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Sonntag, 2. August 2020
Die Bedeutung von Geschenken in unserer Gesellschaft und zwischen Menschen
Es ist wieder ein Jahr vergangen, seit ich über Geburtstage im allgemeinen, und so auch meinen 25. gesprochen habe. Wie es der Zufall so wollte, hatte ich auch dieses Jahr wieder Geburtstag, und neben der Tatsache, dass er so trist und bedeutungslos war wie die zehn davor, spielte das Thema Geschenke eine größere Rolle.
Was ist die Bedeutung von Geschenken in unserer Gesellschaft? Bleiben wir dabei in unserem Kulturkreis, sagen wir Deutschland.
Geschenke sind vor allem in der Kinderwelt eine bedeutende Geste - Sie stellen, so perfide es auch sein mag, mit den drei Ankerpunkten des Materialismus - Ostern, Geburtstag, Weihnachten - so wie mit optionalen Zusatz-Events (Kindertag, Halloween, Valentienstag, ...) die Höhepunkte der regelmäßigen Festlichkeiten für die Kleinen dar, und wir erkaufen uns mit ihnen gutes Verhalten - sonst bringt der Weihnachtsmann nichts. Teure Gegenstände für gutes Betragen. Quid pro quo. Allein das würde schon einen längeren Beitrag rechtfertigen, aber darum sind wir nicht hier.
So wie man älter wird, verliert vor allem der eigene Geburtstag so wie auch das eher alberne Konzept der Geschenke zunehmend ihren Sinn - ich habe das im Geburtstags-Beitrag angesprochen - und die universell-akzeptierte, politsch-angehauchte Position 'Wir schenken uns nichts' nimmt vielerorts zu.
Besonders erwachsene Erwachsene nehmen Stellungen wie 'Ich brauche keinen Anlass um jemandem eine Freude zu machen' ein, und dann gibt es das rechtfertigungsähnliche 'Wir schenken uns nur eine Kleinigkeit', das von der Unsicherheit zeugt, das Konzept des Schenkens gänzlich aus der Nächstenliebe zu verbannen.
Manche Menschen behalten das gegenseitige Schenken aber auch vollends bei. Wenn man erwachsen ist, erkauft man sich damit aber in der Regel kein artiges Betragen mehr, sondern will plötzlich 'Zuneigung ausdrücken'. 'Eine Freude bereiten'. So zumindest die offiziele Version.
Meine Wahrnehmung ist, dass der wahre Grund für die Motivation der meisten erwachsenen Schenker die gute, alte gesellschaftliche Konvention ist. Eine unausgesprochene, auferlegte Pflicht, die man gegenüber seinen Bekannten in verschiedenen Abstufungen zu erledigen hat. Der Chef und die Arbeitskollegen? Hochoptional, kann man ignorieren. Entfernte Bekannte und gelegentliche Gesellschaft? Hm na ja, vielleicht ein paar Pralinen. Freunde und entfernte Familie? Schwierig da nichts zu liefern, wenigstens irgendwas Durchdachtes. Der feste Partner und die eigene Mutter? Fang schon mal an zu sparen.
Das hat der gute Sheldon aus Big Bang Theory
hervorragend ausgedrückt: Geschenke sind in der Welt der Erwachsenen eine gesellschaftliche Pflicht, der man sich zu fügen hat, wenn man nicht linksgrüne Farbe bekennt und 'sich nichts schenkt' - und sich dann dennoch immer was schenkt.
Dass Menschen, die erwachsen sind und unter keiner festen Verpflichtung stehen, für Geschenke mehr tun als nach dem Amazon-checkout auf 'Jetzt bezahlen' drücken, sich wirklich Mühe, Zeit und Gedanken mit Materialismus oder Aufmerksamkeiten machen, die sie nahestehenden Menschen zu festgesetzten Terminen zukommen lassen, ist außerordentlich selten. Ich bilde mir ein, so jemand zu sein.
Ich bin trotz meiner 26 Jahre in vielerlei Hinsicht Kind geblieben. Ich liebe Weihnachten, habe irgendwann mal meinen Geburtstag gemocht und verpflichte meine arme Mutter auch heute noch ab und zu zum Ostereiersuchen im smogverseuchten Hinterhofgarten. Ich bekomme gerne Geschenke. Der Reiz des Überraschtwerdens und die Vorfreude darauf, dass jemand mich als Mensch gesehen und mich gedanklich zur Analyse dekonstruiert hat, sind geblieben.
Und so mache ich es mir jedes Jahr mehr zur Aufgabe, Zeit, Geld und viele Gedanken in Geschenke zu investieren, die ich guten Freunden und Familie zukommen lasse, über die soziale Pflicht hinaus, weil ich sie als Ausdruck meiner Zuneigung und Wertschätzung ansehe. Ich möchte, wenn ich Persönliches verschenke, dass der Beschenkte sieht;
'Ich habe wir Gedanken über die Person gemacht, die du bist. Was du magst, was du nicht magst. Deine Bedürfnisse.'
Idealerweise ist mein Ansatz beim Schenken auch 'Wie kann ich das Leben oder den Alltag der Person EFFEKTIV und signifikant verbessern?'
Außerdem muss ich natürlich überraschen. Einen Geschenketypus den ich in der Aufzählung oben vergessen habe, dem aber auch meine Mutter und ich schändlicherweise jahrelang angehörten, ist der Wunschlisten-Schenker.
'Ich sag dir was ich will und du mir was du willst, und das kaufen wir uns dann gegenseitig.'
Es ist maximal pragmatisch und konkurrenzlos unromantisch. Jeder Beteiligte weiß, dass hier nur Geld getauscht und somit die soziale Pflicht erfüllt wird - die dafür gekauften Geschenke sind nur ein Zwischenhändler. Ich will das nicht, darum vermeide ich mittlerweile Auftragsgeschenke. Ich habe zwar jedes Mal ein oder zwei dabei, um bei der Person definitiv einen sicheren Hit zu erzielen, aber sie sollten nicht das Groß ausmachen.
Aber das bin ich. Ich kann meine Standards nicht auf Andere übertragen und nicht erwarten, dass diese genau so über das Thema Geschenke denken. Meine eigene Mutter bspw. hat sich dieses Jahr wirklich lange den Kopf darüber zerbrochen, was sie mir zum Geburtstag schenken soll. Seit wir kein Wunschlisten-Abarbeiten mehr machen, ist es für sie schwieriger geworden. Da 'Du musst mir nichts schenken' für sie keine Option war, sagte ich ihr 'Mach dir Gedanken über mich', was ähnlich nützlich war. Es hat die Gute Kraft und Zeit gekostet, ihren Sohn mit dessen Hobbies sie sich nicht identifizieren kann und der ihr oftmals ein Rätsel ist, so zu beschenken, dass es für mich wirklich überraschend wäre. Aber das hat sie. Sie hat mir eine Nintendo Switch geschenkt weil sie weiß, dass ich lange eine wollte, und eine japanische Süßigkeiten-Box, weil sie die Idee nett fand und meine Leidenschaft kennt. Ein Essen in einem Flugzeug-Wrack-Restaurant, weil ich Flugangst habe. Toll. Ich wusste das zu schätzen. Es kommt bei 'Gedanken-Geschenken' wirklich nicht auf den materiellen Wert an, auch wenn viele das leugnen. NATÜRLICH ist es auch wenn jemand sich Gedanken gemacht hat unangenehm so tun zu müssen als würde man sich freuen, und schlimmer noch, wenn er das merkt. Aber allein die Tatsache, DASS es ein überlegtes Geschenk ist, wertet die Intention auf und lässt (bei mir) Wertschätzung entstehen.
Ich habe gute Freunde, denen sind Anlässe und Geschenke herzlich egal. Doch wenn ich sie überlegt und überschwänglich beschenke, haben sie das Gefühl, ebenso teuer und eindrucksvoll zurückschenken zu müssen, weil sie sonst 'Schulden' bei mir haben und sich schlecht fühlen. Geschenke als unausgesprochener Tauschvertrag. Die Beteuerungen, dass meine Geschenke keine Investition sind und nicht auf einer Erwartung fußen, sondern für mich Ausdruck zur Wertschätzung bedeuten, helfen da wenig. Aber weil ihnen das Thema eben so egal ist, ist ihnen die Vorstellung, sich 'Gedanken zu machen' fremd, zuwider und schlichtweg zu anstrengend. 'Sich Gedanken machen' ist mehr Arbeit als man auf den ersten Blick denkt, was man zumeist erst merkt, wenn man mal mit dieser Aufgabenstellung konfrontiert wird. Was ist ein Mensch, mit dem ich gut befreundet bin und den ich kennen sollte? Was mag er, schätzt er, braucht er über schnöde Popkultur wie Videospiele oder Naschzeug hinaus?
