Freitag, 4. September 2020

RPG Maker-Review: Mysterylady's Heldensaga, Teil 1: 'Helden' (2004) - Mahnmal der Nostalgiebrille

 


 

Erstellungsjahr: 2004
Ersteller: Mysterylady
Genre: Rollenspiel, Adventure
Spielzeit: Ca. 10 Stunden
Engine: RPG Maker 2000

 

 

'Mysterylady' war das Internetsynonym einer bekannten und recht populären, österreichischen RPG-Maker-Erstellerin, welche von 2001 bis 2013 in der deutschen Szene aktiv war, und mit ihrem einprägsamen und vor allem optisch außergewöhnlichen Stil einen bleibenden Fußeindruck hinterlassen hat. Ihre drei nennenswerten Makerspiele, welche grob als 'Heldensaga' betitelt werden, erzählen eine vage zusammenhängende Geschichte, deren zweiter Teil 'Feuer um Mitternacht' den mit Abstand größten Erfolg verbuchte und auch heute noch als großer Klassiker der deutschen Community gilt, wenn auch nicht mehr so euphorisch wie damals. Im Folgenden werde auch ich drei zusammenhängende Reviews in chronologischer Reihenfolge zu allen Mysterylady-Spielen abliefern und diese Revue passieren lassen, was vor allem interessant wird, weil ich sie in meiner Erinnerung so radikal unterschiedlich verordnet habe: 

 

- 'Helden' als der ungeschliffene, aber liebenswerte Erstversuch, welcher bereits einen Ausblick auf die tiefgehenden Geschichten und komplexen Charakterentwicklungen gab, welche Mysterylady in 'Feuer um Mitternacht' zur vollen Blüte brachte

- 'Feuer um Mitternacht' als der überstrahlende Riesenerfolg, bis heute mein liebstes deutsches Makerspiel überhaupt und eine Brachialreferenz dafür, wie ausgezeichnet und nachvollziehbar auch kleine Pixelcharaktere mit Textboxen geschrieben werden können

- 'Eroberung' als der fundamentale Zusammenbruch des gesamten Franchises in seine Einzelteile, welches jede Stärke der Vorgänger ad absurdum führte, die Reihe in den Abgrund riss und vor allem gegen Ende die verpuffende Motivation seiner Erstellerin offenbarte. 

 

 So weit meine Erinnerungen, bis ich mich vor kurzem entschied, das erste Mal seit etwa zehn Jahren das gesamte Franchise nochmals zu erleben und mir mit dem Gehirn eines gereiften, verwesenden Erwachsenen einen erneuten Eindruck zu verschaffen. Beginnen wir also mit Helden, dem ersten großen Projekt von Mysterylady, welches ihre Makerkarriere begründete und dazumal einen äußerst guten Ruf in der Community genoss. 


Bedauerlicherweise hat mich die oben beschriebene Erinnerung im Bezug auf 'Helden' in einem Maße getäuscht und an der Nase herumgeführt, dass ich es nicht für möglich gehalten hätte. Und wie? Selbstverständlich - mit dem schädlichsten Gift, dem größten Saboteur möglichst objektiver Eindrücke angestaubten Materials - der Nostalgie

 



Der Tod der Erinnerung ist stets die Realität


Manchmal muss man in einem Review andere Dinge schreiben, als man es gerne hätte. Weil man mitunter zu geliebten Spielen eines anderen Lebensabschnitts zurückkehrt und feststellen muss, dass die eigene Nostalgie der potenteste Wahrnehmungsfehler in Bezug auf Erinnerungen ist, und als medizinisch-behandelbare Geisteskrankheit anerkannt werden sollte. Als ich mit Helden anfing, war ich mir so sicher, hier solide unterhalten zu werden - technisch rückständig, aber bei der Stange gehalten durch gut-geschriebene Charaktere und eine packende Handlung. Ach, du verfluchte Nostalgiebrille, elendes Monstrum du, schäbiger Erinnerungsparasit. 


