um den Finger wickeln oder mich von meiner besten Seite zeigen wollte. Da ich somit der Einzige von uns war, der sich nicht scheute, täglich Kontakt mit den Kunden der Kleiderkammer zu haben, wurde ich automatisch auf den Posten des Kassierers gesetzt, während meine Kollegen im Hintergrund arbeiteten. Es gibt zahlreiche amüsante und haarsträubende Anekdoten, die man als Verkäufer und Preisgestalter einer Kleiderkammer so sammelt, manche davon erzählen wir uns heute noch. Nun ja, eines steht fest, ich konnte alles verkaufen - Da gab es diesen Herren, der unter unseren häufigeren Kunden war und eines Vormittags eine gebrauchte Zahnbürste entdeckte, die wir nur zur Deko im Fenster stehen hatten - er erkundigte sich, ob sie denn gebraucht wäre, woraufhin ich meinen Verdacht äußerte, dass das wahrscheinlich der Fall sei, es aber dennoch eine sehr schöne Zahnbürste ist. Es war nicht ernst gemeint, schien ihn aber zu überzeugen. Verkauft. Dann gab es einen anderen Herren, der bei uns an einem gebrauchten Deoroller interessiert war - Ich schwöre, ich habe ihm nicht die Unwahrheit gesagt. Nicht direkt. Verkauft. Es gab Kunden, die beinahe jeden Tag kamen, mich kannten und dennoch immer wieder aufs Neue versuchten, den einen oder anderen Penny wegzufeilschen. Da war diese Dame, die wollte, dass ich die Schuhe putze bevor ich sie ihr gebe - was ich selbstverständlich tat. Verkauft. Ich empfahl Kindern von Kunden die neuesten Plüschtiere im Sortiment und durfte oft sogar modisch beraten. Ich kann vollen Gemüts sagen, dass ich in diesen anderthalb Jahren täglicher Kassentätigkeit im Umgang mit den verschiedensten Menschen mehr soziale, sprachliche und finanzielle Kompetenzen erworben habe, als in drei Jahren Schule zuvor.

Einer der anderen Teilnehmer der ersten Generation, Steven Henschel, ist neben mir einer der wenigen, die sich heute noch blicken lassen. Er und ich waren uns dazumal alles andere als Grün und sind uns weit mehr als nur einmal an den Kragen gegangen, aber vor einigen Wochen haben wir uns das erste Mal seit vielen Jahren wiedergesehen, uns lächelnd die Hand gegeben, in Erinnerungen geschwelgt und darüber geredet, wie es uns jetzt geht. Auch er fand ein paar Worte darüber, was die Produktionsschule für ihn bedeutete:


"Damals hing ich privat und beruflich ziemlich in der Luft. Ich war beim Netz kleiner Werkstätten des BBW, als man mich zur Produktionsschule vermittelte. Ich lernte Andreas Lehmann kennen und es funkte einfach sofort. Der Mann inspirierte und motivierte uns, so dass sich Produktionsschule für mich nicht wie eine Maßnahme anfühlte. Er war der Hauptgrund, dass ich mich in der Kleiderkammer so engagierte, er ließ einen selbstständig arbeiten, wenn er das Potential sah.

Klar hat man sich mal untereinander gestritten oder nicht jeder kam mit jedem aus. Ich war sehr verschlossen und die Anderen brachten auch so ihre Probleme mit. Aber man engagierte sich miteinander, wir hatten nur uns.

Wer das nicht wollte, der blieb gleich ganz weg. Ich aber bin froh, dass ich es durchgezogen habe. Ich kam immer gerne und tue es heute noch."



Natürlich gab es da nicht nur goldene Momente. Nein, ich hatte auch meine Schnapsideen. Unvergessen der glorreiche Einfall, unsere Kaffeekasse mit einer Spendenbox aufzubessern, auf der 'Für einen guten Zweck' stand. Ich meine, es war nicht gelogen... oder die phänomenale Idee, den Kunden eine Losbox anzubieten - Tagelang schnitten und falteten wir Lose, die pro Stück 10 ct. kosten sollten. Unnötig zu erwähnen, dass unter den etwa 300 Losen beinahe 270 Nieten waren und der Rest sich aus mageren Trostpreisen zusammensetzte, für die sich selbst der örtliche Krämer in die Fötus-Position geschämt hätte. Nein, sagen Sie nichts - Ich weiß, was Sie denken. Warum sitzt dieser Psychopath noch nicht hinter Gittern? Nun, wenig überraschend hat keiner die Dinger gekauft und als Andreas Lehmann davon erfuhr redete er uns diesen Irrsinn auch schnell wieder aus. Wagte es allerdings jemand, Kritik an der Kleiderkammer zu üben, wussten wir, was wir zu tun hatten -

Einen süßen Teddybär nehmen, ihn als Kritiker ausschildern und mit roter Farbe so wie einigen Werkzeugen bearbeiten.

Verurteilen Sie mich ruhig, es war einer jener langen Vormittage, an denen zwei gelangweilte Jugendliche mit zu viel Energie alleine in der Kleiderkammer waren und der festen Überzeugung aufsaßen, dass das doch ein irrsinnig komischer Ulk wäre. Ein Mitarbeiter des BBW sah das Schaufenster, rief verständlich-verstört Andreas Lehmann an und dieser bewegte sich bei seiner Rückkehr auf einem schmalen Grad schwarzer Belustigung und pädagogischem Entsetzen. Wir begruben das bedauernswerte Plüschtier. Aber es gibt noch immer eine außergewöhnliche Anekdote bei jedem Mittagessen her.




