Montag, 19. Oktober 2020

Film-Review: Oculus (2013) - Ein Spiegel, sie zu knechten

 

 


 '"I've seen my demons - and there are many."

 

 

Oculus ist einer dieser Horrofilme, die man nur auf einem von zwei Wegen zu Gesicht bekommt: Entweder durch eine direkte Empfehlung, oder weil man zufällig über ihn stolpert. Mir ist Letzteres passiert, vor ein oder zwei Jahren, beim Stöbern in Internetportalen bin ich rein zufällig über das Cover des 2013 veröffentlichten Fast-Indie-Horrorfilms gestoßen, war interessiert, habe ihn mir angesehen. Und darüber war ich wirklich glücklich, denn 'Oculus' ist ein in vielerlei Hinsicht 'anderer' Horrorfilm, der mit beeindruckender Durchdachtheit, einem ganz eigenen Stil und intelligentem Psychoterror abseits abgetretener Pfade und billiger Jumpscares überzeugt. Dennoch ist der Film so unbekannt und findet in den meisten Bestenlisten nicht statt, was ich hauptsächlich darauf schiebe, dass 'Ocolus' sehr viel Aufmerksamkeit fordert und dadurch nicht was für jeden ist, und schon gar nicht von Fans von konventionellen Horrorfilmen wie 'IT' oder 'The Conjuring' ist, die klare Fronten haben, den Zuschauer an die Hand nehmen, leicht erkennbar in Gut und Böse unterteilen und am Ende alles aufklären. 

 

Ocolus trägt erfrischenderweise nicht die DNA des Popkorn-Horrors in sich, hat so gut wie keine Jumpscares oder dumme Teenager, es ist ein reinrassiger Psychothriller, der sowohl die handelnden Charaktere als auch uns dazu zwingt, unsere Wahrnehmung der Realität zu hinterfragen.

 

Spieglein, Spieglein an der Wand...  

Bedrohliche Spiegel sitzen in der Selbsthilfegruppe für ausgenudelte Horrorklischees gleich neben Psychoclowns, alten Herrenhäusern, Inzest-Hinterwäldlern, ausgemusterten Baby Borns, Messermördern und kamerascheuen Geistern. Regisseur Mike Flanagan gelang es mit Ocolus aber, ein einfaches Monster-Element mit einem ausgezeichneten Drehbuch zu einem verstörenden Thriller aufzubauen, der die Charaktere, die es zu bekämpfen versuchen, gegen sich selbst ausspielt. 

Tim und Kaylie Russel waren noch Kinder, als ihr Vater ihre Mutter folterte und ermordete, und Tim ihn schließlich aus Notwehr erschießen musste. Kaylie war überzeugt davon, dass all das durch den altertümlichen Spiegel ausgelöst wurde, den ihr Vater sich vor Wochen ins Büro gehangen hatte. Jetzt, viele Jahre später, wird Tim aus seiner psychatrischen Anstalt entlassen, von seiner Schwester abgeholt und auch gleich in ihren Plan eingeweiht - Den Spiegel, mit dem sie sich seit seiner Einweisung beschäftigt hat, endlich zu zerstören, und zu beweisen, dass von ihm eine übernatürliche Bedrohung ausgeht - Mittels Kameras und zahlreichen, narrensicheren Sicherheitsvorkehrungen.

 'Ocolus' findet auf zwei Zeitebenen statt

Zuerst ist da das Hier und Jetzt, in dem Kaylie ihren Bruder in das Haus ihrer Kindheit einlädt, wo sie extensive Vorbereitungen getroffen hat - Zahlreiche Alarmwecker, Kameras, Therometer, regelmäßige Anrufe, eine Guillotine(!!) an der Decke, die automatisch hinabstürzt, wenn sie nicht ständig zurückgestellt wird - um den antiken Spiegel an der Wand zu zertrümmern. Denn dieser, so zeigen es ihre historischen Recherchen und ihre Erfahrungen aus der traumatischen Kindheit, ist in der Lage in die Psyche seiner Opfer einzudringen und ihre Wahrnehmung zu manipulieren. 

