Sonntag, 11. Oktober 2020

RPG Maker-Review: Mysterylady's Heldensaga, Teil 2: 'Feuer um Mitternacht' (2004) - Eine Geschichte so gut

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Erstellungsjahr: 2004
Ersteller: Mysterylady
Genre: Rollenspiel, Adventure, Drama, Fantasy
Spielzeit: Ca. 20 Stunden
Engine: RPG Maker 2000



'Mysterylady' war das Internetsynonym einer bekannten und recht populären, österreichischen RPG-Maker-Erstellerin, welche von 2001 bis 2013 in der deutschen Szene aktiv war, und mit ihrem einprägsamen und vor allem optisch außergewöhnlichen Stil einen bleibenden Fußeindruck hinterlassen hat. Ihre drei nennenswerten Makerspiele, welche grob als 'Heldensaga' betitelt werden, erzählen eine vage zusammenhängende Geschichte, deren zweiter Teil 'Feuer um Mitternacht' den mit Abstand größten Erfolg verbuchte und auch heute noch als großer Klassiker der deutschen Community gilt, wenn auch nicht mehr so euphorisch wie damals. Dies ist das zweite von drei zusammenhängenden Reviews in chronologischer Reihenfolge zu allen Mysterylady-Spielen, welches sich genau mit diesem Feuer um Mitternacht beschäftigt.


Im Gegensatz zum tragisch-trashig gealterten Helden hat mich bei Feuer um Mitternacht nicht die Manipulation der Nostalgie heimgesucht, stattdessen war alles, wie ich es in Erinnerung hatte: Menschlich und außergewöhnlich, mit den typischen Schwächen der Heldensaga, die sich aber dort, wo es zählt, bedeutend weniger störend abspielen als noch im Erstling. Man merkt der Erstellerin vor allem in den Dialogen und der Story eine spürbare Weiterentwicklung seit Helden an, die sie im dritten und letzten Teil Eroberung - weiß der Teufel warum - auch gleich wieder verloren hat.


Feuer um Mitternacht hat sich in den letzten Jahren zu einem der kontroversesten 'Makerklassiker' der deutschen Szene gewandelt, welches längst keine so saubere Ruhmweste wie ein 'Monschein', ein 'Unterwegs in Düsterburg' oder ein Kelvengame hat. Kaum ein anderes, altes RPG ähnlicher Bekanntheit wurde so vehement in Youtube-Let's Plays zerrissen, kaum eines rückwirkend so für seine Unglaubwürdigkeit abgestraft. Ich selbst habe im Bezug auf dieses Spiel eine gewisse Befangenheit: Feuer um Mitternacht ist mein liebstes Makerspiel überhaupt, ohne wirkliche Konkurrenz, und das hat sich auch nicht mit dem kürzlichen erneuten Durchspielen geändert. Doch meine Befangenheit macht mich nicht blind - Helden hatte ich auch in glänzender Erinnerung, und das war nicht mehr als ein Furzkissen mit Goldlack. Es fällt mir darum noch immer schwer, nachzuvollziehen, wie so viele 'neuere' Spieler von Mysteryladys Flaggschiff-Titel dessen im Makermedium so seltene Stärken übersehen. Feuer um Mitternacht ist ein Spiel vor allem über Charakterentwicklung, über komplexe Beziehungen zwischen Charakteren, und über Identität. Was will ich sein, was will ich werden, und was will ich dafür tun oder auch nicht? Und während die Protagonisten der allermeisten (RPGMaker-)Spiele am Anfang der Geschichte exakt das selbe sind wie am Ende, macht der Protagonist von Feuer um Mitternacht eine kontinuierliche Entwicklung durch, die erst mit den Credits beendet ist und ihn zum buchstäblichen und nachvollziehbaren Gegenteil dessen macht, was er zu Anfang war und ausstrahlte. Hinzu kommt eine Handvoll weiterer, gutgeschriebener Personen, die sich meist weit ab des stereotypen Klischeespektrums eines Vampires Dawn oder der blassen Infantilität eines 'Helden' bewegen. Feuer um Mitternacht ist eine Charakterstudie mit der für mein Gefühl besten und ausgefeiltesten Handlung im deutschsprachigen Makerraum, mit den stärksten Charakteren die eine Entwicklung durchmachen die mir von anderen selbstgemachten RPGs fremd ist. Was man dafür in Kauf nehmen muss, ist ein bestenfalls sperriges Gameplay mit noch immer viel zu vielen Bugs, einem borderline-fatalistschen Schwierigkeitsgrad, ausreichend Rechtschreibfehler für drei Bücher und eine Handlung, die vielleicht nicht immer so viel Sinn ergibt wie die Entwicklung ihrer Charaktere.