4. Familiäres Umfeld
Die Kleiderkammer wurde für uns der ersten Generation bald mehr als nur Arbeitsstelle und es hat seine Gründe, dass die Abteilung Handel den mit Abstand größten Anteil von Ex-Teilnehmern aufweist, die der Produktionsschule noch immer regelmäßige Besuche abstatten - Es war ein familiäres, gemütliches Umfeld. Andreas Lehmann war immer ein Pädagoge, der eine Vaterfigur für seine Teilnehmer darstellte. Er gab keine Anweisungen, er gab Vorschläge. Er maßregelte nicht, er wies auf Missstände hin. Und das immer empathisch, egal wer oder wie alt sein Gegenüber war. Unsere Arbeitsweise gestaltete sich liberal, jeder kannte seine Aufgaben und durfte auch zwischen diesen springen. Wenn jemand es mal nicht pünktlich schaffte, war das eben so. Wenn jemand einen wichtigen Termin wahrnehmen musste, wurde er weggeschickt. Wenn jemand sich im hinteren Bereich für eine Stunde ausruhen wollte, organisierten wir das. Und so leid wir das täglich verpflichtende, gemeinsame Mittagessen aller Abteilungen im Hauptgebäude anfangs auch waren, so sehr stärkte es doch das Gemeinschaftsgefühl unter Teilnehmern und Pädagogen - selbst wenn man wie ich jedes Mal nur das Ausweich-Gericht Currywurst bestellte und die sich abmühende Küche damit nach und nach in die Apathie trieb.

Unsere Kleiderkammer wuchs nach und nach zusammen, trotz unserer Differenzen, denn wir lernten uns miteinander zu engagieren. In wunderbarer Erinnerung behalten werde ich die Weihnachtsfeiern, die wir im privaten Bereich für uns veranstalteten - Wir schmückten, kauften aus eigener Tasche Essen, kochten zusammen und beschenkten uns sogar. Der Laden war dann zu und die Kleiderkammer wurde zu einer Wohnstube. Ich kann trotz meiner regelmäßigen Besuche heutzutage nicht mehr ganz abschätzen, wie sich das im Laufe der Jahre gewandelt hat, weiß aber, dass es heute natürlich nicht mehr ganz so klein, intim und gemeinschaftlich ist, wie zu Anfangszeiten - aber das ist normal, wenn ein Projekt größer wird und voranschreitet. Aber was ist das Projekt Produktionsschule eigentlich? So viel sei verraten: Es hat etwas mit Bildung zu tun. Aber Bildung ist ja nicht gleich Bildung



Jeder erlebt Bildung, Ausbildung und Schule anders, es gibt zahlreiche Umstände und Möglichkeiten, die diesen Pfad beeinflussen können. Für mich persönlich war das eben die Produktionsschule Leipzig des Berufsbildungswerkes, vielleicht die einschneidenste Erfahrung meines Lebens. Als Sozialassistent mit 25 bin ich sicherlich weit davon entfernt, die Vorzeige-Erfolgsgeschichte unserer Gesellschaft zu sein, aber ich stehe stabil im Leben, habe Arbeit und kann privat meiner Leidenschaft - dem Schreiben - nachgehen. All das wäre mit Sicherheit anders gekommen, wenn ich nicht zwei Jahre an der Produktionsschule Leipzig zugebracht hätte. Und nein, zu diesem Text hat mich niemand angestiftet und sicherlich verdiene ich keinen müden Groschen daran. Dieser Artikel entsteht aus eigener Überzeugung und als kleines, unbedeutendes Dankeschön für alles, was die Produktionsschule mir gegeben hat.


5. Unser Schulsystem 
Unser Schulsystem ist wie der Souvenir-Shop am Ende eines Zoos: Jeder geht durch, keiner nimmt was mit. Diese These ist freilich überspitzt, aber sie trifft den Kern meiner Einstellung zum heutigen Bildungssystem. Die ganze Idee von Bildung - und ich rede hier erst einmal nur von Deutschland - basiert für uns darauf, dass ein Mensch vorne an der Tafel steht, Dinge aufschreibt und sie uns erklärt. Dann schreiben wir sie auf, wenden sie in Tests an und wiederholen das bis zu unserem Abschluss. Die Sinnhaftigkeit der seit Generationen festgelegten Unterrichtsstoffe spielt dabei freilich keine Rolle - haben Sie nach Abschluss Ihrer Schulausbildung jemals wieder Ihr erlangtes Wissen in fortgeschrittener Geometrie gebraucht, falls Sie nicht in einem entsprechenden, stark spezifizierten Berufszweig gelandet sind? Oder Bruchrechnung? Vielleicht bin ich mir der ernsten, hochrangigen Stellen zu unbewusst, aber die Wenigsten können diese Frage mit Ja beantworten. Das ist allerdings ein anderes Thema, der Punkt ist - unser Bildungssystem fußt ganz und gar auf trockener Theorie.

Die Produktionsschule, die eher Schulersatzprojekt als vollblütige Bildungseinrichtung darstellt, hat mit Trockenheit nicht viel am Hut - Hier ist alles feucht fröhlich, praktisch, aktiv, sozial, ANWENDBAR. Manch einer mag es als pragmatisch zusammenfassen. Sie ist der gelebte Gegenentwurf zu einem veralteten System, das nachweisbar mehr und mehr darin versagt, unsere Jugend auf die Gesellschaft vorzubereiten - und es funktioniert. Das kürzliche zehnjährige Jubiläum so wie die Erfolgsgeschichten zahlreicher Absolventen - Zwinker Zwinker - beweisen das. Aber was genau ist Produktionsschule und warum funktioniert sie so gut?