Ganz unangenehm wird es, wenn Menschen über Geschenke 'verhandeln' lassen. Ein anschauliches Beispiel gibt der Fall eines Freundes ab, der vor besagtem Problem der Ratlosigkeit stand und im Gegensatz zu meiner Mutter nicht bereit war, die nötige Zeit und Kraft zu investieren um es zu lösen. Also bot er mir an mir einfach was auszusuchen, das er mir dann 'kauft'. Was wähle ich in einem solchen Fall aus? Wähle ich etwas Günstiges, um denjenigen nicht zu belasten? Wähle ich etwas, das ich mir auch einfach selbst kaufen könnte, womit es eigentlich den Ursprungsgedanken des Freude bereitens untergräbt? Nein, ich wähle dann in dem Fall etwas, das besonders schwierig zu erlangen ist, also etwas kostspieliger als mein Budget es zulässt, von dem ich aber weiß, dass der Beschenkende es sich leisten kann, und das mir eine wirkliche Freude bereiten würde.
Wenn dann von Schenkender Seite aus angefangen wird zu verhandeln, wird das Ganze gänzlich ad absurdum geführt, und ich winke sofort mit 'Ist schon gut, schenk mir was du möchtest' oder 'Ist okay, du hast recht' ab. Ich verhandle nicht über das Geschenk, das man mir bereiten möchte - Das Geschenk als Dienstleistung. Als gefühlte Verpflichtung des Freundes, der eigentlich kein Interesse daran hat, diese einzugehen. Unangenehm.
Ebenso unangenehm habe ich 'Spaßgeschenke' verordnet. Dies ist ein Phänomen, das mir vor allem als Kind zwischen 8 und 13 öfter begegnet ist - ich war in der Situation, dass ich einen Freund der Familie, entfernten Verwandten oder dem Partner meiner Mutter etwas zum Geburtstag oder zu Weihnachten schenken wollte (Dazumal hat mein simplizierendes Kinderhirn das zugegebenermaßen nur als Folge von Anstand abgeleitet, sprich, gesellschaftliche Konvention, da haben wir sie wieder). Als ich meine Mutter in meiner Ratlosigkeit immer wieder um Ideen bat, bekam ich stets die selbe Antwort: 'Was Lustiges'. Etwas Lustiges verschenken. Etwas, das den Beschenkten zum Lachen bringt. Nichts wirklich Wertiges oder gar etwas von Bedeutung, sondern ein witziger Ulk. Süß. Wenn man ein kleines Kind ist, von dem man es nicht anders erwartet. Aber auch als Jugendlicher und ja, als Erwachsener bekam ich diesen für meine Mutter gefühlten Allrounder-Lifehack noch mit auf den Weg. Etwas Lustiges verschenken.
Es klingt grundsätzlich charmant, hat aber folgenden, missmutigen Kern:
'Ich verschenke etwas Lustiges, um mir keine ernsthafte Mühe oder Gedanken um ein Geschenk machen zu müssen, etwas Lustiges kommt doch immer gut an, oder?'
Und welcher Beschenkte ist schon so verrucht, einem 'lustigen' Geschenk die kalte Schulter zu zeigen? Na gut, ich muss wohl einräumen, dass ich als Teenager mit einer symptomatischen Leidenschaft für 'Frozen/Die Eiskönigin' auch lachen musste, als meine Mutter mich zu Weihnachten, begleitet von ihrem immer animalischeren Gekacker, mehr als zehn einzeln verpackte Geschenke auspacken ließ, in denen ausnahmslos wertlose Frozen-Fanartikel waren - Frozen-Pappteller, Frozen-Servietten, Frozen-Radiergummi, Frozen-Schulblock, Frozen-Frozen.
"Du magst doch Eiskönigin" drückte sie zwischen den Lachtränen nach jedem ausgepackten Geschenk und leerem Gesichtsausdruck meinerseits aus der lachgeschundenen Kehle hervor.
Ja, ich mochte Frozen. Das hatte sie mir erfolgreich ausgetrieben. So kann man 'Gedanken machen' natürlich auch interpretieren. Danke, Mama.
Ich lege zu dem Geschenke-Potpourri, das ich mir nahestehenden Menschen in meiner jetzigen Lebensphase meistens bereite, bestehend aus Gedanken-Geschenk, Safe Hit und angegebenem Wunsch oft auch immer noch was 'Lustiges' bei - das kann nicht schaden. Man sollte dies nur nicht als Exklusivgeschenk weitergeben und sich somit vollkommen der Verantwortung entziehen, sich ein Mindestmaß an Mühe zu geben. Ignoriert man solche 'Gifting-basics' kann es schnell zu langen Gesichtern und unverhohlener Enttäuschung kommen.
Enttäuschung bei einem Beschenkten. Eine nicht-erfüllte Erwartungshaltung oder auch nur die Gewissheit, dass der spannnende Teil des Films vorbei ist und die Auflösung das Eintrittsgeld nicht wert war. Viele Menschen verbergen ihren Missmut, wenn sie sich über Geschenke nicht freuen, allein aus dem sogenannten Grundanstand heraus, aber darf man überhaupt enttäuscht sein, wenn es um Geschenke geht? Immerhin sind sie keine Dienstleistung sondern eine freiwillige Geste. Ja, ich finde man darf bezüglich Geschenken enttäuscht sein, aus allen obenstehenden Gründen - Geschenke sind Aussagen. Verpflichtende Anlässe oder Dienstleistungen sind Verträge mit klaren Anforderungen und Spielregeln, aber wenn es um freiwillige Geschenke geht, zeigt sich wirklich, was er oder sie für dich fühlt, welche Gedanken und Mühe er auf sich nimmt und ob er mehr tut als das bare Minimum. Nicht, dass man zwangsweise von Geschenken auf die Zuneigung eines Menschen schließen sollte - es gibt solche und solche Leute. Aber es gibt da eine Tendenz. Enttäuschung allerdings offenkundig zu zeigen ist auch mir zu unangebracht und unhöflich, weswegen ich es nach bestem Gewissen vermeide.
Doch gerade, wenn man nur wenige Menschen in seinem Leben hat die überhaupt auf die Idee kommen, dass man sich an seinem Geburtstag ja über eine Aufmerksamkeit freuen könnte, hängen die inneren Gesichtszüge umso schneller durch wenn sich herausstellt, dass diese einen nur 'abgearbeitet' haben.
Wie kann man hingegen Frust auf der Schenkenden Seite vermeiden, falls das Ausgesuchte nicht so knorke ankommt wie geplant? Einfach: Man beschenkt sich strategisch selbst.
Es war das Weihnachtsfest vor drei oder vier Jahren. Ich führte meiner Mutter gegenüber erstmals die Idee ein, sie komplett blind zu beschenken, also ohne ihr Wissen oder Mitwirken. Dinge wie ein Handwärmer, Ladekabel, ein Reiskocher, eine Wärmflasche oder rosane Schokolade wechselten dabei den Besitzer. Dinge, die ich für meine Mutter als garantierte Hits erdachte. Kaum eines davon wurde von ihr mehr als einmal benutzt, bevor es in seinem staubigen Grab im Unterschrank landete. Es wäre so tragisch, hätte meine Mutter mir ein halbes Jahr später nicht eben diese Geschenke, oder zumindest einige davon, ganz dreist selbst wieder untergeschoben. Plötzlich hatte ich einen Handwärmer und einen zweiten Reiskocher. Nicht schlecht. Zwar habe ich bisher nicht am moralischen Bungee-Jumping des strategischen 'Selbst-Beschenkens' teilgenommen und Leuten Kram geschenkt, den sie an mich zurückgeben sollten, aber im Bekanntenpreis kam das schon vor. Es ist sicherlich perfide, aber genau so sicherlich weniger verschwenderisch.
Und es ist nunmal eine unbestreitbare Tatsache, dass gerade Überraschungsgeschenke im Zweifelsfall einfach ein hohes Risiko-Investment sind. Ist man sich nicht zu 120 % sicher, dass Person X 'Das doch immer schon wollte' und 'Dringend benötigt', kann die gute Intention nach hinten losgehen, ein unangenehm-betretenes Schweigen um den Tannenbaum herum erzeugen und einem am Ende des Abends, wenn man sich vor Schuldgefühlen und Demütigung in den Schlaf weint den Gedanken einpflanzen, dass man vielleicht doch besser einfach die verdammte Designer-Mikrowelle für 2000 Tacken hätte kaufen sollen, die Mutti wegen der 'praktischen Warmhaltefunktion' und den 'tollen Lichteffekten' so gerne haben wollte. Überraschen ist ein Risiko, und Risiko ist ein Strategiespiel für mutige Menschen. Es ist eine Genugtuung, dass der Umkehrschluss mich berechtigt, den aus dem Zusammenhang gerissenen Satz 'Amazon ist für Feiglinge' schreiben zu können.