Für viele ist dieser Deal ein Schlechter, und letztendlich ist das eben die Frage: Wollt ihr von einem Makerspiel gutes Gameplay und ein stimmiges Gesamtpaket, oder doch eine packende Charakterstory, die sich homogen entwickelt und euch in ihrer Authentizität anderswo versagt bleibt?

Seid ihr noch unsicher, lest weiter.



Fifty Shades of Daar

Der im Staate Dunglas landesweit gesuchte Schwarzmagier und vermeintliche Massenmörder 'Daar' geht mit seiner Ruchlosigkeit eines Tages zu weit, als er versehentlich einen Jungen tötet, welcher als 'Hoffnung der Welt' das Gleichgewicht der Natur in sich trug. Für diese Tat muss sich Daar nicht nur vor den Priesterinnen, die ihn verfolgen, sondern auch vor der schier allmächtigen Göttin Reeza höchstpersönlich verantworten, was nicht nur im Vollverlust seiner Kräfte sondern schließlich auch in einer tiefgreifenden Identitätskriese endet. Ausgesetzt wie ein Hund gilt es für Daar fortan, unter dem Radar zu bleiben, Reeza zu gehorchen und herauszufinden, was es mit diesem sogenannten Gleichgewicht der Welt auf sich hat.



Feuer um Mitternacht ist eines der wenigen Makerspiele, die sich getraut haben, einen echten Antihelden in der Hauptrolle zu installieren. Daar ist ein vulgärer, pöbelnder, unausstehlicher, brutaler, ignoranter, selbstgerechter Hexer, dem jedes Opfer recht ist, wenn es seinen Zielen dient. Also die perfekte Ausgangslage für eine lange, komplexe Charakterentwicklung, die ihn sowohl durch ganz Dunglas als auch an diversen, irgendwie mit ihm verbundenen Charakteren vorbeitreibt. Der rote Faden besteht hier aus den Befehlen Reezas, welche in der Handlung als eine Art 'Schutzpatronin' für Daar fungiert. Erst etwa in der Mitte des Spiels überschlagen sich Twists und Erkenntnisse, Hintergründe werden klar und die wirkliche Handlung wird offenbart. Das sorgt dafür, dass Feuer um Mitternacht sich zu Beginn sehr erzählfreundlich anfühlt - Daar muss sich ohne die Kraft der Teleportation mit geringen Mitteln durch Städte und Gegenden arbeiten, denen er dabei genau so fremd ist wie wir. Ihn treibt keine Weltrettungsquest an, er wird nicht begleitet von seiner Kindheitsfreundin die insgeheim seine Babys möchte, er ist einfach ein gesuchter Verbrecher, der seine Kräfte zurückerlangen möchte, ohne groß aufzufallen. Das sorgt für eine gewisse Spannung, was mich auch dazu bringt, wie die Geschichte in Feuer um Mitternacht strukturiert ist.



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Helden besitzt, das habe ich in meinem kürzlichen Plaxthrough festgestellt, keinerlei Storystruktur. Es ist eine wahllose Aneinanderreihung von Events. Bei Feuer um Mitternacht hatte ich dieses Gefühl nie, da die Motivation, an Ort A zu gehen oder B zu tun immer zumindest weitestgehend nachvollziehbar geschieht, und sich die Story und die Ereignisse vor ALLEM in der zweiten Hälfte des Spiels so gänzlich unromantisiert entwickeln. Keine albernen Dramaturgien, es wird getan was getan werden muss.




Es ist sinnvoll nochmals herauszustellen, dass Feuer um Mitternacht sich in verschiedene Handlungsbögen unterteilt, dabei aber vor allem die zweite Hälfte komplett anders aussieht als die Erste. Dies hängt mit der enormen Charakterentwicklung zusammen, die vor allem der Protagonist hinter sich bringt, so dass das Spiel später zwar weniger 'aufregend' ist als am Anfang, dafür aber auch ein ganzes Stück herzerwärmender und emotionaler. Storytechnisch finden in Feuer um Mitternacht wirklich einige verschiedene Ansätze statt, wo andere Spiele sich auf nur einen Einzigen begrenzen. Beispiele wären hier Unterwegs in Düsterburg oder Eternal Legends, welche von Anfang bis Ende die gleiche Storyline verwenden, während Feuer um Mitternacht oder etwa auch Die Reise ins All von Realtroll innerhalb der Erzählung mehrmals die Stimmung und Zielsetzung durchwechselt.