6. Produktionsschule Leipzig

Die Grundidee der Produktionsschule zu ihrer Gründung und heute ist das (Wieder-)Eingliedern Jugendlicher und junger Erwachsener in einen geregelten Arbeitsalltag, der sich durch Wertschätzung und Fortschritt definiert. Dazu stehen die drei Arbeitsbereiche Handel, Holzwerkstatt so wie Hauswirtschaft zur Verfügung, auf die sich die Teilnehmer verteilen. Ob nun jemand noch keinen Abschluss oder keine berufliche Perspektive hat, mit der Schule nicht mehr zurecht kommt oder einfach unfähig ist, selbstständig einen geregelten Arbeitsablauf herzustellen - die Produktionsschule kümmert sich darum. Dabei versteht sie sich sowohl als Auffangprojekt sowie als Jugendhilfe und Berufsvorbereitung.

Schön und gut, das könnte im Klappentext stehen, aber was macht diese Einrichtung für mich aus? Diese Frage ist einfach damit zu beantworten, dass ein jeder Jugendlicher, der hier strandet, als Mensch wertgeschätzt wird. Er ist keine Zahl im System und kein Problemfall, den es zu bearbeiten gilt, er ist eine Person die sich einbringen kann und soll, auf seine eigene Weise. Das mag selbstverständlich klingen, wenn wir aber mal genauer darüber nachdenken wird uns klar, wie selten dieses Vorgehen ist - Effizienz und eine saubere Statistik stehen in der Prioritätenliste zumeist höher. Die Produktionsschule, die auch heute noch ein vergleichsweise kleiner, intimer Betrieb ist, hat sich nie von seiner warmen, wertschätzenden Atmosphäre gelöst, und das liegt vor allem auch an den Werkstattpädagogen - diese SIND die Produktionsschule. Vom ersten und damaligen Direktor Arne Meisel über administrative Kräfte wie Annette Jäcklein oder Katja Grosch bis hin zu den für die Teilnehmer wichtigsten Bezugspersonen, den Pädagogen - zum Beispiel der von Anfang an involvierte und auch heute noch leidenschaftliche Andreas Lehmann vom Handel, mit dem mich seit zehn Jahren eine enge Freundschaft verbindet. Ja, ich glaube es auch noch immer nicht so recht.

Diese Personen repräsentieren die Produktionsschule dadurch, dass sie ein oftmals surreales Ausmaß an Verständnis und pädagogischer Kompetenz gegenüber den jugendlichen Teilnehmern mitbringen, das mich damals schon ehrlichen Respekt empfinden ließ. Ob nun übermütige Jungspunde, die sich in einer Streitigkeit prügeln wollen, lose Münder die Schimpfwörter ausatmen wie manch anderer Sauerstoff oder ganz offen gesagt schwierige, soziale Extremfälle - statt Strafpredigten und verurteilende Blicke gibt es hier eher oft als selten die Hand auf die Schulter und ein Gespräch auf Augenhöhe.


Kein 'So redest du nicht mit mir!', sondern ein 

'Reden wir doch so miteinander wie es uns allen angenehm ist, in Ordnung?'
Kein 'Wir planen und lernen uns erst mal kennen und planen und tun dann vielleicht irgendwann...' sondern ein
'Wir MACHEN das jetzt einfach!'

Die Produktionsschule steht für Aktivität und Praxis, für Verständnis und individuelle Förderung im ursprünglichen Sinne. Das sind hier nicht nur Schlagwörter für die PR-Abteilung, hier steht der Mensch im Mittelpunkt. Leiter der Handelsbereich-Kleiderkammer am Adler, Andreas Lehmann, der in seinem nicht endenden Enthusiasmus, seinem geradezu wahnwitzigen Tatendrang und seiner beinahe kindlichen Adaptivität auf Jugendliche für mich die Idee der Produktionsschule mehr verkörpert als jeder andere, hat ein paar ganz eigene Worte darüber, was das Konzept für ihn bedeutet und ausmacht:


"Produktionsschule heißt, dass man was MACHT. Die Produktionsschule lässt gegenüber anderen Maßnahmen und Formaten, die in der Regel pädagogisch eingeschränkter sind, mehr Freiheit, Empathie und Wertschätzung zu, und damit gewinnt man eine ganze Menge bei Heranwachsenden.

'Hände aus den Taschen, ihr seid was wert.'

Ich persönlich habe auch gemerkt, dass mir das Ganze einen Heidenspaß macht, weil der Abwechslungsreichtum und die vielen Personen die ich regelmäßig kennenlerne einfach nie Ödnis oder trögen Alltag aufkommen lassen."



Als Teilnehmer der ersten Stunde habe ich zu Beginn eine persönlichere Perspektive beigetragen und damit vielleicht ein Stück weit herübergebracht, was das alles eigentlich ausmacht und warum ich die Kollegen noch heute gerne besuche. Aber daran hängt noch mehr - denn irgendwann endete meine Zeit.