Amazon ist der Geschenke-Revolver des Feiglings.
Die eigene Kreativität und Entschlossenheit der geschliffene Säbel eines jeden schneidigen Aufmerksamkeiten-Generals.
Wollt ihr ein zitternder Feigling oder ein stolzgeschwellter General sein?
Stellt euch diese kleine, feine Frage das nächste Mal, bevor ihr noch kuz vor Weihnachten zu PRIMARK rennt und die heruntergesetzten Kinderhauthosen für euren Bruder einkauft, und eure Frau mit ein paar überteuerten LINDT-Pralinen abspeißt, für die sie das restliche Jahr über zu geizig ist.
Eure Entscheidung mag mehr Relevanz besitzen, als ihr glaubt. Sie ist das Zünglein an der Waage, ob der Geburtstag, das Weihnachtsfest oder einfach nur der Tag, an dem ihr jemandem etwas Gutes tun wolltet, für diese Person als der 'Der Tag, an dem ich mit X überrascht wurde' im Gedächtnis bleibt, oder wie so viele, bedeutungslose Feste als 'Ein weiterer Geburtstag, ein weiteres Weihnachten' im Hinterhirn verrammscht wird.
Aus großer Macht folgt große Verantwortung.
Also steck dir deinen scheiß Gutschein sonstwohin, du oberflächliches, faules, katzenbabymordendes Arschloch!
- Yoraiko
Samstag, 4. Juli 2020
Ein halbes Jahr Arbeit im Behinderten-Wohnheim - Ein Erfahrungsbericht
Sechs Monate Behinderten-Wohnheim - Ein Erfahrungsbericht
Inhaltsverzeichnis
1.Vorwort
2. Gehalt
3. Arbeitszeiten & Schichtarbeit
4. Körperliche Ansprüche
5. Psychische Ansprüche
6. Ekel?
7. Verantwortung
8. Verschleiß der Sprache
9. Wie Kollegen alles verändern -
Ein persönliches Klagelied
10. Die Bewohner und Positives
11. Fazit
1.Vorwort
Erfüllung in der Arbeit. Das tun, was man liebt. Es ist ein Privileg, das heutzutage wie eigentlich schon immer nur sehr, sehr wenigen Menschen zuteil wird. Die meisten Leute arbeiten, weil sie Geld verdienen müssen, und hassen ihren Job ein Leben lang, obwohl sie einen großen Teil dessen damit zubringen. Auch ich bin trotz meinem einigermaßen fortgeschrittenem Alter noch weit davon entfernt, leidenschaftlich zu arbeiten und zufrieden zu sein mit dem, was ich mache - sprich, Geld mit Schreiben oder irgendeiner anderweitig kreativen Tätigkeit zu verdienen. Ich bin an einem Punkt, an dem ich vielleicht akzeptieren muss, dass das niemals passieren, sondern ein Traum bleiben wird. Und so verbleibe ich vorerst im sozialen Sektor, um auch weiterhin die Miete zahlen zu können.
Während ich diesbezüglich in der Pädagogik zu Hause bin, hatte ich 2019 für etwas mehr als ein halbes Jahr das 'Glück', in einem Behinderten-Wohnheim zu arbeiten, in dem ausschließlich geistig und körperlich schwerst mehrfachbehinderte Menschen leben. Die Behindertenpflege ist ebenso wie die Altenpflege nicht mein übliches Arbeitsumfeld, aber ich wollte diese Erfahrung mitnehmen. Jetzt, einige Monate nach Beendigung meiner Tätigkeit in diesem Leipziger Behindertenwohnheim, wird es Zeit zurückzublicken und von dem Alltag in einer solchen Einrichtung und Arbeit zu berichten. Im Guten wie im Schlechten.
Zuerst einige wichtige Eckdaten, um meinen Alltag dort besser verstehen zu können: Ich war angestellt in einer sehr großen, namhaften Organisation und eingesetzt in einem von drei Häusern, wobei in meinem Haus die 'schwierigsten Fälle' wohnten. Um etwa ein Dutzend Bewohner habe ich mich so mit etwa sechs Kollegen ein halbes Jahr gekümmert, diese betreut, gepflegt, unterstützt. Haus meint in diesem Fall vor allem ein Stockwerk mit sehr langem Flur, den Bewohnerzimmern und einem großen Gemeinschaftsraum mit angeschlossener Küche. Das vielleicht zur Vorinfo.
Um das Fazit auch schon vorweg zu nehmen, ich bin dankbar, dass ich diese Erfahrung machen durfte, aber ebenso dankbar, dass meine Arbeit dort beendet ist. Ich würde es wahrscheinlich nicht wieder machen. Und jetzt gehen wir ins Konkrete.
Eines kann ich unumwunden sagen: Alle Klischees sind wahr. Alles was Sie über die Alten-, bzw- Behindertenpflege gehört haben stimmt. Verstehen Sie das wie Sie möchten.
2. Gehalt
Das Gehalt, das ich in meiner Zeit in diesem Wohnheim erhalten habe, war vorsichtig ausgedrückt in Ordnung. Nicht übermäßig viel, aber man konnte davon leben. Neben dem normalen Stundenlohn setzte sich dieses natürlich aus Zuschlägen für Wochenend-, und Sonntagsarbeit,
Feiertagsarbeit und Spätschichten zusammen. Da die Arbeit hier wie in den meisten Bereichen der Pflege Schichtarbeit bedeutete, hat man so also einige Zuschläge gesammelt, musste aber auch flexibel sein. Ich hatte auch das Gehalt des einen oder anderen Kollegen erfahren, und das war ungleich höher als meines. Es ist also durchaus möglich, in diesem Bereich gut zu verdienen, sei man nun Hilfs-, oder Fachkraft, aber in der Regel bekommt man gerade genug.
3. Arbeitszeiten, Schichtarbeit
Schichtarbeit bedeutet vor allem eines, dass die Wochenenden keine Bedeutung mehr für die eigene Alltagsplanung haben. In der Regel hatte ich zwei freie Wochenenden im Monat, oft 'musste' ich aber für kranke Kollegen einspringen, Schichten tauschen oder anderweitig umplanen. Es ist ein Arbeitsmodell das Flexibilität benötigt, keine Frage.
Bei der Frage, ob Schichtarbeit nennenswert anstrengender ist als eine Fünf-Tage-Woche scheiden sich die Geister und auch ich kann das nicht endgültig beantworten. Natürlich war es für mich immer hart, sieben bis acht Tage am Stück zu arbeiten. Dafür hatte man dann aber auch drei bis vier Tage unter der Woche frei wenn andere arbeiteten. Wirklich grenzwertig wurde es ab neun Tagen am Stück, ganz selten zehn, aber auch Fälle von bis zu zwölf Tagen ohne Pause sind mir von Kollegen bekannt. Dann hat man zwar seine freie Woche, braucht aber erst mal zwei Tage allein um sich körperlich zu erholen.
Seit ich wieder in der Pädagogik arbeite sind es klassische fünf Tage und Wochenende. Das hat wirklich auch was für sich, man kann wieder mit Freunden und Familie mehr unternehmen, hat mehr Freiheit in der Freizeitplanung und überschreitet sein wöchentliches Arbeitskontingent nicht. Andererseits ist man dann eben die meisten Werktage eingespannt, so dass Arztbesuche, Einkäufe und dergleichen schwieriger werden. Alles ein Vor und Zurück.
Frühschichten und Spätschichten werden von Kollege zu Kollege anders bewertet. Mir persönlich sind Frühschichten immer lieber gewesen. Ich musste in diesen vier Uhr Morgens aufstehen, um sechs Uhr anwesend zu sein, es sind die DEUTLICH anstrengenderen Einsätze weil man unter Zeitdruck alle seine Bewohner aus dem Bett holen, waschen, anziehen, an den Tisch bringen, Frühstück durchführen, Einkäufe erledigen, Arztbesuche, Putzen, Therapiebegleitung, Mittagessen durchführen, alle Bewohner zum Mittagsschlaf ins Bett bringen, zwischenzeitlich immer wieder das IKM (Inkontinenzmaterial) wechseln muss wenn es untenrum mal wieder so weit war... Frühschichten sind fordernd. Das Gute an all dem ist, dass man so beschäftigt ist, dass man gar nicht merkt, wie die Zeit vergeht. Schwupps, schon ist die Schicht rum. Das Hauptargument ist aber, dass man Mittags gehen kann und noch etwas vom Tag übrig hat.