Persönlich habe ich die Handlung vor allem im letzten Drittel wirklich geliebt, weil der Kontrast zu Beginn des Spiels so außerordentlich ist. Es ist wie das Ende eines langen Buches, durch das man sich zusammen mit den Charakteren begeben hat. Da fält es dann auch leichter zu verzeihen, dass der Kernplot und einige zentrale Konflikte am Ende von Mysteryladys großem Zweitling nicht so wirklich viel Sinn ergeben und besser nicht zweimal hinterfragt werden sollten - Das ist ein ärgerliches Versäumnis, vor allem weil es diese Elemente in der umgesetzten Form nicht mal zwangsweise gebraucht hätte, doch der Trost bleibt bestehen, dass es in Feuer um Mitternacht nie um die größere Handlung, sondern immer um die Charaktere und deren äußere und innere Konflikte ging.


Das Ende von Feuer um Mitternacht erreicht - trotz seiner Antiklimatik - was dem Vorgänger und vielen anderen Makerspielen versagt blieb - ein runder Abschluss, der sich mit wirklich ALLEN Charakteren und derem Verbleib beschäftigt und uns als Spieler das Gefühl gibt, wirklich etwas für diese Personen getan zu haben. Das ist viel wert, auch nach all der Zeit noch.




Die Charaktere - Ain't no stereotypes in good, ol' Dunglas 

Was an Feuer um Mitternacht positiv durch die Dialoge scheint, ist deren Alltagsnähe und Menschlichkeit. Viele der handelnden Personen reden so, wie sie es in der Realität wohl auch tun würden, ohne die ganzen Grammatik-, und Rechtschreibfehler, versteht sich. Eine Großzahl der Gespräche zwischen den in verschiedenen Beziehungen stehenden Charakteren sind so sympathisch, so herzerwärmend oder belustigend, dass ich gar nicht anders kann als eine Zuneigung für den Cast zu entwickeln. Und das mit zunehmender Spielzeit exponentiell.



Wir haben Hauptcharaktere wie Laura, eine junge Hexerin welche Daar als eine Art Vorbild ansieht(Und wahrscheinlich Poster von ihm an der Wand hat), die kompromisslos-rechtschaffene Hohepreisterin Philandora(Danke nochmal für den fantastischen Namen Mysterylady), die sadistisch-nachsichtige Exibitionisten-Göttin Reeza oder die burschikose Jägerin Kayla, welche im Schatten ihrer Schwester Philandora steht. Man kann von vielen dieser Personen halten was man will, aber gerade aus heutiger popkultureller Sicht fällt positiv auf, wie wenige anstrengende Klischees einem hier entgegenschlagen. Sicherlich kann man einer Laura das 'Niedliche Kind' attestieren, oder einer Kayla 'Die toughe Braut', aber die Wahrheit ist, dass das nur Fragmente der geschriebenen Persönlichkeiten abbildet. Was mir neben den sich entwickelnden Beziehungen zwischen 'zusammenarbeitenden' Charakteren gefallen hat ist, wie in Feuer um Mitternacht aus Totfeinden und Rivalen zutiefst vertraute Kameraden und manchmal sogar Freunde werden. Das ist kein seltener Trope in klassichen Heldengeschichten, hier aber ist er hervorragend umgesetzt. Der Protagonist entwickelt sich in eine Richtung, die einem später stellenweise das Herz wegschmilzen lässt, und das unnahbare Monster vom Anfang gänzlich ent-mystifiziert. Und während Helden in anderen Geschichten in ihrer Charakterentwicklung vielleicht einen oder maximal zwei Umbrüche und Veränderungen durchmachen, verändert Daar sich im Laufe der Handlung drei oder vier Mal signifikant, als würde er eine Eierschalen-Matrjoschka sprengen.


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Sucht ihr in eurem Retro-RPG vor allem einprägsame Charaktere, seid ihr hier richtig. Was im Gegensatz zu den Protagonisten stark abflacht sind die Antagonisten. Der noch deutlich diabolischere und größenwahnsinnigere Hexer als Daar, Zordac, nimmt eine zentrale Feindesrolle ein, die allerdings nie so recht Bedrohlichkeit versprühen will und am Ende auch irgendwie in sich selbst zusammenfällt. Die bereits aus Helden bekannte Gegenspielerin 'Shiva' deren Hintergründe ich hier nicht weiter beleuchte, ist in ihrer Idee eine großartige Schurkin, die am Ende jedoch auch dem inkonsequenten Finale Mysteryladys zum Opfer fällt, und in 'Eroberung' vollends zur Witzfigur zerschreddert wird.