Helden ist ein furchtbares, unzureichendes, ja beinahe schädliches RPG. Dieser zusammengeschmierten Vollversion irgend ein anderes Testament als 'Hoffnungslos unzeitgemäßes Relikt einer Ära der Anspruchslosigkeit' auszustellen wäre eine Farce, ich würde mich vor meinem eigenen Spiegelbild lächerlich machen. In allen Punkten, das heißt Technik, Gameplay, Story, Charaktere, Dialoge, Worldbuilding, Musik, Schwierigkeit, Kreativität und Abwechslungsreichtum, fällt Helden durch jedes ernstzunehmende Bewertungsraster bis in den dritten Unterbau. Weder macht es Spaß, dieses Makerspiel selbst zu erleben, noch ist es eure Zeit wert. Warum dann dieses Review? Als Trauerbewältigung. Wenn ihr wissen wollt, wie ein Spiel, das Anfang der 2000er eine breite Popularität genießen konnte, heutzutage nicht mal mehr mit einem Strahlenschutzanzug untoxisch wirkt, dann leistet mir Gesellschaft in meinem Sitzkreis der Selbstoffenbarung. 


Eine Geschichte in 12 Kackten

 

'Helden' erzählt von dem Jungen namens Alan, der ohne Erinnerung an sich oder seine Vergangenheit in einem Gebirge mitten im Nirgendwo aufwacht. Ohne rechtes Ziel kämpft er sich in ein nahegelegenes Dörfchen vor, wo Priester Elex ihm Unterkunft und Rat anbietet. Fortan wird Alan auf seiner Reise durch die mittelalterliche Welt Nypoon in zunächst kleine, doch dann immer größere Wellen schlagende Konflikte von Freiheit, Frieden und Politik gezogen, im Zuge derer er auch seiner eigenen Natur näher kommt und viele treue Freunde gewinnt.


Mein Beschreibungstext lässt die Story besser klingen, als sie tatsächlich ist - und der ist nicht mal besonders gut. Die übergeordnete Handlung von Alan, der wie schnell klar wird kein Mensch ist, bleibt im gesamten Spiel eher Nebensache, so wie eigentlich jedes andere wichtige Thema auch. Zwischen zwei Ländern schwelt ein alter Konflikt und es droht Krieg auszubrechen, aber statt eine zusammenhängende Story dazu zu erzählen, stürzen wir von Anfang bis Ende in ein wahllos und obskur erscheinendes Ereignis nach dem Anderen, wobei uns immer wieder suggeriert wird, dass wir die Helden sind, die hier um das Schicksal des Friedens kämpfen. Nüchtern betrachtet aber steuert man einen Mutanten und ein paar Teenager, die marodierend durchs Land ziehen und verkloppen, was sie so für böse halten.

 


 

Die Struktur der Handlung ist eine einzige Katastrophe, es gibt keine sich steigernde Dramaturgie, keine wirklichen Sinnabschnitte oder Akte, keine Einsichten in den großen Konflikt abseits der eingeschränkten und wenig aussagekräftigen Perspektive unserer Helden, die von einem Zufall in den nächsten stolpern, und das dann 'Abenteuer' nennen. Weder die Motivation von Protagonist Alan, der in all das nur reingerät weil er ein paar Schülern zufällig hilt in ihre Schule einzubrechen, wird dabei jemals irgendwie beleuchtet, noch die Beweggründe ausnahmslos aller anderen Charaktere. Sicher, es gibt das Motiv des 'Friedens', der bewahrt werden soll, das war es dann aber auch schon. Das Ende von Helden wirkt ebenso grotesk-beiläufig und unangekündigt wie alles davor, das Finale könnte eine Werbe-Einblendung sein und der nichtssagende Cliffhanger, der einem hier für viele Stunden des sinnlosen Grindings entgegengeschmettert wird und keinen Funken Sinn ergibt ist eine Unverschämtheit. Da ist es noch umso schlimmer, dass die Story von Helden im Nachfolger 'Feuer um Mitternacht' so gut wie gar nicht und in 'Eroberung' nur hochgradig mangelhaft fortgeführt wurde.  

 

Die Charaktere besitzen, vollkommen konträr zu meiner Erinnerung verdammt, kein Fünkchen Tiefe und fühlen sich von der ersten bis zur letzten Szene genau so an wie Hämorrhoidencreme als Brotaufstrich - Eigentlich für'n Arsch. Fairerweise sei gesagt, dass vereinzelte Personen charmante Momente haben und niemand einem auf die Nerven geht, aber das Positive in 'Heldens' Heldenriege besteht aus Stecknadelköpfen in einem Ozean aus Heuhaufen. Oder, in diesem Fall treffender formuliert, biologisch nicht-abbaubare Komposthaufen. 