Spätschichten sind viel entspannter, da sie zu großen Teilen daraus bestehen, sich mit den Bewohnern zu beschäftigen statt sie zu pflegen. Nach dem Nachmittagsprogramm wird das Abendessen vorbereitet, alle werden ins Bett gebracht und es wird geputzt. Fertig. Nachteil ist hier, dass man Mittags kommt und bis Spätabends bleibt, der Tag ist also ganz und gar ausradiert. Außerdem zogen sich Spätschichten für mich immer wie zäher Gummi, weil eben nicht so viel passiert.
Hat man mal vier, fünf, sechs Spätschichten in der Woche, verschwimmen einem teilweise die Wochen vor den Augen und rinnen durch die Hände. Sie vergehen wie im Flug und man fragt sich, wo schon wieder die ganze Zeit hin ist, weil man nur arbeiten und schlafen war. Das nennt sich dann
'Für die Wochenenden leben', was in diesem Fall hieß für den Freizaitausgleich leben. Ein Konzept, das auch außerhalb von Schichtarbeit dafür steht, dass man seine Arbeit hasst und sich nur auf das Wochenende freut. Wie ich jetzt nach diesem halben Jahr anstrengender, zeit-, und kraftfressender Behindertenpflege im Schichtdienst sagen kann, ist dies eine tödliche Einstellung, die euch körperlich und vor allem seelisch abtötet. Man darf so nicht denken. Man muss versuchen, seinem Arbeitsalltag etwas abzugewinnen. Und das gelang mir, in Teilen.
4. Körperliche Ansprüche
Damit habe ich das Thema beinahe schon abgehakt, werde aber dennoch nochmals explizit darauf hinweisen: Behindertenpflege (Und Altenpflege) ist körperlich extrem anspruchsvoll und fordernd, viel kraftraubender als die Pädagogik im Kindergarten oder der Krippe. Ich habe noch nicht auf einer Baustelle gestanden, kann mir aber nicht vorstellen, dass sich dies von den Stoßzeiten der Behindertenpflege maßgeblich unterscheidet.
Warum ist das so: Ich habe vorhin angesprochen, dass man gerade Morgens zehn, elf, zwölf Bewohner, die nunmal aufgrund ihrer Situation größtenteils sehr stark eingeschränkt sind und nicht wirklich nennenswert mithelfen können, unter Zeitdruck, aber dennoch menschenwürdig und mit maximaler Sorgfalt aus dem Bett holen muss. Hygiene, Ankleidung, all das. Wenn es also einen gewichtigen, wenig-motivierten Menschen mit Behinderung gibt, der aufstehen und sich duschen muss, dann hilft man ihm eben aus dem Bett und begleitet ihn dorthin mit vollem Körpereinsatz. Wenn es einen bettlägerigen Bewohner gibt, der nicht aufstehen kann, muss man ihn mit voller Körperkraft drehen und anheben, um ihn zu reinigen und anzukleiden. Meist unter Zeitdruck. Und das Wichtigste dabei ist, dass es würdevoll und sorgfältig passiert. Denn der Zu Betreuende ist am Wichtigsten.
Nicht zuletzt für die Reinigung und die Unterstütztung bei Toilettengängen beugt man sich fast permanent herunter, dieses Arbeitsfeld ist nicht umsonst dafür bekannt, reihenweise Rücken zu vernichten. Es stimmt, der Rücken leidet in der Behindertenpflege am meisten, vor allem eben beim Heben von Bewohnern.
Das Gute in einem Behinderten-Wohnheim, welches kein Pflegeheim ist - die Menschen wohnen hier. Das bringt entgegen der anstrengenden Stoßzeiten von z.b. Morgenhygiene und Mahlzeiten auch lange Ruhepausen mit sich, in denen Bewohner Fernsehen gucken oder sich still beschäftigen. Wenn es gerade nicht etwas Wichtiges zu tun gibt, wird man hier, so zumindest meine Erfahrung, auch nicht von höhergestellten Kollegen sinnlos beschäftigt sondern darf sich eben dazu setzen oder sich ausruhen. Vielleicht geht man mit einem Bewohner spazieren, oder massiert ihn mit einem Gerät. Gerade Spätschichten bestehen zu 60 % aus Herumsitzen und sind somit körperlich weniger anspruchsvoll. Dennoch, es ist keine Arbeit die ich über Jahre hinweg machen wöllte und die Erfahrung am eigenen Leib verstärkte meinen Respekt für die Pflegefachkräfte, die über Jahrzehnte hinweg ihr Werk in Alten und Pflegeheimen tun. Ihr bekommt zu wenig Geld und Anerkennung.
5. Psychische Ansprüche
Die körperliche Beanspruchung in der Pflege ist hart, mag sein. Aber sie ist hier nicht das größte Pflaster, zumindest nicht im Behinderten-Wohnheim. Es ist psychisch belastend. Sind die meisten Menschen mit geistiger Behinderung, um die ich mich gekümmert habe, über die größte Zeit auch genau so freundlich wie ich und du, gibt es Phasen und Situationen, in denen sie nicht aus ihrer Haut können und durchdrehen. Es gab eine Bewohnerin, die sich ungelogen jedes einzelne Mal, wenn ich zum Schichtbeginn hereinkam, obenrum ausgezogen hat. Sie wollte ein neues Kleidungsstück und wusste, dass ich es ihr geben würde. Bis Kollegen mich darauf hinwiesen, das bitte nicht mehr zu tun, sondern darauf zu bestehen, dass die Bewohnerin sich wieder anzieht. Aber was, wenn sie das partout nicht will, um sich schlägt, herumbrüllt, andere Bewohner schlägt, Türen knallt wenn man dies durchsetzt?
Es ist vor Menschen mit geistiger Behinderung ebenso schwer, wenn nicht schwerer, ernstgenommen und respektiert zu werden wie bei Kindern. Zeigt man nicht sehr früh Strenge und eine klare Linie ist es vorbei und sie nehmen einen nicht mehr ernst, was zu vielen stressigen Situationen führen kann. Wenn man in einem Gemeinschaftsraum steht, links brüllt und tobt die Eine, rechts uriniert der Andere, und hinter einem plärrt einen der Kollege voll, dann ist das psychisch belastend. Ich habe eine Narbe an der Hand behalten von einer Bewohnerin, die mich im Trubel gekratzt hat. Das wollte sie natürlich nicht und ich lächle, wenn ich sie besehe, aber so etwas kann (Sehr, sehr selten!) vorkommen. Da war dieser eine Bewohner, der sich morgens strikt weigerte, Schuhe anzuziehen, sondern Barfuß herumlaufen wollte. Im Winter. Die Anweisung des Kollegen lautete, zieh sie ihm so lange an bis er sie anlässt. Da sitzt man also vor dem Bett eines erwachsenen Mannes und versucht ihm gegen seinen Willen Dutzende Male die Schuhe anzuziehen, die er sogleich wieder abstreift, und versucht ruhig zu bleiben. Nicht immer so leicht. Der situative Zeitdruck, der sich in besonderen Momenten anbahnt, kostet Kraft - wenn ein Bewohner gerade erst eine stolze Ladung Exkremente im Gang verteilt hat und nackt herumrennt, parallel aber ein anderer Bewohner zur Ergotherapie müsste, Bewohnerin Von und Zu wieder auf andere Bewohner losgeht und der Kollege gerade eine Rauchen ist, lernt man zu improvisieren.
Ebenso belastend ist die permanente, erwähne Verantwortung, da eine umfassende Konzentration gefragt ist, zumindest in der Pflege.
Man darf sich nicht vormachen, es wäre nur ein körperlich belastender Beruf und die wären doch alle ganz lieb. Das sind sie auch, aber manchmal sind sie es ungewollt nicht. Und dann muss man souverän bleiben.
6. Ekel - Exkremente, Nacktheit
Während meiner sozialen Ausbildung konnte ich mich nicht zuletzt nochmals davon überzeugen, dass auch dieses Klischee im Volksmund der Wahrheit entspricht - die Nummer 1-Sorge junger Menschen bei der Pflege von Menschen mit Behinderung und Älteren ist ihr potentieller Ekel. Die Angst, die Reinigung des Hinterns, von vollem Inkontinenzmaterial, des ganzen nackten Körpers beim Duschen und Verletzungen nicht bewältigen zu können.
Obwohl ich auch in der Altenpflege tätig war bleibe ich hier in meinem Behindertenwohnheim, kann aber versichern, dass sich das in der Praxis sehr ähnelt - ja, es ist ein schmutziger Job. Es sind nunmal Menschen, und die verdauen genau so wie Sie und ich, mit dem Unterschied, dass sie nicht immer einschätzen können, wann die Bombe platzt. Ich gehöre was all diese Ängste angeht seit jäher zu den etwas Hartgesotteneren, dennoch musste ich gerade in den ersten Wochen schwer schlucken, die Lippen aufeinanderpressen und mich innerlich kneifen, um meine Arbeit anstandslos fortführen zu können. Gerade Menschen mit Behinderung, die vieles nicht so einschätzen können und teilweise auch noch körperlich eingeschränkt sind, machen da unten unabsichtlich öfter große Sauereien.