7. Abschluss & Nachbetreuung
So wenig ich es wahrhaben wollte, nach 2 Jahren an der Produktionsschule näherte sich auch meine Teilnahme als letzter 'Erstling' dort dem Ende - länger durfte ein Jugendlicher nicht im Projekt verbleiben und für mich war es Zeit, mich weiter zu entwickeln. Mit großer, ausgedehnter Hilfe sämtlicher Pädagogen schrieb ich Bewerbungen, stellte mich vor, plante voraus, gelangte letztendlich auf eine Abendschule, holte in drei Jahren Haupt-, so wie Realschulabschluss nach, absolvierte eine zweijährige Ausbildung und hier bin ich nun. Aber die Nachbetreuung der Produktionsschule hatte noch ganz andere Formen.
Mit achtzehn Jahren befand ich mich vielleicht in der schwersten Phase meines Lebens. Ich hatte extreme familiäre, emotionale und finanzielle Schwierigkeiten, die mich mehr als nur einmal und über längere Zeit mit Obdachlosigkeit, Hunger, Depression und Überforderung zurückließen. Die gesetzliche Nachbetreuung eines ehemaligen Teilnehmers, die in einer solchen Form nicht mal existent geschweige denn verpflichtend für die Pädagogen der Produktionsschule gewesen wäre, wurde von ihnen als Vorwand genannt, mir zu helfen. Da wurde ich, als ich wirklich ganz, ganz unten war, mit etwas zu Essen versorgt und zu diesem und jenem Amt geschickt, um meine Situation zu verbessern. In den schlimmsten und für die Kollegen äußerst belastenden Situationen absolvierten diese Umzüge für mich, die ich sonst nie hätte bezahlen können. Sie halfen mir, eine Wohnung zu finden, unterstützten mich in meiner Erstausstattung, stellten gemeinsam mit mir die Einrichtung zusammen und transportierten diese auch gleich... ich denke, Sie verstehen. Die Kollegen und Pädagogen der Produktionsschule haben Jahre(!) nach meinem Abschluss dort Dinge für mich getan die weit über jede eventuelle gesetzliche Bestimmung hinausgehen, einfach weil es ihnen nicht egal war - ein solches Engagement habe ich nie wieder erfahren. Nicht zum letzten Mal in diesem Artikel sage ich meinen damaligen Kollegen, alten und neuen Pädagogen dafür danke. Ohne euch hätte ich es nicht geschafft.




 
Die Werkstattpädagogen der Produktionsschule in erster Generation – v.l.n.r.:
Arne Meisel, Stefan Kluge, Andreas Lehmann, Katja Grosch, Annette Jäcklein und Torsten Hempel


8. Was geblieben ist
Die Konsequenz dieser langen Historie sollte sein, dass ich emotional an die Produktionsschule gebunden war, vielleicht mehr als irgendein anderer Teilnehmer sonst. Vor allem in Andreas Lehmann sah ich einen seelenverwandten Freund, den ich heute noch regelmäßig sehe und noch immer herzlich mit ihm über stumpfe Witze lache. Nach wie vor freue ich mich, die Kollegen der Abteilungen beim gemeinsamen Mittagessen zu treffen und mich nach dem Stand der Dinge zu erkundigen. Oft werde ich auf Produktionsschul-Tage oder ähnliche Veranstaltungen eingeladen. Natürlich nicht nur ich - jeder Ex-Teilnehmer ist immer gerne gesehen und nach wie vor willkommen. Die Liste an Leuten, die die Produktionsschule absolvierten und noch immer gute Beziehungen zu ihr pflegen, ist mittlerweile beträchtlich.

Für mich war sie eine prägende Erfahrung fürs Leben, die mich psychisch, sozial, emotional und pädagogisch extrem hat reifen lassen und die ich nicht für einen saubereren Schulabschluss oder ein hochwertiges Studium eintauschen würde.



9. Fazit
Wenn Sie, werter Leser oder gar charmante Leserin, diesen langen Artikel bis hierhin aufmerksam gelesen haben, bedanke ich mich vielmals bei Ihnen. Vielleicht ist es mir gelungen, ein Stück weit die Quintessenz herauszuarbeiten, die das Thema dieses Textes sein soll:

Die Produktionsschule ist ein besonderes Projekt von sehr besonderen Menschen für besondere Menschen. Sie lässt sich nur sehr schwer mit etwas anderem vergleichen und sollte für sämtliche Bildungs-, Sozial-, und Jugendprojekte Deutschlands als Vorbild dienen, die den Anspruch erheben wollen, wertschätzend vorzugehen. Falls jemand, den Sie kennen Probleme mit seinem derzeitigen Bildungsweg zu haben scheint, desintegriert von Gesellschaft und Alltag ist oder einfach... vom Leben überfordert zu sein scheint, dann kann ich nur ehrlichen Herzens empfehlen, ihm von der Produktionsschule zu erzählen. Sollte er auch nur entfernt etwas mit dem Konzept und der Idee anfangen können, bin ich sicher, dass ihn hier eine wertvolle Erfahrung erwartet.

Leider ist das Projekt trotz seiner zehn Jahre noch viel, viel zu unbekannt - den wenigsten ist Produktionsschule ein Begriff. Das ist vor allem deswegen schade, weil andere Projekte und Bildungsformen so viel von ihr lernen könnten. Die Produktionsschule hat mir mehr vermittelt als fünf Jahre Schulzeit oder meine gesamte Ausbildung und damit bin ich kein Einzelfall. Vielleicht erzählen Sie dem einen oder anderen davon, Sie wissen schon, ein einzelner Tropfen hebt den Ozean an und so. Geben wir der Produktionsschule etwas zurück für das, was sie in den letzten zehn Jahren für unsere Jugend geleistet hat.

Ich für meinen Teil wüsste schon, wo die Million hingeht, wenn ich mal im Lotto gewinne. Aber da ich kein Lotto spiele, wird es bis dahin mit folgenden Worten genügen müssen:

Herr Arne Meisel, Frau Annette Jäcklein, Frau Katja Grosch, Herr Hempel, Herr Küche, alle Teilnehmer der ersten und folgenden Generationen mit denen ich zu tun hatte, alle Stammkunden unserer Kleiderkammer, alle sonstigen Mitarbeiter und Pädagogen der Produktionsschule und insbesondere natürlich Herr Andreas Lehmann -









Vielen Dank für Alles.


