"Ich glaube ich habe das mit dem Blumenblühen jetzt kapiert"


Der Trost? Die 'Bösewichte' sind in Feuer um Mitternacht nicht der wahre Antagonist, sondern der Held selbst. Belassen wir es dabei.





 

Its always dungel in Dunglas
Die Welt von Dunglas ist etwas, das mir von Feuer um Mitternacht merklich in Erinnerung geblieben ist, weil Mysterylady den Spieler so gnadenlos mit ihr zuscheißt. Das Konzept der 'verbundenen Gebiete' ohne Weltkarte, durch die man sich immer in Echtzeit bewegen muss, kannten wir schon aus Helden, aber dort führte es zu unsäglichen Fillergebieten und immergleichen Waldpfaden, die keinen Zweck verfolgten. In Feuer um Mitternacht hat sich auch das Mapping der Erstellerin DEUTLICH gebessert, so dass viele auch eher einfache Waldgebiete einfach einbprägsam und charakteristisch für das Spiel sind. Außerdem profitiert die Umgebung SEHR vom zentralren Storykniff: Man wird - gewollt oder ungewollt - an fast jeden Ort im Spiel mehrmals zurückkehren, manchmal durchläuft man das selbe Gebiet vier oder fünf Mal, und jedes Mal aus einer anderen Richtung. Was wie nerviges Backtracking klingt sorgt für viele "Aha!"-Momente, weil man nach und nach versteht, wie die Gebiete miteinander verbunden sind und so eine nachvollziehbare, fühlbare Welt entsteht. Dieses Gefühl ist schwer mit einer Weltkarte zu erreichen.


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Hinzu kommt, dass Mysterylady in ihrem Erstling kaum Akzente setzen konnte - eine Stadt sah aus wie die Nächste, die Wälder und Wiesen waren grüne Kleckse, man langweilte sich beim Durchqueren über die ganze Tastatur. In Dunglas gibt es viele Akzente und viele hervorstechende Gebiete, die für damaligen Makerstandard recht ansehlich waren, manche sogar hervorragend und einprägsam. Hier sein etwa die Wasserstadt Lysee, welche auf Holzstegen gebaut ist, der heilige Tempel oder auch die 'Tote Zone' genannt, in der alles aussieht wie eine bombardierte Stadt des zweiten Weltkriegs. Plus Untote. In der Welt von Dunglas ist eine Menge Variation, denn die Erstellerin verstand es diesmal, dass Städte und Wälder mehr sein müssen als Fließband-Material zum Durchlaufen.



 
 
 

 

Gameplay & Kämpfe - Die Creme de la Scheiße                                   

Reden wir nicht drumrum - das Gameplay in Feuer um Mitternacht ist ein Kompromiss, zu eurem Verlust. Jetzt mal abgesehen davon, dass die fehlende Weltkarte impliziert, dass ihr sehr viel Zeit mit Laufen und Latschen verbringt, ist die große Krux, dass Mysterylady sich auch dieses Mal wieder nicht die allergeringste Mühe gegeben hat zu testen, ob ihr verdammtes Spiel überhaupt spielbar ist. Wie auch in Helden - und fast schlimmer als da - ist das Projekt bis obenhin voll mit Bugs, von denen nicht wenige dazu führen, dass man nicht weiterspielen kann und Neuladen muss. Die Textboxen sind bis obenhin voll mit Rechtschreibfehlern und kruden Sätzen, die so keinen Sinn ergeben, was insgesamt definitiv zu einer Minderung der Immersion führt.


Was allerdings geade aus heutiger Sicht wirklich unverzeihlich ist, sind endgültige GAMEBREAKER und Designfehler. Ersteres in Form eines falsch gesetzten Switches vor dem ENDKAMPF(!!) des Spiels der dafür sorgt, dass man Feuer um Mitternacht nicht beenden kann, und der auch heute noch WIE AUCH IMMER in einigen Versionen des Spiels kursiert. Zweiteres in Form der - Es tut mir leid -
belastend-bescheuerten Mechanik, dass wenn ihr einen Charakter habt der im Kampf ohnmächtig wird und ihn nicht wiederbelebt bevor ihr in eine Szene kommt in der ihr nur diesen Charakter spielt, es für euch Game Over heißt - weil euer einziger Charakter ja 'tot' ist. Habt ihr dann keine Heilmittel mehr zur Verfügung, heißt es, das gesamte Spiel neustarten, weil ihr keine zweiminütige Sequenz mit dem Charakter ansehen könnt. Fabulös, Mysterylady, ehrlich, das hätte auch der Teufel nicht besser hingekriegt.