Aber, und das höre ich auch immer wieder von Kollegen:
Es ist beeindruckend, wie schnell man sich doch daran gewöhnt. Ganz ehrlich. Nach einem Monat war das kein Thema mehr. Ständig Exkremente an den behandschuhten Fingern? Ist Alltag, gehört dazu. Ständig Ausgewachsene Männer und Frauen nackt sehen und am ganzen Körper gründlich abwaschen? Zunächst unangenehm, aber das wird mit der Zeit. Der Mensch gewöhnt sich an alles, und sobald man feststellt, dass diese Menschen nunmal darauf angewiesen sind, dass man sie mit besten Kräften unterstützt, und sie sich wirklich einen feuchten Kericht daraus machen, dass man sie nackt sieht, sind Ekel und Scham bald vergessen. Wir kacken alle nur Braun. Keine Frage, auch nach Monaten gab es hier und da immer noch Momente und spezielle Situationen, in denen ich kurz durchatmen musste. Aber das war nie ein Problem, immerhin sind wir alle nur Menschen. Da sagt keiner was.
Eine Anekdote zum Schluss dieses Themas:
Nichts lernt man in der (Behinderten-)Pflege so schnell, wie auf Arbeit permanent durch den Mund zu atmen. Mag nicht hygienisch sein, vereinfacht Selbige für seine zu Betreuenden aber ungemein.
7. Verantwortung - Nicht träumen!
Vielleicht noch ein wenig mehr als mit Kindern oder älteren Menschen steht hier die ungemeine Verantwortung im Fokus, die man als zu Betreuender für die Menschen mit Behinderung hat. Die meisten von ihnen wissen es nicht besser - also muss man es für sie wissen. Gerade in der Anfangszeit war es schwierig mir immer und in jeder Situation gewahr zu sein, wie viel Verantwortung ich für den Menschern vor mir habe und wie aufmerksam ich sein muss.
In der Ausbildung hörte man immer wieder 'Prophylaxe hier, Prophylaxe da', also eine vorbeugende Maßnahme gegen Krankheiten oder Risiken eines zu Betreuenden. Die Wichtigste davon in der Pflege ist meines Erachtens nach die Sturzprophylaxe. Bei Menschen mit Behinderung, die meist nur sehr kleine Schritte machen können, größere Schwierigkeiten damit haben das Gleichgewicht zu halten oder einfach etwas ausgelassener sind, ist das Sturzrisiko wirklich ungemein hoch. Ob nun beim Aus dem Bett holen, beim Duschen im Bad mit klitschigen Fließen oder beim Herausbegleiten auf den Gang - man muss ständig irrsinnig aufpassen, dass die zu Betreuenden nicht stürzen und sich dabei gar ernsthafte Verletzungen zuziehen, schlimmstenfalls noch am Kopf. Das ist auch in meiner Zeit im Behinderten-Wohnheim passiert. Einmal für fünf Sekunden nicht aufgepasst rutscht der Herr vom Klo, knallt mit dem Kopf gegen die Wand und trägt eine bleibende Narbe davon. Einmal beim Duschen nicht richtig gestützt und die Dame rutscht an der Wand zu Boden, inklusive Kratzer am Rücken. Beim Essen reichen vieler Bewohner am Esstisch, die nicht mehr selbst essen können, muss man gut aufpassen, dass die Portionen nicht zu groß sind und der Bewohner nicht vielleicht zu viel auf einmal nimmt wenn er selbstständig essen kann. Sonst Verschluckung und potentielle Erstickung. Nichts, das man miterleben möchte. Stell keinen gerade erst frisch gekochten Tee in die Küche, es mag ein Bewohner kommen und sich etwas davon eingießen, das er dann hemmungslos trinkt und sich somit Lippen und Mundraum verbrennt. Man unterschätzt die Verantwortung und Risiken der Pflege und tendiert in täglich immer gleich bleibender, mitunter monotoner Arbeit dazu, abzudriften und zu träumen. Das musste ich mir strengstens abtrainieren. Nach ein paar Monaten bin ich mit einigen Bewohnern in jedem kleinen Schritt derartig vorsichtig umgegangen, dass es eher öfter als selten eine Standpauke von Kollegen gab, warum das denn so lange dauert.
Aber Ruhe, die muss man sich bei der Pflege von Menschen mit Behinderung nehmen. Ruhe und Konzentration.
8. Reden ist Silber
Es gibt einen weiteren, besorgniserregenden Aspekt, der speziell im Arbeitsumfeld von Menschen mit geistiger Behinderung auftritt und den man nicht vergessen darf: Sprache. Eine vertraute Kollegin erzählte mir in einem Gespräch, was sie an dieser Arbeit am meisten belaste sei die Tatsache, dass sie so gut wie nicht Reden kann, weil niemand da ist der antwortet. Das mag die Problematik etwas überspitzen und ist von Wohnheim zu Wohnheim unterschiedlich, aber bei uns kam das der Realität nahe. Von 12 Bewohnern waren zwei in der Lage verständlich und gezielt zu sprechen, einer davon nur in einzelnen Wörtern, der andere flüssiger und in Sätzen. Der Rest war stumm, gab nur Laute von sich oder antwortete allenfalls mal mit einem Ja. Große Konversationen kommen hier also nicht zustande, doch beinahe noch wichtiger ist die Veränderung, die ich an meiner eigenen Sprache festgestellt habe.
Als Pädagoge und Pfleger von kleinen Kindern und Menschen mit Behinderung ist die einfache Sprache unerlässlich. Man bricht seinen Wortschatz herunter, formuliert langsam und deutlich, kürzt seine Sätze auf das notwendige Minimum ein. Bei Menschen mit geistiger Behinderung ist das ungleich wichtiger noch als in der Kita, denn während viele ein gutes Verständnis dafür haben, was man von ihnen möchte, muss man sich natürlich dennoch simpel ausdrücken. Wenn man also über ein halbes Jahr jeden Tag für acht Stunden so spricht, führte das zumindest bei mir dazu, dass meine Sprache stark verschleisste. Ich fing an zu stottern, verhaspelte mich oft in der Mitte meiner Sätze weil ich merkte, dass sie zu komplex waren, benutzte größtenteils nur noch grobschnitzigere Formulierungen und verlor zunehmend meine Wortgewandtheit. Das belastete mich extrem und ist in Teilen heute noch nicht abgeklungen.
Es ist ein wichtiger Teil der Arbeit sich kurz und klar auszudrücken, aber man sollte dabei versuchen, die eigene Sprache integer zu halten, sonst trägt man 'Schäden' davon. Ist mir nicht sonderlich gut gelungen.
9. Kollegen verändern alles -
Ein Jammerlied über Machtmissbrauch, schlechte Organisation und Arroganz
Das hier ist nicht nur ein allgemeiner Bericht sondern am Ende des Tages eben auch eine persönliche Erzählung meines halben Jahres in einem bestimmten Behinderten-Wohnheim. Ich möchte diesen Aspekt des Artikels nicht zu groß werden lassen, aber er muss erwähnt werden.
Vor zwei Jahren hatte ich mal ein fünfwöchiges Praktikum in einem anderen Behinderten-Wohnheim absolviert. Ich erwähne das deswegen, weil die Kollegen dort ein wahrgewordener Traum waren, entspannte, junge Menschen, mit denen man harmonisch und mit Spaß zusammenarbeiten konnte.
In diesem jüngsten Wohnheim war das Gegenteil der Fall. Und darum auch hier ein bestätigtes Klischee, dem ich nie so recht glauben schenken wollte: Eine Arbeit fällt und steht mit den Arbeitskollegen. Wirklich. Diese machen fast alles aus - genieße ich eine Arbeit, stehe ich morgens gerne auf, mag ich meinen Arbeitsplatz, quäle ich mich durch einen Tag, bin ich mit meiner Arbeit zufrieden und psychisch gesund - all das wird von Arbeitskollegen beeinflusst. Und all dies verdreifacht sich nochmal in seiner Wirkung, wenn man das unterste Glied der Hierarchie ist, wie ich es als Neuling und Außenstehender war und bis zum Ende geblieben bin.