- Yoraiko 

Dienstag, 31. Dezember 2019

Lasst alle Hoffnung fahren - Aber habt wenigstens Spaß dabei. Frohes Neues Jahr!


In meiner Funktion als tyrannischer Overlord dieses prominenten Blogs ist es mir eine Pflicht und ein Vergnügen, den zahlreichen Lesermassen der Denkblockade, wie es so gesellschaftlich Pflicht ist, ein gesundes, neues Jahr zu wünschen. 

Ich wünsche euch, dass ihr wenigstens ein oder zwei eurer Vorsätze zur Hälfte einhalten könnt, wenn ihr denn noch immer naiv genug seid, welche zu haben.

Ich wünsche euch, dass ihr eure Lebenssituation durch Tatendrang verbessern könnt, wenn ihr mit dieser unzufrieden seid - Euer Job, eure Freunde, eure Selbstentfaltung. Arbeitet daran und versucht euch aus, es kann sich lohnen. 

Ich wünsche euch, dass ihr 2020 möglichst unbeschadet und gesund übersteht - Dass ihr weder Teil irgend einer tragischen Statistik in einem kleinen Zeitungsartikel werdet, noch das Leben euch oder euren Liebsten unter Zuhilfenahme von Krankheiten oder einer erhöhten Menge Pech ins Gesicht spuckt. 

Und vor allem wünsche ich euch, dass ihr vielleicht in diesem Jahr glücklich werden könnt in einer Gesellschaft und Welt, in der wirkliche Erfüllung rar geworden ist. Wir alle kämpfen jeden Tag tapfer gegen die Welt und ihre Hürden, und es ist an der Zeit, dass auch ihr dafür belohnt werdet. Vielleicht ja 2020. 

2019 war das Jahr, in dem ich mich einer permanenten Denkblockade aussetzte. In meinem Rückblick 2019, den ich im neuen Jahr verfassen werde, beleuchte ich wie es bisher so lief mit diesem risikoreichen Selbstversuch. Aber auch jetzt und an dieser Stelle möchte ich bereits sagen -

Du, der du diesen Blog liest, mal gelesen hast oder vielleicht auch nur kennst - Danke. Seist du nun eine Person meines persönlichen Umfeldes, der ich meine Artikel um die Ohren haue oder ein verlorener Wanderer des Internets, der einen meiner Links aufgegabelt hat - Vielen Dank für deine Zeit. Dein Interesse lässt mich weitermachen und daran glauben, dass ich meinen Traum vom beruflichen Schreiben irgendwann erfüllen kann. Ich habe nie viel vom Träumen gehalten, aber ich bin bereit, diesem einen, großen Ziel auch 2020 eine Chance zu geben. Denkbloggade wird sich weiterentwickeln, ich werde das hoffentlich und sicherlich auch ihr. 

Das Beste vom Besten wünscht euch ein kleines Konsumopfer, Teilzeit-Menschending, Krickelklritzler, Möchtegernintellektueller und Charme-Degenerierter. 

Bleibt am Leben. 
Aber lebt auch.

Wir sehen uns auf der anderen Seite. 

- Yoraiko, 2019

Samstag, 21. Dezember 2019

Ich besitze jetzt ein Smartphone.


Manchmal ist es doch beeindruckend, wie uniform unsere Gesellschaft in einiger Hinsicht ist, wo uns doch in der Regel so viel unterscheidet - Niemand findet farbige Kleidung gut, alle erachten Lakritze als widerliche Ausgeburt der Süßwarenhölle, und geschlossen sind wir der Meinuung, dass Pandababies niedlich sind. Der vielleicht prominenteste Beweis dieser Konvergenz ist das Smartphone - Nichts schweißt mehr zusammen und macht doch im gleichen Moment so betroffen ein Mensch zu sein, als ein Rundumblick in einer Straßenbahn, einem Wartezimmer oder einem anderen, öffentlichen Platz - 8 von 10 Leuten haben das Kinn auf der Brust und starren auf einen Bildschirm hinab. Oder bei Veranstaltungen, Sehenswürdigkeiten oder besonderen Events - Begnügt sich der lebensfrohe Philosoph mit dem Genießen und Erleben des Spektakels, findet er um sich herum überall Roboter, die ihre Handys in starrer Aufwärtslage vor sich halten um auch ja jeden Moment ihrer Existenz festzuhalten und auf Bild zu bannen. Es ist ja geradezu, als würden sie ihre Umwelt nur noch durch eine Handykamera wahrnehmen. Da kann man sich schon mal seiner Spezies schämen.

Auch die Ohren eines Traditionellen bleiben in der schutzlosen Ausgeliefertheit der Öffentlichkeit schon seit vielen Jahren nicht mehr verschont - Hier piept eine Whatsapp-Benachrichtigung, da läutet eine Facebook-Message. Man sollte meinen, es ist eine menschenmögliche Option, das eigene Handy stumm zu schalten. Aber 'menschenmöglich' geht eben auch immer nur vom Durchschnitt aus, und die Hälfte ist sogar dümmer als das. Tja.

Verweigerer existieren noch immer - Selbstbestimme, charakterstarke Menschen zumeist etwas höheren Alters, für die der Leitsatz 'Ein Telefon muss telefonieren können' noch immer als Mantra genügt, sich nicht von diesen neumodischen, überkomplizierten Minicomputern einlullen zu lassen sondern beim guten, alten Grüngelb-Nokia zu bleiben, mit dem man auch gleich den nächstbesten Halunken krankenhausreif prügeln kann. Es braucht eine gewisse Souveränität, anders zu sein und sich einem hochgradig ansteckenden Komfort-Virus zu entziehen, der mehr und mehr ALLE um einen herum auffrisst. Diese Souveränität, das hat der Titel verraten, habe auch ich nun eingebüßt.