 
"Lass mal den Teufel aus dem Spiel, der schuldet mir noch drei Seelen"




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Der Schwierigkeitsgrad ist ein berüchtigtes Element von Feuer um Mitternacht, denn er ist gnadenlos, gängelnd, verzeiht keine Fehler und legt frühes Grinden nahe. Während das gefühlt über weite Strecken besser funktioniert als bei Helden und später, wenn der Levelknoten platzt mit brachialen Gefechten auch richtiggehend Spaß macht, bluten Spieleraugen vor allem dann, wenn Mysterylady sie vor Kampf-Sackgassen setzt - Brutal-unbalancierte Kämpfe innerhalb einer Storysequenz, die ihr dann zumeist ohne jede weitere Möglichkeit der Vorbereitung absolvieren müsst, weil das Spiel sonst für euch zuende ist. Seid ihr dazu nicht in der Lage - Neustart. Gerade aus aktueller Sicht ist sowas nicht mehr zumutbar und der eine echte Grund, warum man Feuer um Mitternacht ohne Maker vielleicht besser als Let's Play anschauen sollte. Zwar wird das Balancing selten so unfair wie in Helden und auch der Endkampf ist spotteinfach, aber die Guillotine kann eben dann zuschlagen, wenn man es am wenigsten erwartet und braucht. Für mich waren es damals als Kind vier Neustarts, bevor ich das Spiel beenden konnte. Vier.





 

Grafik & Musik - Mysterylady-Productions 

Der grafische Stil der Erstellerin hat hier in Feuer um Mitternacht ihre ganz persönliche Note entwickelt, die sich gänzlich von allen anderen Makerstilen unterscheidet und für mich etwas wirklich Hübsches, Verträumtes hat. Ich mag die Charaktergrafiken, ich mag die Posen und die Emotions-Ausrufezeichen, die Gebiete in hauptsächlichen Standardgrafiken, welche aber gekonnt zusammengenäht sind. Hauptsächlich warme Pastellfarben findet man in Dunglas, mittelalterlich mit ein paar überraschenden Ausrissen im späteren verlauf.



Der Titelbildschirm zeigt einmal mehr das zeichnerische Talent, das Mysterylady damals innehatte, und zählt zu meinen Lieblingstiteln auf dem Maker. Das Standard-Kampfsystem wird enorm durch die animierten Charakterposen aufgewertet, welche Mysterylady gezeichnet hat. Interessante, visuelle Ideen wie zwei nackte Göttinnen mit Neonhaaren sind hinter ihrem Potential geblieben, heben sich aber dennoch von der Masse an uniformen Ganoven ab.


Insgesamt ist die Optik eines der stimmigeren Elemente von Feuer um Mitternacht, die es wie ein altes Bilderbuch erscheinen lassen.



Die Musik ist abermals aus vielen kommerzielen Spielen dieser Zeit zusammengestellt, Mysterylady bewieß jedoch einen gestiegeneren Standard und weniger Einfallslosigkeit bei der Ausahl ihrer Titel. Während ihr Erstling durchzogen war von nichtssagenden Melodien, hat sie sich in Feuer um Mitternacht für tolle Stücke entschieden, die wunderbar zu den ruhigen, emotionalen Momenten der Charaktere passen wollen und so ein Stück weit auch auf das Spiel geprägt sind - Stücke wie das Ocarina of Time-Theme oder die Lysee-Musik (Ich glaube es kam aus Daggerfall...?) werden für mich für immer mit Feuer um Mitternacht und seiner Dramaturgie zusammenhängen. Das zeugt nach all den Jahren für Feingefühl bei der Auswahl.
 