Unter meinen sechs Kollegen gab es zwei, die ich sehr mochte und mit denen ich gut zusammengearbeitet habe. Dann noch zwei, zu denen ich keine festgelegte Meinung hatte und mit denen ich einfach ohne große Probleme gearbeitet habe. Und dann gab es zwei, in Zahlen 2, Kollegen, welche es doch glatt geschafft haben, dass ein halbes Jahr Behinderten-Wohnheim sich wie drei anfühlte.
Mit ihnen zu arbeiten war unangenehm, ein Spießroutenlauf, jede Schicht war psychisch und körperlich belastend und ich war danach fertig mit der Welt. Das klingt sehr dramatisch, entspricht aber mehr oder weniger meiner Gefühlslage. Der Witz dabei: Der Schlimmere von beiden war nicht mal höhergestellt. Seine Arbeit war die Selbe wie meine, doch er war länger da und hatte somit das Sagen. Und das nutzte er ausgiebig.
Das kommt jetzt vielleicht überraschend, aber ich bin von Natur aus ein schüchterner, introvertierter und harmoniebedürftiger Mensch. Ich mache nicht den Mund auf, wenn mir auf Arbeit etwas nicht passt, oder ich etwas anders sehe als ein Kollege, zumindest meistens nicht. Ich widerspreche partout nicht, wenn ich in der Hierarchie nunmal unten stehe und das Gefühl habe, Anweisung ist Anweisung - das hier ist Arbeit, da gehorche ich und gut ist. Keine empfehlenswerte Einstellung, aber wenn ich auch nur die Hälfte ausgesprochen hätte, die ich mir nach dem verbalen Missbrauch durch manche Kollegen dachte, wäre ich meine Arbeit nach zwei Wochen losgewesen. Und so hieß es Runterschlucken. Immer. Und immer. Und immer wieder. In Kurz, ich bin ein klares Betamännchen.
Können Sie, werter Leser oder gar charmante Leserin, sich ausmahlen wie kollektiv unangenehm es ist, wenn ein wütender Kollege mit unkontrolliertem Temperament durch den Gang rennt, laut-fluchend Dinge beiseite tritt und einem fast in den Nacken brüllt weil man etwas gegen seinen Willen durchgeführt hat? Wie unangenehm es ist, wenn eine Kollegin gut hörbar genervt stöhnt und gegen einen Eimer tritt, während sie den eigenen vermeintlichen Fehler korrigiert? Wie unangenehm es ist, unironisch gefragt zu werden, ob man einen geistigen Fehler hat, weil man Dinge anders umsetzt als ein Kollege?
Dann stellen Sie sich bitte vor, dabei gewesen zu sein. Der Empfänger gewesen zu sein. Jedes kleine Detail meiner Arbeit und meines Seins wurde von diesen Kollegen kritisiert und beschimpft, immer, jeden Tag, zu jeder Schicht, fast minütlich. Nach kurzer Zeit war es so weit, dass ich in Gedanken vorsprechen konnte, was gleich kritisiert wird, und zehn Sekunden später wird es wortgenau gesagt. Man könnte nun denken, dass ich die Fehler dann doch gleich hätte vermeiden können. Nein, es war buchstäblich unmöglich. Und glauben Sie mir, ich habe es versucht.
Meine Arbeit war nie fehlerlos oder hochpoliert. Als Fast-Anfänger in diesem Bereich musste ich auch nach Monaten noch dazu lernen, es besteht kein Zweifel daran, dass ich der Fehler viele gemacht und Kollegen damit sicherlich belastet habe. Doch während vier von sechs es schafften, damit wie vernünftige Menschen umzugehen, es mir im ruhigen Tonfalll zu erklären und darüber zu schmunzeln, wurde ich von zwei weniger ausgeglichenen Personen zertrampelt und wie ein Hund behandelt.
Klingt zu jammernd? Einige Beispiele. Ich ließ den Fernseher für Bewohner laufen, History Channel, es lief eine Dokumentation über einen Philosophen. Zehn Minuten später läuft dort eine Dokumentation über das dritte Reich, Kollege RedFace sieht es und pampt mich lautstark an, was ich mir denn denke, so einen Scheiß anzuschalten, und ich müsse doch mal meinen Kopf benutzen. Dann war da diese witzige Situation, in der Kollegin RedFace mich äußerst ungehalten anpflaumte, warum ich denn den kleinen Kühlschrank mit offenen Marmeladengläsern zustelle, obwohl diese doch in den Schrank gehören. Nein, tun sie nicht. Hat sie später auch selbst gemerkt, und sie zurückgestellt. Aber erst mal das unterste Glied zusammenstauchen. Ja, das sind kleine, alberne Anekdoten, über die man die Schultern zucken kann. Leider waren diese Anekdoten, ohne Übertreibung, hundertfach in jeder Schicht mit betreffenden Kollegen an der Tagesordnung. Es vergingen nur sehr selten fünf Minuten, ohne dass ich, mal mehr mal weniger aggressiv, auf einen Fehler hingewiesen oder für meine Arbeitsweise kritisiert wurde. Beschimpfungen inklusive.
Dabei ist es besonders ärgerlich, dass 50 % all dessen, was die beiden RedFace-Kollegen an mir auszusetzen hatten, genau genommen gar nicht meine Schuld war. Das Team dieses Wohnheims war extrem schlecht organisiert. Und damit meine ich, dass wirklich jeder einzelne Kollege eine andere Herangehensweise hatte, was den Umgang mit unseren Zu Betreuenden, der Hauswirtschaft, den täglichen Aufgaben hatte. Während es normal ist, dass verschiedene Menschen verschieden handeln, sollte es am Arbeitsplatz Leitlinien geben, an die sich alle halten. Gab es nicht. Wie sehr unterstützt man eine gehbehinderte Bewohnerin, stützt man sie oder nicht, um ihre Selbstständigkeit zu fördern? Begleitet man den blinden Bewohner auf Toilette oder lässt man ihn alleine gehen? Weist man die laut-schreiende Bewohnerin zurecht und bringt sie in ihr Zimmer oder lässt man sie in Ruhe gewähren? Räumt man den Geschirrspüler erst aus und putzt dann den Boden oder andersherum? Legt man das schmutzige T-Shirt in den Wäschekorb oder den Wäschesack? Fängt man um 17:30 Uhr an das Abendbrot vorzubereiten oder um 18:00 Uhr?
Für all diese Fragen und viele mehr hatte jeder Kollege andere Antworten. Als 'Lernender' war es somit extrem schwer, zu... na ja, lernen. Also passte ich mich an und lernte einfach nach und nach ALLE Vorgehensweisen für jeden Kollegen mit dem ich Dienst hatte, aber das dauerte und war sehr schwer. Ich kann nicht mehr zählen wie oft es passierte, dass ich für etwas zurechtgewiesen und vollgepöbelt wurde, das ein anderer Kollege mir genau so gezeigt hatte. Hängt man seinen höhergestellten Kollegen dann hin? Sagt man 'Das wurde mir aber so gezeigt und es ist richtig so?' Steht man für seine eigene Überzeugung ein und sagt, 'Das ist MEINE Art zu arbeiten und die ist vernünftig.' ?
Nein. Man entschuldigt sich kleinlaut und korrigiert die Aktion. Zumindest als kleiner Beta, der ich nun mal bin.
Es gab wie gesagt wunderbare Kollegen, die meine Probleme mit Anderen irgendwann auch bemerkt, mich darauf angesprochen und mir versichert haben, ich sei nicht der Einzige der unter Kollege RedFace zu leiden habe. Keine Frage. Nur, vergessen Sie bei diesem Berufszweig bitte nicht, dass er stressig ist und dass höhergestellte Kollegen hier sehr viel erzkonservative, autoritäre Macht über Sie haben, wenn die es denn wollen. Menschen arbeiten unterschiedlich, und wenn Ihre Arbeitsweise Kollege X nicht in den Kram passt könnte es sehr schnell sehr hässlich werden.
Die Behandlung durch diese beiden Kollegen führte fast alleine dazu, dass ich von diesem Wohnheim versetzt werden wollte. Dass ich jeden Tag, bei dem sie neben mir auf dem Schichtplan standen, mit gesenkten Lidern verflucht habe. Es hat mich psychisch so stark belastet, dass mein Stottern mit diesen Kollegen bald zum ernsten Problem wurde und ich kleinlaut kaum noch Widerworte herausbekommen habe. Es hat mich in all meinen Arbeitsprozessen und meinen Routinen so stark verunsichert, weil ich immer Sorge hatte gleich wieder korrigiert zu werden, dass ich die kompletten Schichten nervös und unter Druck war, ungleich viele Fehler gemacht habe und eigentlich nur weg wollte. Die Schichten mit den anderen vier Kollegen und die Schichten mit RedFace 1 & 2 unterschieden sich wie Tag und Nacht. Angenehmes, funktionables Arbeitsklima vs. Passive Aggression und permanenter Psychoterror hinter vorgeheucheltem Lächeln und schlecht-gespielter Sachlichkeit. Mein einziger Sieg in der Sache war, zumindest für mich: Ich bin niemals eingebrochen. Im Gegensatz zu ihnen blieb ich immer höflich und sachlich, leistete mir nie einen Fluch oder auch nur eine Spur Pampigkeit, ich bin ruhig geblieben und habe sie in ihrer Grobheit auflaufen lassen. Ich versuche mir einzureden, dass auch das von Willenstärke zeugt.
