Dienstag, 28. Juli 2020

Spiele-Review: Little Misfortune (2019) - "Im a little lady, y'know."



Titel: Little Misfortune
Jahr: 2019
Genres: Point & Click, Fantasy, Dark, Stoyfocused
Spielzeit: 3 - 5 Stunden
Entwickler: Killmonday Games
Websites:
https://www.littlemisfortune.com/
https://store.steampowered.com/app/714120/Little_Misfortune/
https://en.wikipedia.org/wiki/Little_Misfortune







1. Vorwort & Zusammenfassung
2. Story & Gameplay
3. Was das Spiel besonders macht
4. Die Illusion der Entscheidung
5. Fazit





1. Vorwort & Zusammenfassung
Dass ich dieses Spiel gespielt habe, ist ein Jahr her. Ein Freund hatte es mir empfohlen, für uns gekauft und zusammen mit mir durchgespielt, und das fast nach Release. Als wir fertig waren brannte es in mir, ein Review darüber zu verfassen, doch dann habe ich es immer wieder prokrastiniert, bis jetzt. Weil ich es für sehr schwierig hielt, Little Misfortune zu bewerten und vorzustellen. Aber das ist es gar nicht. Eigentlich ist es recht einfach. 


Nur wenn man den exakten Zauber und das besondere Element an diesem Point & Click-Adventure beschreiben möchte, ohne zu Spoilern, kommt man zunächst etwas ins Straucheln. Denn eines steht fest, als mein Freund mir damals dieses Spiel nahe brachte, musste ich ihm sagen, dass ich mit Point & Click genau so viel anfangen kann wie mit Renn-, Sport-, und Rätselspielen -  
Yikes forever.
Aber das spielt hier keine Rolle. Das Spielgenre ist egal.


Little Misfortune ist ein vollblütiges Storyspiel, eine emotionale Geschichte, die sich nur einen spielerischen Rahmen als Kontext der Erzählung erlaubt. Wenn ich Little Misfortune in einem Satz beschreiben müsste, würde ich sagen -


Little Misfortune ist die schwärzere, morbide Version eines Ghiblifilmes, die eine zauberhaft-liebenswerte Heldin auf eine ganz und gar bedrückende Umwelt loslässt und uns durch eine emotionale Kletterpartie schickt. 


Dieses Spiel ist eine unbedingte, unumwundene Empfehlung für alle, die etwas mit ruhigen, feinfühligen, aber auch sehr erwachsenen Storygames anfangen können. Hier knallt nicht viel, das Gameplay ist ein angenehmes Nebenrauschen, die Handlung um Little Misfortune steht im Kern. Ich habe nicht das Gefühl, dass das Spiel damals unterging, aber mehr Aufmerksamkeit hätte es sicherlich verdient. 




2. Story & Gameplay

'All dead people that I know never came back. So it must be pretty cool to be dead.'



Wir spielen die kleine Little Misfortune, die mit ihrem charmanten, schwedischen Akzent und ihrer überblühenden Fantasie sehr schnell ihren Weg in unser Herz findet, und von einem Erzähler in ihrem Kopf, genannt 'Mr. Voice', auf ein kleines Abenteuer geschickt wird, um die 'Ewige Glückseligkeit' zu finden, die sie ihrer 'saft'süchtigen Mami schenken möchte. Die bunte Fassade des malerischen Spiels bröckelt schnell als der Erzähler uns, dem Spieler gegenüber offenbart, dass Little Misfortune heute sterben wird. Mehr muss man über die Handlung an dieser Stelle nicht wissen abgesehen davon, dass Fantasy, Übernatürliches und Fabelwesen ebenso wie eine morbide-treffende Abbildung einer trostlosen Gesellschaft eine Rolle spielen. 




Die Umgebung ist ein modernes Schweden, und wie man es vom Point & Click-Genre kennt ist alles handgezeichnet und sieht entsprechend liebevoll und bilderbuchartig aus. Die Optik des Spiels ist zwar etwas gewöhnungsbedürftig, vor allem in den eigentümlich-animierten Zwischensequenzen, aber wenn man erst mal damit warm geworden ist sieht man sich an der charakteristischen Kulisse und der niedlichen, tapsigen little Misfortune kaum satt.



