Erscheinungsjahr: 2002 - 2004
Status: Abgeschlossen
Bände: 10
Genres: Romantic, Shoujo, Drama
Autorin: Kaho Miyasaka
Der Mangamarkt ist schon längst keine Nische mehr, weder in Deutschland noch in irgend einem anderen Industriestaat. Das schwarzweiße Medium, welches Anfang der 2000er im Westen noch in den Kinderschuhen steckte, ist mittlerweile genau so massentauglich geworden wie Comics und Anime. Mit so einer explosionsartigen Verbreitung, wie sie der Manga erfahren hat, kam auch eine Diversifizierung der Genres, die zunehmend breitgefächertere Zielgruppen ansprechen sollten und mussten. Nicht länger konnte man sich nur an den übergewichtigen Nofap-Hentainerd richten, ein Medium für die ganze Familie war die Vision. Und während aus dieser Inflation viele gute Genres wie Jose, Psycho-Thriller, Moeblobs oder Isekai hervorgegangen sind, so trug sie auch die typischen Krankheitssymptome einer Massenanbiederung mit sich: Die Inklusion weniger anspruchsvoller Zielgruppen.
Kaum einem Genre habe ich im Manga-Medium eine so versessene Hexenjagd gewidmet wie dem glitzernden, kitschig-pinken Shoujo-Teufelswerk. Shoujo, ein Genre, das wie der Name(Mädchen) schon sagt, vor allem aber nicht nur Mädchen im Alter von 8 - 14 Jahren ansprechen soll. Wie daraus zu schließen die inhaltliche Komplexität und der Unterhaltungswert für alle außerhalb der Kernzielgruppe der Vertreter dieses Genres ausfällt, sollte sich erschließen. Aber das ist gar nicht das Hauptproblem eines großen Teils der Shoujo-Mangas, denn Menschen sind nunmal unterschiedlich und konsummieren unterschiedliche Stoffe. Das für einen erwachsenen, zynischen Mann wirklich lästige und Bedenkliche an den Sternchenmangas rund um Liebe, Romantik, das Schulleben und das Erwachsenwerden war und ist, dass die meisten von ihnen eine kreativitäts-, und seelenresistente, realitätsferne Kitschkack-Scheinwelt darstellen, bei deren Anblick sich sogar Schneewittchen in ihre sieben Schüsselchen übergeben hätte.
Und diese Scheinwelten sind in besorgniserregend vielen Fällen nicht weniger verdummend als RTL, die BILD oder eine gepflegte Folge Dora the Explorer. Groteske und absurde Männerideale werden hier tiefgreifend in die Köpfe kleiner, heranwachsender Mädchen gepflanzt, welche es sich daraufhin in der Pubertät zum Ziel machen, einen sugoien Traumprinzen zu angeln, der ein Ass im Sport, ungeschlagen bei den Noten, Schulsprecher, Borderline-Belästiger, Teilzeit-Fotograf und Vollzeit-Kondom-Reißtestträger und trotz alledem natürlich ein zuvorkommender Gentleman ist, welcher ihnen die Welt zu Füßen legt. Chauvinistisches Verhalten, das in der Realität schon dreimal zu einer Anzeige wegen versuchter Vergewaltigung und Unterlassungsverfügung geführt hätte, wird in widerlich-manipulativen Shoujo-Mangas als der Heilige Gral der Romantik dargestellt, der die Herzen und Höschen seiner extrem-minderwertigen Identifikationsfigur-Protagonistinnen zum Platzen bringt. Alles schön mit umweltvernichtenden Mengen an sternchenüberladenen Rasterfolien, riesigen Alienkulleraugen, den immergleichen Gedankenphrasen von Schüchternheit und sexistischem Masochismus und natürlich einer großen Menge niemals stattfindender Charakterentwicklung. Meine Damen und Damen, das Shoujo-Genre in einer Nussschale.
Aber ich schweife ab - Das hier soll ein Kurzreview sein und wir sind noch nicht mal beim Werk. Der Kern des Genres sollte doch eigentlich die unschuldige Romantik sein, und wie zwei heranwachsende Personen sie erleben. Wie sie aneinander wachsen, sich ihre Beziehung entwickelt und ihre Liebe stetig zunimmt. Das ist leider oft nicht mehr so, aber manchmal eben doch.
Kare First Love bietet genau das - Ernstzunehmende, authentische Romantik zwischen jungen Teenagern, die sicherlich die Herzen von jungen Leserinnen höher schlagen lässt, allerdings für ältere undoder männliche Zuschauer ebenfalls nachvollziehbar und angenehm bodenständig bleibt. Kare Kano schafft - und das trotz seiner kitschigen Cover und dem unscheinbaren Titel - all das, was ein Shoujomanga eigentlich mal können sollte, ohne auch nur irgend eine der genretypischen Schwachpunkte mitzunehmen. Das Werk ist kein Augenöffner, aber es ist exemplarisch für den Standard, den das Genre verloren hat, und somit starker Core-Shoujo.