Ich entschuldige mich für den nun doch viel zu langen Jammerabschnitt. Aber es waren die schlimmsten Kollegen die ich jemals hatte, ich habe vermutlich heute noch einen Knacks von dieser Zeit und man sollte sich bewusst sein, dass Kollegen wirklich die gesamte Qualität eines Jobs ausmachen.
Falls ihr das hier lest, RedFace 1 & 2 - Ihr könnt mich.
Oh, und noch ein winziger Schlimmkommentar zum Thema Kollegen: Es hilft nie, wenn man romantische Gefühle für eine Kollegin entwickelt, die unerreichbar scheint. Vor allem dann nicht, wenn man dann doch Monate lang daran arbeitet, ihr näher zu kommen, und ihr dann am letzten Tag doch nichts sagt weil die Arbeit gerade stressig ist. Nun ja, davon muss ich wohl kaum jemandem etwas erzählen.
10. Es ist nicht alles schlecht - Liebenswerte Bewohner, Free Food & Events
Trotz schwieriger Kollegen und harter Arbeit schätze ich die Erfahrung, die ich dort machen durfte. Das liegt nicht zuletzt an den Bewohnern, die mir doch so sehr ans Herz gewachsen sind. Es ist normal, dass einem Zu Betreuende wichtiger werden, je länger man sich um sie kümmert, aber hier war es aus offensichtlichen Gründen schwieriger Kommunikation noch unerwarteter, aber nach ein paar Wochen passierte es dann doch. Die Guten wachsen einem ans Herz, mit all ihren Mängeln, positiven und negativen Eigenschaften und Eigenarten. Ob das nun die exibitionistische Schreihals-Bewohnerin, der sehbeeinträchtigte Schmusebär oder der bettlägerige Grinsebart ist, Zu Betreuende wachsen einem einfach alle irgendwann ans Herz, und ich glaube das ist so in der Pädagogik, in der Altenhilfe und auch in der Behindertenpflege. Manche sogar noch mehr als Andere, so dass man diese wirklich, aufrichtig gern hat. Es ist schwieriger in der Behindertenpflege, ein Feedback von seinen Zu Betreuenden zu bekommen, aber so lernt man umso mehr, die wenigen Zeichen zu verstehen und schätzen.
Gerade Ausflüge mit den Bewohnern waren für mich immer toll, da man spürbar gemerkt hat, wie sehr diese den kurzen Tapentenwechsel und die frische Luft genossen, Frau T-Shirt-Gebrüll zum Beispiel war im Wohnheim selbst meistens sehr unruhig, doch sobald man sie in ihrem Rollstuhl vor die Tür geschoben hatte lehnte sie sich zurück und grinste übers ganze Gesicht selig vor sich hin. Spaziergänge, Arztbesuche, gemeinsames Einkaufen... alles ein Spaß, vor allem für die zu Betreuenden, die sonst nunmal nicht so oft herauskommen aus ihrem Zuhause.
Verpflegungstechnisch muss man sich in den meisten Pflege-Einrichtungen wenig Sorgen machen: Sowohl in meinen bisherigen Kitas als auch Behinderten-Wohnheimen war es Gang und Gebe, dass die Kollegen beim Frühstück und Mittag mitessen, da gerade beim wechselhaften Essverhalten von Menschen mit Behinderung eigentlich immer etwas übrig bleibt. Wegschmeißen? Keinesfalls. Das ist einer der wenigen echten Vorteile eines sozialen Berufes, man ist den Tag über gut genährt und muss selbst nicht so viel kochen. Immerhin.
Events wie Silvester oder Weihnachten, die ich teilweise miterleben durfte, waren auch wirklich schön im großen Kreise aller drei Häuser. Hier merkt man auch, wie viel Feierlaune und Energie in diesen Menschen steckt, die sonst doch ein wenig im trögen Alltag gefangen sind. Das waren Erlebnisse, die ich nicht missen möchte und die wahrscheinlich einmalig bleiben.
Fazit
Die Arbeit in der Behindertenpflege ist, ähnlich wie die in der Altenpflege, hart, fordernd und zu wenig geschätzt. Körperlich und psychisch muss man sehr fit sein, um einer solchen Tätigkeit längerfristig nachzugehen, aber den angemessenen Respekt oder eine lohnenswerte Bezahlung bekommt man vielleicht dennoch nicht. Mehr noch als in manch anderer Tätigkeit ist es hier wichtig, dass man Glück mit den Kollegen hat - sonst hilft auch das schönste Wohnheim und die beste Bezahlung nichts. Die Arbeit mit Menschen mit geistiger Behinderung ist so anspruchsvoll wie sie faszinierend ist, man lernt sehr viel über Krankheitsbilder und die Ressourcen, über die Betroffene noch immer verfügen. Bis sie einem schließelich ans Herz wachsen.
Auch wenn ich meine Arbeit in gerade diesem Behinderten-Pflegeheim keinesfalls wiederholen würde, so war der Berufszweig an sich eine essentielle und wichtige Erfahrung, die ich jeder Person, welche sich im sozialen Bereich wiederfindet, nur guten Gewissens empfehlen kann. Es könnte eine Leidenschaft dabei herausspringen wenn man merkt, dass man sich wirklich um die Menschen kümmern möchte, und morgens nicht nur für den Gehaltsschein am Ende des Monats aufsteht.
- Yoraiko
Montag, 15. Juni 2020
All Lives Matter - that means black ones too
Ich bin spät dran, ich weiß. Aber es wird Zeit für einen Kommentar. Auch, wenn mich vielleicht kaum jemand liest, kann ich nicht behaupten, zwischen popkulturellem Kram und albernen Podcasts ab und zu mal noch 'aufwühlende'
Gedanken' zu teilen, wenn ich dann während einem der größten Proteste seit Jahrhunderten so tue, als ob nichts wäre.
Wir wissen alle, was gerade passiert - nein, nicht das noch immer grasierende Corona, das in Deutschland schon naiverweise als abgeschrieben gilt, in manchen Ländern aber nach wie vor einem fleischgewordenen Sensenmann gleichkommt. Nein, nicht die CCCP-Chinadiktatur, die seit Monaten ihre hässliche Fratze aufzeigt und Hongkong-Protestanten gewaltsam niederschlägt, foltert, einsperrt und einen feuchten Popel darauf gibt, was der Rest der Welt davon denkt und wie sehr die EU dieses Verhalten 'verurteilt'. Ich spreche natürlich von George Floyds Ermordung durch einen amerikanischen Polizisten und die folgende, explosionsartige Protestbewegung in Amerika und beinahe überall sonst gegen die strukturelle und festgefahrene Diskriminierung schwarzer oder besser gesagt nicht-kaukasischer-Mitbürger vor allem durch Polizei und Regierung. Wenn wir es nicht direkt mitbekommen hatten, dann durch jeden Prominenten, jede bekannte Internetpersönlichkeit, alle Nachrichtenformate und die sozialen Medien, in denen die Bewegung ihre Kreise zieht und betroffen macht.
2020, du wirst nicht langweilig. Und in diesem vermutlich schlimmsten Jahr seit es einen rothäutigen Präsidenten gibt, könnte die BLM-Bewegung eigentlich etwas Positives sein, eine Flamme der Inspiration im sonst so stockdunklen Wald. Könnte. Blöd nur, wenn weitestgehend friedliche Demonstrationen gegen Rassismus und den ungerechtfertigten Tod einem wehrlosen Farbigen gegenüber durch gewaltsame Polizisten mit... na ja, Gewalt beantwortet wird.
Unverschämter Gewalt. Ungerechtfertigter Gewalt. Exzessiver Gewalt. Öffentlicher Gewalt.
Rassistischer Gewalt.
Die U.S.A. befinden sich im Krieg. Und der vermutlich einzige Grund, warum das noch kein offizieler Status der Proteste ist, dürfte sein, dass die Protestanten es auf Gleichberechtigung abgesehen haben, und nicht auf Rache. Kann aber nicht mehr lange dauern, bis dem designierten Präsidenten für die nächsten vier Jahre ein waschechter Bürgerkrieg ins Haus steht. Von seiner Seite aus gibt es den ja schon - zumindest verhalten sich seine Streitkräfte so. Die Polizei der USA hat in den letzten Wochen erstaunlicherweise kein Geheimnis daraus gemacht, mit welcher selektivlosen, selbstverständlichen Gewalt sie gegen alles und jeden in ihrer Schlagweite vorgeht, sein es Protestanten, Journalisten verschiedener Länder oder unbeteiligte Bürger am Rand. Nicht, weil sie es müssen. Nicht, weil es ihnen befohlen wurde. Sondern weil sie es KÖNNEN, und glauben, es zu DÜRFEN.