In meiner Teenager-Zeit hatte ich nicht viele soziale Kontakte. Oder besser gesagt, ich hatte noch nie besonders viele soziale Kontakte. Das änderte sich auch in meinen frühen 20igern nicht, weswegen ich ganz grundsätzlich den Reiz an 'Smartphones', 'Apps', 'Ständiger Erreichbarkeit' und all diesem Kokolores nie gesehen habe. Ich brauchte es einfach nicht. Auch 'Mobiles Internet' und 'Unterwegs Videos gucken' konnte für mich nicht mal im Ansatz reizvoll sein - was ich im Internet erledigen wollte, konnte ich zuhause tun. Videos konnte ich mir auf mein Pad laden oder ein Buch lesen. Warum auf einem kleinen Bildschirm unterwegs surfen? Ich war technisch immer und in jedem Gerätesegment rückständig, teils aus freiem Willen, teils aus finanzieller Not, teils aus Unwissen.

So begab es sich also, dass dieses süße, kleine Gerät hier, dass von mir den liebevollen Namen 'Klumpi' erhielt, von meinem 15. bis 24. Lebensjahr mein alleiniges Mobilphone stellte:



Damit war ich natürlich schon immer sowohl in Schule, sozialem Umfeld als auch Arbeit ein komischer Kauz, der zeitgemäßeren Persönlichkeiten ein spöttisches Lächeln aufs Gesicht zauberte. Stören tat ich mich daran wenig - Klumpi konnte Telefonieren, SMS versenden, mich wecken, war stabil und handlich. Ich war zufrieden.

Letztes Jahr im Sommer kam mit meinen 24 Sommern der große Umschwung - mein technik-affiner Freund mit IT-Ausbildung übergab mir zum Spottpreis sein nicht mehr genutztes Blackberry. Dieses hier:



Nicht falsch verstehen: Das Handy war schon deutlich älter, immer noch sehr weit weg von dem was wir gemeinhin unter Smartphone verstehen und ich nutzte es OHNE Internet. Dennoch: Es war eine neue Welt für mich. Am prägendsten für meinen Alltag war etwas ganz Profanes - Die Notizfunktion. Die Möglichkeit, immer und überall sofort etwas aufschreiben zu können, vor allem als Erinnerungshilfe, war ein bedeutender Schritt in meiner menschlichen Evolution. Bessere Anrufqualität, zumindest theoretisch verwertbare Kamerafotos, eine unheimlich, UNHEIMLICH gute und intuitive Handytastatur die jede Touch-Tastatur schlägt - ich war glücklich, im letzten Jahrzehnt angekommen zu sein. Mein Blackberry bekam den wenig klanghaften Namen 'Klumpi 2.'

Nun, vor etwa zwei Monaten, folgte allerdings fernab jedem Evolutionsgedanken eine tiefgreifende und vielleicht unvermeidbare Degeneration - Mein Sprung in die Neuzeit.Wie kams? Schon immer, immer immer immer, war ich ein neurotischer Orientierugsproblemfall. Selbst in Leipzig, einer Stadt in der ich seit 11 Jahren lebe, recherchiere ich ausgiebig im Internet jeden neuen Ort und jedes Amt, bevor ich dorthin fahre, um mich auch ja nicht zu verirren. Darum erschienen mir Smartphone-Features wie Navigations-Apps und mobiles Google schon immer wie einer der wenigen Anreize, auf den ich ernsthaft neidisch war. Und nun, da ich öfter in Deutschland umherreisen möchte, KOMME ICH NICHT DRUMHERUM, so etwas zu besitzen - Wie sonst soll ich mich in einer Millionenstadt wie Hamburg zurechtfinden? Es geht nur so, oder mit sehr, sehr viel Planungsarbeit. Außerdem war ich es vielleicht auch ein ganz klein wenig leid, allen und jeden, sei es privat oder geschäftlich, zu sagen, dass ich KEIN VERDAMMTES WHATSAPP HABE!!!!!!

Ich entschied, dass ich mich mit 25 bereit und finanziell stabil genug fühlte, bei euch allen anzukommen. Zu degenerieren. Ein Smombie zu werden. Wieder beriet mich mein Techno-Wizzard, diesmal lange und ausgiebig, bis ich mich nach viel Stress, Hin und Her und Hadern für dieses Schmuckstück entschied:



Ha, da guckt ihr dumm aus der Wäsche, was? War ich lange Zeit vorher weit hinter euch und euren ollen IPhones und Samsung Galaxies hinterher, besitze ich nun für rund 240 € das wahrscheinlich bessere Smartphone als viele von euch. HA!!!
Ich bin jetzt seit zwei Monaten Smartphone-Nutzer, und das seit einer Woche MIT Internetvertrag. Vor ein, zwei Jahren noch unvorstellbar.

Meine bisherige Erfahrung ist durchaus positiv, vor allem die vier leistungsstarken Kameras meines Handys sind eine ENORME Erleichterung, weil ich ENDLICH Fotos von mir und anderen schießen kann die nicht aussehen, als wären sie in einem Kriegsgebiet mit Granatensmog entstanden.

Wirklich bewähren wird sich 'Smartyna' allerdings erst in naher Zukunft, denn ein Kurz-Trip nach Hamburg ist geplant, eine Riesenmetropole in die ich vorher nie einen Fuß gesetzt habe, und der ich mich mit einem Mindestmaß an Vorbereitung, nur mit meiner neuen besten Freundin bewaffnet aussetzen werde. Natürlich gibt es dann auch wieder einen Beitrag darüber, man muss ja alles irgendwie verwursten.