Der Manga handelt von der schüchternen Karin Karino, welche eines Tages im Bus mit dem hübschen Aoi Kiriya sitzt, welcher heimlich Fotos von anderen Mädchen schießt. Er wirft ihr spöttische Kommentare an den Kopf, als sie ihn konfrontiert, doch als er sieht, dass sie ein Buch über Fotografie in den Händen hält, versucht er sie ernsthaft anzusprechen, ohne Erfolg, denn sie ignoriert ihn. Anschließend kommt es durch einen Unfall dazu, dass Aoi Karin versehentlich unter den Rock sieht, wodurch sie ihn prompt für den nächsten Anwärter des örtlichen Perversen-Wettverhaftens hält und ihm eine knallt. Doch sein Interesse an der introvertierten Schönheit bleibt bestehen, so dass die beiden sich foan öfter über den Weg laufen.
Die Inhaltsangabe klingt in etwas so cool und kreativ wie die jedes Shoujomangas. Boy meets Girl. Beide mögen sich erst nicht aber dann doch. Der Unterschied besteht hier darin, dass sich in zehn Bänden ausreichend Zeit genommen wird, total nachvollziehbar aufzuzeigen, wie es dazu kommt, dass die Protagonisten erst eine Akzeptanz, dann eine Zuneigung und schließlich starke romantische Gefühle füreinander entwickeln. Dabei wird mit visuellem Kitsch genau so wie mit zu geschwollenen Texten permanent gespart, stattdessen führen die Charaktere Gespräche, die auch in der Realität denkbar wären, sagen Dinge, die man sich so selbst aussprechen hören könnte. Und Kare First Love beinhaltet in seiner Storyline so viel mehr als zwei nervige, ineinander verknallte Teenager, die es einfach nicht geschissen kriegen zu sagen, dass sie sich gern haben, und deswegen zehn Bände lang rumdrucksen.
Nein, hier kommt es relativ früh zu einem romantischen Climax, doch wo viele Shoujomanga schon aufhören oder niemals ankommen geht Kare First Love erst los, indem das Beziehungsleben von heranwachsenden Menschen mit seinen Höhen und Tiefen, schönen Momenten und Zweifeln dargstellt wird. Expliziter Sex spielt hier eine wichtige Rolle und wird auch praktiziert, wo andere Serien noch am Händchenhalten scheitern. Dann sind da erwachsenere und ernstere Elemente wie Aois verstorbener großer Bruder, der eine sehr wichtige Rolle spielt, das schwierige Verhältnis zu seinen Business-fokusierten Eltern, Karins am Anfang der Geschichte missbräulicher Freund, ihre riesige Unsicherheit und Angst vor dem ersten Mal, die Orientierungslosigkeit junger Menschen nach dem Schulabschluss die nicht wissen wohin mit sich, das Erfüllen der eigenen beruflichen Träume vs. der Sicherheit eines konservativen, sicheren Jobs. All das steckt in einer so simplen Geschichte wie Kare First Love, weil es wichtige Themen im Leben junger Menschen sind, die eine Beziehung beeinflussen. Dennoch würden 80 % aller Shoujo-Manga solche Krisenherde der Realität nicht mal mit der Kneifzange anfassen, weil sie ihren unbedarften Leserinnen eine idyllische und utopische Traumwelt fern jedes Denkvorgangs und grauen Farbtons anbieten wollen, in der sie versinken können. Und das ist sicherlich auch okay, aber Kare First Love hat Niveau und den Mut, gute Romantik mit wichtigen Themen des Erwachsenwerdens zu verbinden.
Im Vergleich zum Genrestandandard fällt weiterhin auf, dass die Charaktere innerhalb der 10 Bände eine signifikante Entwicklung durchmachen, was vor allem bei Protagonistin Karin auffällt, die von einem schüchternen, schweigsamen und ausgenutzten Küken zu einer selbstbewussten, vokalen und charismatischen jungen Frau heranwächst, die schön ist auf eine Weise, welche viele Mädchen nicht mal kennen. Desweiteren vermeidet Kare First Love die meisten Abhak-Stationen und Hysteriehusten-Staubtropes, welche zumeist unvermeidlich zur unerträglichen Uniformität des Mädchen-Genres gehören:
Keine plötzlich auftauchende Rivalin, die Karin ihren Freund ausspannen will, keine stupide Strand-Episode, kein erzwungenes Wegzieh-Drama, kein sich über mehrere Bände erstreckender Thriller darum, wann die Hauptcharaktere endlich ihre scheiß Lippen aufeinanderpressen. Aoi Kiriya auch - Er ist weder ein fehlerloser Schönling, noch perfekt in der Schule oder ein X-Menesques Sportass. Er ist weder grob noch chauvinistisch gegenüber seiner Freundin. Er ist ein sanfter Jugendlicher mit Ecken und Kanten und vielleicht etwas zu hübschen blonden Haaren. Karin ist auch am Anfang der Geschichte nicht das genrebekannte Schießübungs-Dummchen, das bei jedem als Kompliment auslegbarem Schimpfwort knallrot wird und sich halb in den Hundezwinger hächelt wenn es darum geht, ihren Angebetenen zu küssen wie es anderswo schon kleine Rotzlöffel im Sandkasten hinbekommen. Mit Zunge.