Ich meine, man müsste doch denken, jetzt wo die ganze Welt ihre Aufmerksamkeit auf sie richtet, benimmt sich die Polizei und versucht wenigstens so zu tun, als schere sie sich auch nur einen feuchten Dreck um Grundrechte und die Gleichbehandlung von Minderheiten. Käsekuchen! Die prügeln, schießen, verhaften und diskriminieren munter weiter, Kameras oder nicht. Ist denen einfach scheißegal. Die dürfen das, sind ja schließlich Polizisten.
Seht euch nur diese Liste von Reddit an, mit bestätigten Übergriffen und Fehlverhalten der Polizei während der Proteste:
Vor 12 Tagen waren es 157 Fälle.
Der letzte Stand der Zählung dieses eifrigen Users sind 299 Übergriffe und Fehltritte.
299. und vergessen wir nicht die über 400 Übergriffe auf Medienleute wie Reporter aus aller herren Länder.
Wow.
Und das wirklich Beeindruckende daran? Das passiert, wenn die ganze Welt ZUSIEHT. Wollen wir lieber nicht unsere Fantasie schweifen lassen hin zur Frage, wie es abläuft, wenn keiner zusieht. Aber wir kennen die Antwort, und das ist auch die Antwort auf die Frage, wie lange struktureller und institutioneller Rassismus in Amerika schon ein Problem ist - seit Jahrhunderten. Es gab schon mehrmals gewaltige Proteste gegen genau dieses Problem. Nie ist was Nennenswertes passiert.
Klar, das ist kein Problem, dass sich nicht auf die USA beschränkt, wie wir dieser Tage auch über diverse Nachrichtenplattformen aus anderen Ländern erfahren - Kanada, Australien, Europa. Sucht euch was aus. Schwarze werden diskriminiert. Immer noch, im Jahre 2020, diskriminieren wir Menschen dafür, mit welcher Hautfarbe sie geboren werden. Man könnte meinen, wir werden mit den Jahrhunderten klüger. Schön wärs.
Imperator Trump
Trump ist schon wieder ein eigenes Thema, denn wenn die Black Lives Matter-Affäre vor allem eines nochmal zu Tage gefördert hat, so ist es die vollkommene Inkompetenz dieses chilligepuderten Popkornbrötchens mit dem schwindelerregenden Ego in der Größe von Texas. Auch er versteht es - natürlich - in keinster Weise, ein 'Nice Face' aufzusetzen sondern macht immerhin konsequent genau so weiter wie in den letzten vier Jahren - ordentlich aufs Maul, und bloß nicht das hochansteckende Gift der Vernunft ins Köpfchen lassen. Ein Präsident, der seiner eigenen Bevölkerung mit dem Einsatz des Militärs droht und seine Polizei dazu aufruft, die Bürger zu unterdrücken, ist vermutlich kein Präsident, der für für seine Wertschätzung der Demokratie gegenüber in die Geschichtsbücher eingehen wird. Aber sind wir wirklich überrascht? Hat irgend jemand das nicht kommen sehen?
Wenn überhaupt, so ist es milde-verwunderlich, wenn auch beruhigend, dass Donald Trumps Beliebtheit und seine Umfragenwerte endlich, ENDLICH sinken. George Floyds Todestag zu verharmlosen und öffentlich zu sagen, dies wäre ein guter Tag für ihn und er lächle auf sie alle vom Himmel hinab hat auch noch den letzten Rotfrucht-Enthusiasten gebrochen. Und wenn nicht das, dann vielleicht sein Umgang mit Corona, seine Reaktionen bzw. Nichtreaktionen auf das internationale Echo seinem desaströsen Krisenmanagement gegenüber, oder seine fortwährende Fixierung auf die Wahlen Ende des Jahres, weil alles auf der Welt, wofür sich diese Karikatur interessiert, sein eigener, verkrusteter Arsch ist.
Wie bitterlich zu wissen, dass der beste Ausgang für Amerika und die Welt in den bevorstehenden Präsidentschaftswahlen Joe Biden als Sieger ist, ein Mann, der älter ist als die Zeit selbst, schneller reagiert als eine querschnittsgelähmte Schildkröte und ohnehin seine gesamte Amtszeit damit zubringen wird, die Schäden die Trump angerichtet hat zu kitten. Ich beneide ihn nicht, aber hey, wenn Black Lives Matter bis Jahresende wieder vergessen sein sollte, bekommen wir vielleicht vier weitere Jahre unter dem Mann spendiert, der die moderne Gesellschaft der Menschen trollt und sich alle unsere Werte und Grundsätze mit einem Handtuch unten durchzieht. Wäre vermutlich witzig. Bis er es dann doch noch hinbekommt, den dritten Weltkrieg loszutreten. War ja schon ein paar mal davor dieses Jahr. Aber hey, 2020 ist noch lang. Drückt die Daumen.
Does it matter?
Neben der verlinkten Folge von Last Week Tonight zum Thema kann ich auch Reddit Worldnews empfehlen, da man hier täglich aktuellere und vor allem ehrlichere Meldungen bekommt als bei klassischen Nachrichtensendungen wie der Tagesschau(Die ich auch verfolge.)
Trotz all dem weltweiten Solidaritäts-Echo für Black Lives Matter muss man sich mit einem Blick auf die Geschichte fragen, ob sich irgendetwas ändern wird. Die amerikanische Polizei müsste reformiert werden, es müssten sich grundsätzliche Dinge ändern, es müsste ein Kontrollorgan für die Polizei geben, das mehr als zwei Hirnzellen hat. Ganz ehrlich? Ich glaube nicht dran. Ich bin zynisch und gehe davon aus, dass diese Proteste sich in 1-2 Monaten legen und die Sache Schnee von Gestern ist. So wie immer. Entweder das, oder es schlägt in einen Bürgerkrieg um. Und es beängstigt mich ein wenig, dass Letzteres vermutlich der Positivere Ausgang wäre. Ich denke noch an die Proteste gegen Artikel 13 - Ja, das ist sehr schwer zu vergleichen, aber auch da sind Menschen europaweit auf die Straße gegangen und haben dagegen protestiert - hat niemanden geschwert, zwei Wochen später war das Thema gegessen und ein paar protestanten haben einfach ihre Wochenenden verschwendet. Fragt mich, warum ich nicht protestieren gehe.Auch die Hongkong-Proteste, die noch immer anhalten, trotz Corona und BLM, bekommen weniger und weniger Aufmerksamkeit, obwohl es für die Menschen da um so viel, allen voran Freiheit, geht. Das könnte auch bald buchstäblich erstickt werden.
Ich hoffe das nicht. Ich hoffe, die Proteste in den USA, weltweit und auch in Hongkong gehen weiter. Trump hat der ganzen Welt gezeigt und bewiesen, dass er nicht als ein hirnrissiges Diktatorenpüppchen ist. Und so auch seine Bluthund-Polizisten. Jetzt wäre es an der Welt, die Konsequenzen zu ziehen, aber mehr als 'Verurteilen' wird man zumindest in Europa wohl nicht - und die anderen Großmächte wie Russland und China sind halt leider einfach genau so scheiße und egozentrisch. Wir sind umgeben von Bösewichten.
Bleibt nur zu hoffen, dass die Protestanten in Amerika weniger pessimistisch sind als ich, und weiter durchhalten. Es ist jetzt wirklich allerhöchste Zeit.
Viel mehr habe ich erst mal nicht zu sagen. Ich weiß, es ist nicht sonderlich viel und kratzt bestenfalls an der Oberfläche, aber wer sich wirklich informieren und besser vorbereiteteren Menschen zuhören möchte, und das empfehle ich ganz dringend, der findet dafür genug Material.
Hört auf, Menschen für ihre Hautpigmentierung zu diskriminieren. Da reicht es schon, die Straßenseite zu wechseln. Diskriminierung passiert so schnell, und wir glauben alle wir wüssten das und wären so aufgeklärt aber wie wir auf der anderen Seite des Atlantik sehen ist das vielleicht gar nicht so.
Haben wir 2020 nicht schon genug Probleme, dass wir auch noch auf farbigen Menschen rumhacken müssen?
Mir wird übel dabei, mich Mensch nennen zu müssen.
- Yoraiko
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