Dann erleben wir die Vergangenheit - Kayle und Tim als Kinder, die in dieses Haus einziehen, und wie der Spiegel beginnt, ihre Eltern zu verändern. 


Während die Spannung der ersten Ebene vor allem dadurch entsteht, dass die Suggestin und Wahrnehmungsveränderung des Spiegels trotz aller Sicherheitsvorkehrungen der beiden Geschwister immer weitere Kreise zieht und dabei sowohl Zeit als auch Raumgefühl verschwimmen lässt, ist der Reiz der Vergangenheit, dass diese alsbald in die Gegenwart überfließt. Die Ebenen sind in der ersten Hälfte des Filmes mit guten Schnitten einigermaßen verständlich getrennt, verschmelzen aber mit zunehmender Laufzeit auf ganz hervorragende und kreative Art miteinander, so dass in manchen Szenen sowohl Vergangenheit als auch gegenwart zur selben Zeit im selben Raum stattfinden, wenige Kameraschwenke die Zeit wechseln oder die Vergangenheit-Ichs der Geschwister fließend in ihre jetzige Form übergehen. All das natürlich nur das Spiel des Spiegels, doch auf inszenatorischer Ebene genial. Das fordert Aufmerksamkeit, denn man muss im Auge behalten, was Realität ist und was vielleicht nicht, in welcher Zeitebene man sich gerade befindet und wo die Zusammenhänge bestehen. Man könnte noch mehr darüber sprechen, wie wohldurchdacht das Script des Regisseurs ist und wie intelligent der Horror und die Psyche in Oculus funktioniert, aber da will ich eigentlich nicht zu viel verraten. Es ist ein intellektuelles Gruselerlebnis, das in die Kerbe ähnlicher Indiefilme wie etwa 'Coherence' schlägt. 


Das Ende mag fast von Anfang des Filmes an vorhersehbar gewesen sein, verliert durch diese Tatsache aber nicht viel an emotionalem Impakt, welcher die verstörende Abschlussszene ausmacht. Auch hier eine Besonderheit im Horrorgenre - Das Finale bleibt noch länger im Sinn. Und es ist wie der Rest des Filmes hervorragend durchdacht, doch hier zu viel zu sagen wäre fatal. 

 

 

Die Szenenbilder sind hochwertig, die Musik atmosphärisch, die Schauspieler sind gut gewählt, vor allem Karen Gillan als Kaylie überzeugt auf ganzer Linie als das zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Trauer und Hass gefangene Kind, auch wenn ihr schottischer Akzent in der englischen Synchronisation dann und wann durchbricht. 



Fazit



Was ist real? Wann ist jetzt? Was ist Täuschung? Wo ist hier? Diese Fragen stellen sich nicht nur die Charaktere in Oculus permanent, sie werden an den Zuschauer weitergegeben, der hier von Anfang bis Ende aktiv zum Mitdenken angeregt wird in einem betont-kreativen, verstörenden und verworrenem Psychothriller, der sich nicht mit plumpen Jumpscares und abgestandenen Gruselklischees aus der Mottenkiste aufhält, sondern sehr schnell dazu übergeht, die erzählerischen Ebenen im Film außeinanderfallen zu lassen. Wie dabei im späteren Verlauf Zeit und Raum miteinander verschwimmen und sich gegenseitig scheinbar beeinflussen gehört mit zu der spannendsten Inszenierung des Genres und ist etwas, das man so nicht in anderen Horrorfilmen zu sehen bekommt.

Oculus ist konsequent bis zum Schluss, und auch für zartbesaitetere Zuschauer geeignet - Die Gewaltdarstellung hält sich in Grenzen, trotz mancher wirklich harter Szene, die an die Nerven geht. 

Zu empfehlen ist im übrigen auch der Kurzfilm des Regisseurs, auf dem Oculus basiert. Das Konzept und die Machart lassen sich bereits gut verfolgen und ergeben in der Summe eine spannende halbe Stunde. 



8 von 10 Guillotinen für Oculus




 

- Yoraiko

 

 

 

 

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