Nichts an den Charakteren in Kare Kano ist wirklich schrecklich kreativ, aber so wirklich, ehrlich, angenehm unscheiße. Und ein weiterer Bonus ist der Humor zwischen Karin und Aoi, um die ganze Romantik und die oft vorherrschende Schwere von Themen wie Trauerbewältigung und Zukunftsängsten ein wenig aufzulockern. Ich musste wirklich oft schmunzeln und manchmal sogar kichern, und ich bin weit entfernt von der Kernzielgruppe. Karlauer und Schenkelkopfer gibt es hier nicht, aber eine grundsympathische Komik, der keinen Fanservice und keinen Sexismus auf Kosten der Heldin braucht, um Lacher und ein warmes Gefühl in der Brust zu erzeugen. Mit 10 Bänden ist der Manga genau richtig geplant, es gibt wenig gezogene Abschnitte, die Geschichte wird nicht künstlich gestreckt und hinausgezögert, am Ende hat man das Gefühl, eine runde Sache vor sich zu haben.
Der Zeichenstil ist von Anfang bis Ende solider Shoujo, wobei nochmal zu erwähnen ist, dass die genretypische Opulenz, der Prunk an überladenen Hintergründen, implizierten Farben und verkitschten Disneyversatzteilen in Kare First Love KEINEN Platz findet. Hier hat man allerhöchstens mal ein paar verzierte Gedankenblasen und den einen oder anderen Schmetterling. Die Cover wirken am Anfang noch extrem kindlich und infantil, haben aber eine gewisse, zurückhaltende Ästhetik und werden auch besser. Mein Favorit ist das neunte Cover, wobei 5 und 3 auch sehr gelungen sind.
Wenn man Kare First Love überhaupt etwas vorwerfen kann, dann vielleicht den fehlenden Epilog. Das Ende des Manga ist perfekt, konsequent, wenig überraschend aber vollkommen befriedigend und verabschiedet jeden Leser mit einem positiven Gefühl in die nächste Geschichte. Damit ist Kare First Love wirklich, wirklich schon so, so viel weiter gegangen als die meisten Shoujos, denn es HAT nunmal ein Ende, und dann auch noch ein GUTES. Viele Shoujo-Schüler-Romanzen enden entweder vollkommen krude im Garnichts, schmieren einen halbherzigen 'The Romance continues'-Cliffhanger hin weil die Autoren keinen Bock mehr haben sich mit einer tatsächlichen Beziehung außeinanderzusetzen oder implizieren die Folgen der Geschichte nur. Man fühlt sich allzu oft ganz herrlich verarscht. Nicht so hier. Darum muss man da nicht meckern. Man darf lediglich mosern, dass Autorin Kaho Miyasaka die Extra-Seiten die sie zur Verfügung hatte, nicht für einen wunderbaren kleinen Epilog mit Timeskip verwendet hat, sondern für einen relativ nichtssagenden Blick in die Vergangenheit vor Beginn des Manga. So endet die Geschichte nach zehn Bänden zwar rund, aber auch sehr abrupt. Aber hey, in Kare First Love gibt es keine große Story und keine übermäßige Tiefe, what you see is what you get.
Fazit
Kurz-Review, am Arsch. Aber das mag vielleicht aufzeigen, wie schwierig es doch sein kann, einen eigentlich simplen Romantik-Manga verdient zu präsentieren. Ich bin ein sechsundzwanzigjähriges, zynisches Arschloch. Nichts tue ich lieber, als kleinen, doofen Gören ihre Märchenprinz-Machtfantasien aus den von Wendy und Bibi's Beauty Blog blödblondierten Köpfen zu zerren und ihnen damit ihr Milchgeld abzunehmen. Aber Kare First Love fand ich von der allerersten Seite an süß, liebenswert, erfrischend-ehrlich und so unglaublich bodenständig. Dieser Manga ist der coole, gelassene, stille, realistische Alternativtipp zum lauten, bunten, gröhlenden, verdummenden, anspruchslosen, utopischen Shoujo-Geflecht der sadistisch-geldgeilen Mangakaschmiede weiblicherseits. Wenn man Manga und Romantik mag, macht man hier kaum etwas falsch, wenn man nicht gerade eine erwachsene Beziehung erwartet. Ernste Themen wie Trauerbewältigung, der Tod von geliebten Personen oder die gemeinsamen Zukunftsängste werden nahbar behandelt.
Für mich war das damals, als ich mit der Reihe angefangen habe, eine ziemliche Überraschung. Dass ich so ein langes Review schreibe, für eine Serie die sicherlich kaum noch zu bekommen und nun auch nicht so schrecklich-interessant ist, zeigt doch zumindest, dass ich sehr positiv angetan war. So, ja genau so, sollte Shoujo sein. Die Realität jedoch ist, dass die meisten Shoujo-Mangas heutzutage unter der selben Existenzkrise leiden wie Hämorrhoidencreme als Brotaufstrich:
Eigentlich für'n Arsch.
7 von 10 Kameras für Kare First Love
-> Yoraiko hat sich in dich verliebt!
- Yoraiko
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