 

Die Dialoge - und ich schwöre ich hatte es anders abgespeichert - sind infantiler als der Bravo Love Story-Comic, in dem Jenny(14) von Alex(24) ausversehen auf der Rolltreppe geschwängert und anschließend in Kleinbayern geheiratet wird. Es hilft ohnehin schon nicht, dass Mysterylady wohl kein gutes Gefühl für die deutsche Grammatik hatte, so dass fast jeder(!!) Satz inkorrekt formuliert ist, doch die Sintfluten an Rechtschreibfehlern gepaart mit der kurios-kindlichen Sprache aller Charaktere ergibt einen unbekömmlichen Cocktail, der nur in sehr, sehr seltenen Momenten einen Vorgeschmack auf die Charakter-Studien-Rafinesse von Feuer um Mitternacht zulässt. 

 

Wie gesagt, es sind Ansätze der späteren Qualitäten Mysteryladys da - Die beiden Hauptcharaktere Alan und Roanna entwickeln eine Beziehung zueinander, die Potential gehabt hätte. Nur war da leider nicht wirklich eine Entwicklung. Der Priester Elex, der für Alan zu einer Vaterfigur wird, bildete mit ihm ein interessantes Duo, das leider jedoch nach 1/5 des Spiels bis zum Ende wieder außeinandergerissen wird. Die drei zankenden Strohkopf-Brüder waren eine gute Idee, die nur im Mittelteil irgendwie vergessen wurde. Alles niedergebranntes Holz, wo ein Haus hätte stehen können. 


 Nur mit Cheaten durchspielbar?

 

Mysteryladys Spiele sind für mehrere Elemente bekannt. Dazu zählen ihr einprägsamer Grafikstil und die unbarmherzige Schwierigkeit, aber auch die Legionen peinlicher Bugs, Spielfehler und Storybreaker, welche bedauerlicherweise die gesamte 'Heldensaga' durchziehen. Während ich im 'Eroberung'-Review rechnerisch herausstellen werde, warum es sich dabei vermutlich um das verbuggteste RPG Maker-Spiel handelt, das jemals in Deutschland erschienen ist, ist auch Helden nicht frei von der schändlichen Unsauberkeit von Mysterylady und ihren Ghost-Betatestern: In meinem Spieldurchlauf gab es acht oder neun Stellen, in denen das Spiel hängen blieb oder nicht weiter ging, weil eine Szene falsch gescripted wurde. Manche Schätze oder Wege sind so ungeschickt platziert, dass man ohne zu cheaten gar nicht zu ihnen gelangt, obwohl sie eindeutig dafür gedacht sind. Läuft man hier unfd da falsch läuft man in inkorrekt gesetzte Events rein, die einen plötzlich 5 Stunden in der Story zurücksetzen. Na gut, irgendwie habe ich es damals als Kind auch geschafft, Helden durchzuspielen - aber man sollte sehr, sehr oft speichern. 

 



Ein weiterer Grund, warum heutige Spielgewohnheiten einem beim Durchlauf von Helden fast zwangsweise das Cheaten mit dem RPG Maker-Tool aufinstruieren, ist die lächerliche, oftmals groteske Schwierigkeit. Ich habe es erwähnt, Grinding-Zwang aufgrund von gnadenlosen Bosskämpfen und Gamebreaker-Sackgassen sind ein fester Bestandteil der Mysteryldady-Marke, doch während diese Vorgehensweise den Nachfolger 'Feuer um Mitternacht' tatsächlich zu etwas ähnlichem wie ein RPG Maker-Dark Souls erhob, ging es beim Erstling Helden gigantomanisch in die Hose. Es trifft nicht den Kern des Problems zu sagen, Helden wäre auf schwierig und fordernd getrimmt, das stimmt nicht - Ich bin einfach nur der festen Überzeugung, dass Mysterylady keinen, aber auch gar keinen Gedanken ans Balancing verschwendet hat. Schon nach wenigen Spielstunden erwarten einen Zwischenbosse, die so frustrierend-unfair sind, dass sie einen mit wenigen Schlägen tot hauen, obwohl man nicht zurück kann um stärker zu werden. Standardgegner über das gesamte Spiel verteilt sind mitunter stärker als Bosse, scheinen wahllos überlevelt und können sogar angreifen bevor man dazu kommt, Heilitems einzusetzen. So gut wie jeder der zum Glück sichtbaren Oberwelt-Gegner bringt eine Gruppe von zumeist 4-5 Einzelmonstern mit. Das macht aus einer Map mit 4 angreifenden Gegnern ca. 20 Monster, von denen manche noch doppelt angreifen. Ich selbst habe schon am ANFANG des Spiels gecheated und noch öfter den Game Over-Screen gesehen, als ich es mit 15 - 20 Leveln über Standard sollte. 