Auffallend dabei ist, dass fast ausnahmslos alle anderen Menschen, denen wir begegnen, ihr Gesicht hinter Stimmungs-Masken verstecken. Ausgenommen davon sind die vielen, vermenschlichten Tiere, deren Existenz nicht hinterfragt wird. Neben den offensichtlichen gesellschaftlichen Implikationen distanziert dieses Designelement die Umwelt noch weiter von der kleinen Heldin, so dass diese zusammen mit Mr.Voice ohne viel Ablenkung im Fokus steht. Und dann gibt es da noch den humanoiden Fuchs Benjamin, von dem little Misfortune sehr angetan ist, der laut Mr. Voice aber nichts Gutes im Schilde führt.




Das Spielgeschehen ist klassisches Point & Click, wobei ich wie eingangs erwähnt kein Freund des Genres bin und deswegen zufrieden festgestellt habe, dass das Gameplay und Rätseln hier wirklich sehr zurückgenommen funktioniert und nicht genretypisch anstrengend wird. Wir folgen dem überaus originell-umgesetzten Charakter Little Misfortune zusammen mit dem dubiosen Erzähler auf ihrer Reise durch die Stadt und Umgebung, erfüllen kleine Aufgaben und treffen vor allem auch, wie der Erzähler uns warnt, wichtige Entscheidungen - Sollen wir mit dem Hündchen spielen oder nicht? Sollen wir Mama erzählen, dass wir rausgehen, oder uns doch besser vorbeischleichen? 

 
Viel mehr ist hier abgesehen von gelegentlichen Minigames bis zum Ende nicht zu tun, und mehr braucht es auch nicht, um dem fabelhaften Charakterduo Little Misfortune und Mr. Voice die Bühne zu bieten, die sie brauchen, um den Zauber zu entfalten.




3. Besonders positive Glitzerstaubelemente in Little Misfortune
'Happiness for everyone!'  

Ein Kind in ein Videospiel zu schreiben, ist schwer. Es ist schon schwer, die kleinen Mensch-Azubis in Filmen und Büchern glaubhaft zu inszenieren, aber ein kleines, heranwachsendes Mädchen mit blühender Fantasie und unglaublich schwierigem Umfeld als Protagonistin in einem Videospiel, die mit einem zwielichtigen Erzähler interagiert? 

 
Phew, nicht unbedingt eine Aufgabe, für die ich mich sofort freiwillig melden würde. 

 
Die Schreiber von Killmonday Games aber haben hier hoch gepokert und alle Gewinne abgeräumt. Ich weiß nicht ob ich als Erzieher ein besseres Gefühl als irgendjemand sonst dafür habe, wie Mädchen in diesem Alter sind, aber Little Misfortune ist so perfekt, so liebenswert, so herzlich geschrieben, dass ich das nur als hyperauthentisch wahrnehmen kann. Dieses kleine Mädchen mit ihrer unbesiegbaren Positivität und der naiven Weltsicht, die Kindern dieses Alters nunmal anhaftet, ist für mich einer der sympathischsten Videospielcharaktere seit langem gewesen, ohne nerviges Kleinkind-Verhalten, ohne irgendwelche Ecken. Nur eine große, rosane, plüschige Kugel in meiner Brust, wenn ich sie reden höre. Dazu trägt auch die fabelhafte Synchronsprecherin bei. Vergessen will ich auch nicht, dass little Misfortune regelmäßig äußerst vulgär flucht, und dafür von dem Erzähler getadelt wird. Auch das ist authentisch, und hängt mit dem Umfeld des Mädchens zusammen. Besser kann man ein Kind einfach nicht schreiben - es geht nicht


Der Erzähler nimmt die Rolle des 'Erwachsenen' und des 'Vormundes' in der Handlung ein, in dem er Little Misfortune durch die Welt führt, ihren Sorgen und Gedanken zuhört und ihr dieses und jenes erklärt. Allerdings fängt man auch sehr, sehr schnell an (Zumindest war das bei uns so) ihm zu misstrauen und dahingehend Theorien zu spinnen. Ohne irgendetwas vorweg zu nehmen kann ich sagen, dass die Rolle des Erzählers in diesem Spiel ebenso intelligent umgesetzt wurde wie die letztendliche Bedeutung von Little Misfortune selbst, und dass sich auch daraus ein Wiederspielwert generiert. 