Es wird sich zeigen, ob auch diese dritte, große Handyklasse meines bereits verwesenden Lebens Selbiges bereichern und einschneidend verändern kann, wie es einst Klumpi 2 tat, oder ob der Sprung von einem veralteten Blackberry mit überragender Tastatur zu einem hochmodernen Smartphone vielleicht doch gar nicht so groß ist. Eins steht fest, die Touch-Tastatur macht mich (TROTZ App-Verbesserung) jetztschon wahnsinnig.

Falls jemand Yoraiko, dem bodenständigen und fortschrittlichen Freizeitblogger und Teilzeit-Menschen nachahmen möchte, dies ist das Handy, für das ich mich entschieden habe - Mi 9T Lite
Gratiswerbung für Xiaomi auf diesem unfassbar erfolgreichen Blog, man glaubt es kaum.













EINER VON UNS EINER VON UNS
EINER VON UNS EINER VON UNS
EINER VON UNS EINER VON UNS
EINER VON UNS EINER VON UNS
EINER VON UNS EINER VON UNS
EINER VON UNS EINER VON UNS



Mittwoch, 11. Dezember 2019

Modern Talking ist gar nicht so schlimm.




Die Weihnachtszeit macht einen zuweilen wunderlich. Man wird sentimentaler, hat das dringende Bedürfnis hunderte Euro für pseudo-intime Freunde und Verwandte auszugeben und betet einen übergewichtigen Psychopathen an, der auf internationaler Ebene nachts in Häuser einbricht und deine fragwürdigen Tendenzen Kindern gegenüber in Form billiger Geschenke auslebt, damit diese sich auf seinen Schoß setzen und ihm Milch und Kekse servieren. Aber diese schönste Zeit des Jahres lässt einen auch hemmungsloser werden - da rollt schon mal ein unüberlegtes Geständnis über lockere Lippen.

Ich sage, was der Titel schon verraten hat, ich sags jetzt, ich spreche es aus - Modern Talking war nie so schlimm wie es gemacht wurde. Kommt, spart euch das spöttische Grinsen und das affektierte Kopfschütteln - IHR HABT AUCH EIN ODER ZWEI LIEDER VON DENEN GERNE GEHÖRT. TUT NICHT SO ALS OB DAS NICHT DEN PEINLICHEN TATSACHEN ENTSPRICHT. Niemand würde es zugeben, niemand redet gerne darüber, aber jeder treibt sich ab und zu noch in den Kommentarbereichen unter Videos wie 'Cherry Cherry Lady' oder 'You're my heart' herum, ein Ort der für Modern Talking-Nostalgiker heutzutage die Rolle einer Beichtstube zu übernehmen scheint. 


Ich habe Modern Talking als Kind gemocht. Wirklich. Und so gibt es auch heute überraschenderweise immer noch viele Lieder, die ich ganz unironisch einfach sehr, sehr gut finde und gerne anhöre. Na schön, ursprünglich hat mich meine Mutter (Hallo, Mama!) dazu gebracht, weil ich ihr immer ihren MP3-Player geklaut habe. Aber es brannte sich ein. Beschneidet mich das in meiner Männlichkeit? Na ja, auch nicht mehr als die halbnackten Animegirls an meinen Wänden oder meine Freundschaft ist Magie-Pferdeplüschtiere. Natürlich hätte ich meine Zuneigung gegenüber Dieter Bohlens und Thomas anders' Duo-Band schon damals nicht mal unter Androhung von Hochspannungs-Elektroschocks zugegeben, der Schulhof hätte mich gelyncht. Wie so vieles Buntes, Quirliges, Exotisches der 90er und 2000er galt Modern Talking unter Heranwachsenden alternativlos als 'schwul', 'bescheuert', 'peinlich' und 'Uneingeschränkt uncool'. Warum? Weil Thomas Anders' Stimme unheimlich hoch (Und unfassbar GUT!) war und die beiden ihrer Zeit geschuldet alberne Frisuren, albernere Outfits getragen und gleich NOCH MAL albernere Musikvideos produziert haben. War mir egal. War süchtig nach einigen Liedern. Bin ich heute nicht mehr, aber die Lieder die ich damals mochte haben den Test der Zeit für mich bestanden - Das ist ernsthaft gute 80er und 90er Musik. Modern Talking ist nicht von ungefähr so erfolgreich und populär gewesen, die waren schlichtweg wirklich gut, zumindest in Teilen. Es ist keine Schande für mich, das einzugestehen und Farbe zu bekennen - Nicht mehr. Ich finde Modern Talking gut und höre es gerne. So. 


Woran macht sich das fest? Bevor ich zu der erwartbaren Auflistung einiger exemplarischer Songs der ikonischen Popband komme will ich noch mal einige ihrer Aspekte außeinandernehmen. 



Das Wichtigste ist wohl Thomas Anders' (Und auch Dieter Bohlens) hohe, weiche Stimme. Es wurde ja immer gespottet (Später sogar vom dieter Bohlen-Film selbst) dass er die bekommen hat, indem ihm zwischen die Beine getreten wurde. Weil die ja so hoch ist. Haha. Der Witz geht auf euch - Denn das Lustige daran ist, dass wahrsheinlich nichts mit seiner Männlichkeit passiert ist - Der hatte tatsächlich diese unglaubliche Stimme. Ich empfinde sie heute noch als außergewöhnlich und sehr melodisch.