Feuer um Mitternacht bleibt meistens in einer fairness-ähnlichen Region, Eroberung ist einfach nervig, aber Helden ist schrecklich ausbalanciert und grauenhaft zu spielen - selbst wenn ich es als Kind auch geschafft habe. Aber damals hatte man Zeit, und die habe ich gerne investiert, um die Story zu erleben.


Das Kampfsystem ansich ist der rundenbasierte Standard des Makers, sticht jedoch dadurch heraus, dass Mysterylady als gegner-, und Angriffs-Grafiken die Map-Sprites verwendet hat, die man auch außerhalb der Gefechte sah. Das war damals kreativ und besonders, heute allerdings gestaltet sich das noch schmuckloser als normale Monstergrafiken.


Nochmal eingehen muss ich auf die Welt ansich:

Der Fantasy-Weltentwurf von Mysterylady ist nicht der Schlechteste, wenn er auch erst im Nachfolger so richtig zum Tragen kommt, doch was auch charakteristisch für ihre Spiele war, war die weltkartenlose Welt. Weltkarten sind bei Rollenspielen der dominierende Standard, in Mysteryladys Spielen allerdinjgs gibt es keine Weltkarte, alle Gebiete und Städte hängen zusammen und können betreten werden. Dies sorgt in der Theorie für ein immersiveres und authentischeres Spielgefühl, zu Kosten des Komforts. In Feuer um Mitternacht funktioniert die Verkabelung der Gebiete großartig und sorgt für eben dieses Gefühl einer sich zusammensetzenden Welt, in Helden... spielen Himmelsrichtungen und Logik kaum eine Rolle, alles ist quer durcheinander geworfen und die wichtigen Orte wie Städte sind nicht verbunden durch sehenswerte, kreative Zwischenstationen, sondern getrennt durch endlose, immergleiche, uninspirierte Durchlauf-Maps wie Waldwege, Wanderpfade und Sümpfe, die fast nur mit Monsterlegionen zugeschissen wurden. Gähn. Auch die Städte weisen leider kaum Alleinstellungsmerkmale auf, lediglich das in der ersten Hälfte relevante Kaiko hat eine zumindest rudimentär-eigene Optik.


Die Grafik im Allgemeinen lässt schon Mysteryladys prägnanten Stil durchscheinen, fällt hauptsächlich aber durch Unmengen an Stilmixen, ernüchternde Uralt-Umgebungen und eine einfach zu veraltete Ästhetik auf. Der Musik gelingt es nicht, das Geschehen stets so treffend und nostalgisch zu untermalen wie im Nachfolger, stattdessen Altbekanntes, Lapidares, schlecht Geklautes. Ein paar gute Stücke sind dabei, aber auch das erscheint eher wie ein Zufall.


Denn Zufälle, die sind es, die den meisten Inhalt von 'Helden' bestimmen. 



Fazit

 

Dieses Review ist lang und lässt kaum ein gutes Haar an Mysteryladys Erstling. Man muss hier aber auch bedenken, dass es für ihr allererstes Projekt zu seiner Zeit immer noch herausragend war, und einen gewissen Kultstatus genießt. Positive Ansätze in den charakterbezogenen Dialogen sind ebenso wie eine grafische Eigenheit und interessantes Worldbuilding vorhanden. Aber diese Dinge muss man suchen, während man sich durch viele, viele grüne Waldmaps, zu schwere Gegner, inkorrekte Sätze und Rechtschreibfehler arbeitet. Aus heutiger Sicht erscheint es selbstmörderisch, Helden ohne Cheaten durchzuspielen, alleine aufgrund der zahlreichen Bugs. Wenn überhaupt, kann man nur den Genuss eines Let's Plays empfehlen, doch warum die Zeit aufwenden? Möchte man die komplette Handlung vom grandiosen Nachfolger Feuer um Mitternacht verstehen, und auch den direkteren Helden-Nachfolger Eroberung spielen, so kann man hier die Mysterylady-Lore auffrischen. Helden war ein Erstling, der den Startschuss gab für eine durchwachsene aber fraglos erinnerungswürdige Maker-Trilogie. Ein Urgestein der Nostalgie, das doch aber gleichwohl mahnendes Beispiel dafür sein sollte, wie sehr uns unsere eigene Nostalgie von den hässlichen Fängen der Realität abzubringen vermag. 

Doch manchmal müssen Helden sich der Realität stellen.





  3 von 10 nackte Göttinnen für Helden
-> Du enttäuschst Yoraiko!







- Yoraiko

 

 

 

 

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