Wie effektiv das Spiel und die intensive Beziehung, die man zu little Misfortune aufbaut, einen selbst emotionalisiert, möchte ich anhand einer Szene aus der Mitte des Spiels bebildern. Es war unser erster Durchgang und wir hielten Mr. Voice für einen Bösewicht, der little Misfortune auf die eine oder andere Weise ins Verderben treibt. Es gibt also diesen Jahrmarkt, auf dem little Misfortune traurig fragt, ob sie einen Luftballon haben darf, weil ihre Mama ihr nie einen kauft. Mr. Voice meint, sie könnten sich keinen leisten, lässt ihr aber dennoch einen heranschweben. Little Misfortune freut sich und wir dachten uns oh, so schlimm ist der Erzähler wohl doch nicht. Good guy. Als das Mädchen den Ballon nehmen will platzt er, Mr. Voice entschuldigt sich mit amüsierter Stimme und die gebrochene little Misfortune winkt ab und bedankt sich dennoch.


Ich erinnere mich, wie ich meinem Fernsehbildschirm an dieser Stelle ein inbrünstiges 'Dieser VERDAMMTE BASTARD!!' entgegengebrüllt und beinahe meinen Controller reingeballert hätte. Das mag nur ich sein, aber little Misfortune ist perfide, es spielt mit einem genau wie es mit seiner Heldin spielt und erwischt einen dabei teilweise kalt. Selten war in einem Videospiel über etwas so wütend wie über diesen geplatzten Ballon. Bemerkenswert. 

Are you happy right now?

Was man im Spiel schnell als extrem besonders feststellt ist dieser schwierige und seltene Spagat zwischen bunter Unschuld und übler Morbidität. Da haben wir Little Misfortunes Mutter, die immerzu 'Saft' trinkt, einen Mittelfingervogel, ein Hündchen das von einem Ast zerquetscht wird, überall Plakate von vermissten Kindern, ein Tütchen mit 'Bonbons', welche Misfortune schluckt und daraufhin ganz schlimme Bauchschmerzen bekommt...


Die Welt des Spiels ist nicht unbeschwert und regenbogenlastig, und so ist es zumindest ein kleiner Trost, dass Freudenfee Misfortune die Fähigkeit hat, Zauberstaub um sich zu werfen, um alles ein bisschen fröhlicher und positiver zu machen. Das ist nicht nur nett, sondern beeinflusst auch das Ende geringüfgig. Dennoch, einen solchen Spagat zwischen gefüphlstechnischen Extremen zu meistern ist einen Applaus wert - die Düsternis wirkt nicht aufgesetzt, die Kindlichkeit den bedrückenden Themen gegenüber nicht grausam.


Vor allem das letzte Drittel ist in vielerlei Hinsicht so eindrücklich, dass sich alleine dafür der Kaufpreis lohnt. Storytechnisch baut hier alles aufeinander auf und mündet am Ende in einem Klimax, der... nein, jedes Wort ist zu viel.

Es ist eure Zeit wert. Wirklich.


Extraerwähnung für den stimmigen und teilweise äußerst interessanten Soundtrack




4. Die Illusion der Entscheidung 
 'Not all's sweet and sugar
 

Telltale's Walking Dead, Life is Strange, Heavy Rain, Until Dawn, Dishonored, ...
All diese Spiele machen es sich zum zentralen Element, dem Spieler wichtige Entscheidungen zu geben, und die Freiheit, zu wählen - mit dem Versprechen, dass diese Wahl auch wirklich relevant ist und eine Konsequenz hat. Leider stellen sich sogenannte 'Entscheidungsspiele' meistens als Mogelpackung und One-Trick Pony heraus, die mehr Schein als Sein sind. Keines der oben genannten Spiele hat Entscheidungen, die sich wirklich, signifikant, fühlbar und fortwährend auf die Story oder die Ereignisse auswirken, auch wenn alle genau damit werben. 