Außergewöhnlich waren auch die typischen Klänge eines Modern Talking-Songs - Dominiert von Piano-, und Klavierklängen erkante man ihn sofort, jederzeit, überall. Das funktioniert noch heute - Der Sound von Modern Talking ist, zum Guten oder Schlechten, relativ einzigartig und unverwechselbar. Man braucht vielleicht drei Sekunden, um ein Lied dieser Band zu identifizieren, zumindest ist das meine Erfahrung. Natürlich klingen sie untereinander alle sehr ähnlich - Macht aber nichts, wenn man den grundsätzlichen Sound mag.

In meiner etwas späteren Kindheit dann wurde der Dieter Bohlen-Zeichentrickfilm über RTL veröffentlicht, den manche von uns vielleicht noch als verschwommenen Fiebertraum im Gedächtnis haben. Ja, ich hab den als Kind geguckt. Und ich fand ihn toll, denn es war ja ein Zeichentrickfilm. Auch wenn ich da viele Inhalte... noch nicht so ganz verstanden habe, sagen wir mal so. Aus späterer und heutiger Sicht ist der Streifen natürlich unerträglich und ein furchtbares Stück satirischer Verschundung, das zu dem Zeitpunkt nicht mal Dieter Bohlen verdient hatte und das zurecht komplett untergegangen ist. ABER. Als Kind mochte ich den Film weil ich doof und cartoonsüchtig war und es fachte meine Zuneigung Modern Talking gegenüber neu an. Immerhin.

Modern Talking - Meine Lieblingssongs

Reden ist Silber, Hören ist Gold. Euch dürften so ziemlich alle der folgenden Songs weithin bekannt sein, falls ihr in den letzten dreissig Jahren mal für eine längere Zeit in Deutschland gelebt habt, aber zelebrieren wir doch zusammen ein bedeutendes Stück anrüchiger Nostalgie.

Mit 'You're my heart you're my soul' und 'Cherry Cherry Lady' haben wir gleich die Platzhirsche genannt. Ersteres schätze ich für Thomas Anders' Gesang und den eingängigen Klang, Zweiteres besticht schon mit Ohrwurm-Qualität im Refrain. JA EHRLICH. Der Rest der 'alten' Hits spielt für mich in einer anderen Liga, weit abgeschlagen, erst später in die Wahrnehmung gerückt - Geronimo's Cadilac (Es hat ewig gedauert eh ich den Titel verstanden hatte), Atlantis is calling oder Brother Louie sind im MT-Kontext auch in Ordnung, wurden aber nicht öfter gehört.

Bei den neueren Songs nach ihrem Comeback war für den heranwachsenden Yoraiko auch nochmal einiges dabei - 
Allen voran dieser Track. Gott, dieser Track. Er ist so verflucht catchy und süchtigmachend, immer noch. Das mag vielleicht mein Lieblingssong der Band im Ganzen sein. Diese Stimmen. Als Kind fand ich zudem auch das reißerische Musikvideo fantastisch, bis ich gemerkt habe, dass sich da vollkommen kontextlos halbnackte Frauen reckeln.  Genau so bescheuert, genau so fetzig.  Man darf sich nur das bekloppte Musikvideo nicht ansehen, in dem nackte Frauen auf dem buchstäblichen straßenstrich tanzen. Oder auf die Lyrics hören. Und was zum Geier macht dieser Rapper da? Sie haben aber auch gelungene Musikvideos produziert. Zumindest als Knabe war das für mich 'cool'. Motivationssongs waren irgendwie ihr späteres Steckenpferd, statt Romantik-Schnulzen. Oft vergessen ist dieser schnuckelige Popsong.

Das sind so die Songs, die bei mir damals wie heute für ein wippendes Bein und zuckende Schultern sorgen und die sich teilweise nicht verstecken müssen vor anderen 'Klassikern' der 80er, 90er und frühen 2000er. 


Wenn man sagt, dass man Modern Talking als Band respektiert, bedeutet das nicht zwangsweise, dass man auch die Personen dahinter respektiert. Während ich Thomas Anders schon immer als den sympathischeren und bodenständigen Part des Duos wahrgenommen habe, hat dieser auch eine für mein Empfinden würdevolle Post-Band-Karriere hingelegt, indem er erst einige Soloalben veröffentlichte, sich dann an die zugegeben große Schlagergemeinde richtete und mittlerweile ganz bescheiden moderiert. Dieter Bohlen hingegen ist den meisten heutzutage nur noch als humor-, und pointenlose Karikatur und Flacker-Lichtgestalt der Zombiecasting-Formate RTLs bekannt. Und damals war das auch noch okay - die ersten zwei, drei Staffeln Deutschland sucht den Superstar waren witzig, spannend, neu. Dieter Bohlen war ernsthaft lustig und besaß Charme. Aber mittlerweile? Da wurde das Format totgestrahlt wie eine japanische Hafenstadt und Bohlen ist eine würdelose Medienprostituierte, die eine der peinlichsten Figuren der deutschen Fernsehlandschaft darstellt. Nun ja, wenn die Geldbörse drängt und das Talent lange fort ist, so wendet man sich eben an die Necromantieverwurstung RTL. 

Modern Talking höre ich mir dennoch nach wie vor gerne an, und nach 25 Jahren bin ich mir auch ziemlich sicher, dass sich das nicht mehr ändern wird. Ihr dürft das auch. Nur Mut! Vielleicht nicht gerade mit Bass-Verstärker und Surround-Boxen in der Straßenbahn, aber mit Sicherheit aufgedreht im dunklen Kämmerchen.

Das ist bei weitem nicht nur deutsches Kulturgut. 
Aber eben auch.

- Yoraiko