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Fazit - Verkannter Schrullenroman

Mir ist meine subjektive Sicht in diesem Review bewusst - es ist weniger eine Vorstellung als mehr eine Empfehlung und ein Loblied auf die Charaktere und die Handlung des Spiels. Gleichwohl muss man aber sagen, dass Feuer um Mitternacht so oder so einen deutlichen Sprung von Mysteryladys Erstling darstellte, da kann es keine Meinungsverschiedenheit geben. Ebenso überzeugt bin ich wenn ich sage, dass der Nachfolger die größte Katastrophe des Franchises war, womit ich für mich zu dem Schluss komme, dass Feuer um Mitternacht innerhalb der Heldensaga das einzige Projekt ist, dem ich mit der gebührenden Nostalgie auch heute noch Stärken abgewinnen kann. Ja, zweifellos, Feuer um Mitternacht braucht Zeit, um in Fahrt zu kommen, und davon nicht zu wenig. Der Anfang ist gewöhnunsbedürftig, doch ist man darüber hinaus, legen sämtliche Charaktere, vor allem der Protagonist, eine bis zum Ende des Spiels nicht aufhörende Entwicklung hin, werden in ihren Konzepten mehrmals umgeworfen und neugezeichnet. Dabei wird mit Dunglas ein fühlbares
und greifbares Umfeld skizziert, das vorallem dadurch besticht, dass die einzelnen Orte immer wieder auftauchen und sich nach und nach alles verbindet. Es ist kein Schlauch, wie in vielen anderen Makerspielen. Die Charaktere haben Tiefe, jeder von ihnen mehr als der Protagonist so manchen Spiels, und sie sind authentisch geschrieben, alberne Überzeichnungen sucht man vergebens. Feuer um Mitternacht ist auch weniger Heldenepos als mehr eine Charakterstudie über einen Protagonisten, der Stärke erlangen wollte, sich dabei verloren hat und im Laufe des Spiels nach und nach über sich, seine Taten und seine Vergangenheit hinauswachsen muss. Ein erzählerisches Vorgehen, das ihr auf dem Maker nur sehr selten finden werdet.

 
Auf der anderen Seite steht die Tatsache, dass dies hier ein Spiel ist und kein Roman. Dafür hätte es auch viel zu viele Rechtschreibfehler, und die Dialoge sind spürbar zu einfach geschrieben. Ein Spiel muss, mögen die Charaktere auch noch so überzeugend sein, als Spiel überzeugen, vor allem wenn es ein Retro-RPG von 2004 ist. Hier versäumt Feuer um Mitternacht fast alle Parameter, ist Laufsimulator, Frustpatrone und Stormtrooper-Kriegsgebiet in einem. Erwischt man die falsche Version des Spiels kann man es ohne Cheaten nicht Durchspielen, und in jeder Version existieren so viele Fehler, die einem ohne regelmäßiges Speichern Stunden des Fortschrittes nehmen können. Sogar mit Pixelnostalgie ist das nicht hinzunehmen und es ist schwer nachzuvollziehen, wie die Erstellerin damals nur so fahrlässig vorgehen, und wie man ihr das durchgehen lassen konnte. Sollte sich also jemand noch für diesen - gerechtfertigten - Klassiker der deutschen Szene erwärmen können, so tut er das besser über ein Let's Play - am besten eines, das nicht von unlustigen Idioten geführt wird. Aber das, liebe Leser, ist am Ende des Tages ja Geschmackssache.



Mein Geschmack spricht eine klare Sprache - Nachsicht. Nachsicht mit einem zerbeulten, grobschnitzigen, unspielbaren Spiel, das doch in seiner Handlung und in seinen Charakteren so unheimlich viel Herz besitzt. Ein Remake von Feuer um Mitternacht, oder eine Runterbrechung auf die Geschichte, würde ich persönlich mit Freudenjauchzen begrüßen. Da dies aber nicht geschehen wird, behalte ich mein persönliches Lieblings-Makerspiel in guter Erinnerung, statt es seiner Schwächen zu strafen.
 
Dafür - da habe ich keine Zweifel - wird es bei Eroberung noch genug Möglichkeiten geben.






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  8 von 10 Eruptionen für Feuer um Mitternacht

->Yoraiko liebt dich noch immer




- Yoraiko




2 Kommentare:

  1. Vielen Dank für deine schönen Artikel über die RPG-Maker-Spiele, die mir in meiner Jugend so viel bedeutet haben. Gerade Helden und Feuer um Mitternacht waren zentrale Erfahrungen für mich. Deine Kritik ist natürlich berechtigt, aber bleibt fair. Das gefällt mir.

    Ich werde mir noch einige weitere deiner Reviews durchlesen. Ein paar über geliebte Klassiker, ein paar über Spiele, die ich noch nicht probiert habe, um zu sehen, ob ich sie nicht vielleicht doch probieren sollte.

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    1. Vielen Dank für die Worte, schau gerne auch mal auf meinem YT-Kanal vorbei, da gibts mehr davon, die Seite hier ist nur noch Archiv.

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