Little Misfortune ist leider ein weiterer, trauriger Eintrag in der Historie von Spielen, die es anscheinend einfach nicht gebacken bekommen, dieses simple Versprechen einzuhalten - Deine Entscheidungen sind wichtig und bewirken etwas. Natürlich, in Little Misfortune bekommen wir verschiedene Dialoge und einige Szenen ändern sich leicht, außerdem macht das Entscheidungselement auch Spaß - aber es ist einmal mehr Augenwischerei zu sagen, sie würden irgendwelche Konsequenzen nach sich ziehen. Sie sind eine erlogene Fassade, die hübsch ist, aber nichts aussagt. Noch schlimmer sind die Szenen in der Story, in denen die ungewünschte Entscheidung schlichtweg blockiert wird, weil sie uns nicht voranbringt. 


Gehen wir in die Höhle? Nein. Doch, little Misfortune, wir müssen. Gehen wir in die Höhle? Na gut... 


Mein Freund hat hier die starke Theorie verfechtet, dass das im Hinblick auf die große Auflösung der Story Absicht der Entwickler ist - dass die Entscheidungen sinnlos und wirkungslos bleiben SOLLEN. Während ich die Theorie interessant finde, stimme ich ihr nicht wirklich zu und könnte diese Gameplay-Lüge selbst dann nicht gut heißen. Eine Scharte in dem sonst so hochglänzenden Gesamteindruck des Spiels. 

 'What is this place?'

Dies setzt sich letztendlich fort, wenn es zum Abschluss des Spiels kommt. Wir müssen nicht darüber reden, dass Enden einer der größten Schwachpunkte des Videospielemediums sind, weil 99 % aller Entwickler keinen Bock haben, eines zu inszenieren. Zumindest keines, das länger als zehn Sekunden dauert. Und so läuft es auch hier ab - alle zuvor getroffenen Entscheidungen verpuffen gleichgültig und ein befriedigendes Ende oder irgendeine Form von Epilog wird uns verwehrt. Das Spiel endet einfach und das wars. Selbst das geheime Ende, das durch das Sammeln aller Zauberstaub-Momente freigeschaltet wird und einen herzerwärmenden Twist präsentiert, verlängert den Ausgang von Little Misfortune kaum um zehn Sekunden. Es ist enttäuschend, und sicherlich die größte Schwäche, die ihr hier finden werdet. 


Sie macht das Spiel nicht kaputt, nicht im Ansatz. Sie verleiht ihm nur einen bitteren Beigeschmack. Wie die Süßigkeiten, die little Misfortune so zu sich nimmt. 




















6. Fazit

'I'll love you forever'


Trotz seiner Schwachpunkte im Entscheidungsdesign und hinten raus ist Little Misfortune fast durchgehend ein fabelhaftes, nahegehendes Storyerlebnis, das einem vor allem am Ende den Magen umdreht und die Tränendrüsen malträtiert. Doch auf dem Weg dahin schlägt das Herz höher, die Brust füllt sich mit rosanem Plüsch und man freut sich, am Leben zu sein und dieses Spiel zu spielen. Aufgrund seiner Kürze eignet sich dieses gelungene Point & Click-Adventure perfekt für einen gemütlichen Sonntagabend vor dem Youtube-Kaminfeuer, mit Einhorntee und zigarettenlosen Keksen. Man muss sich allerdings darauf gefasst machen, dass es hier sehr bedrückend zugeht, schwierige Themen behandelt werden und man emotional durch den Reißfuchs gezogen wird. Dafür bekommt einen der wohl bestgeschriebensten Kind-Charaktere im Videospielmedium zusammen mit hervorragend-liebenswerten Dialogen, intelligenten Twists und einem theoretischen Wiederspielwert. Und das von einem kleinen, schwedischen Indiestudio. 

Spielt little Misfortune.   
'Or Give yourself a f--k!'
  



 


 8 von 10 kleine Ladies für Little Misfortune
 -> Yoraiko findet dich toll!






- Yoraiko

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