Donnerstag, 27. Februar 2020

Film-Review: Die letzten Glühwürmchen - "Seitaaa!" (1988)




Es gibt Filme, die wollt ihr einmal und nie wieder sehen. Es sind Filme von denen ihr froh seid, sie erlebt zu haben, aber die ihr kein zweites Mal ertragen könnt. Requiem for a Dream wäre so ein Beispiel. Oder Wenn der Wind weht. Melancholia. Und so auch Die letzten Glühwürmchen, welches den mit Abstand prominentesten, und wenn man ehrlich ist auch einzigen, Beitrag der Anime-Industrie in diese Riege 'Hoffnungslos-Herunterziehender Depressions-Filme' darstellt. Ich sehe mir solche schweren Stoffe trotz der inneren Blutungen dabei dennoch gerne öfter an, und manche davon wirken immer wieder. Die letztem Glühwürmchen ist ein alter Klassiker und ein Must-see, das trotz seiner sichtbaren Alterung nicht nur für Anime-Fans ein in mehrerlei Hinsicht... einprägsames Erlebnis sein dürfte. Und das nicht nur, weil es einer der ersten Filme von Studio Ghibli war. 

Man wirft Die letzten Glühwürmchen nicht zu unrecht vor, allen voran ein sogenannter 'Tear-jerker' zu sein - Also ein Film, der es von Anfang bis Ende einzig und allein nur auf eure Tränen abgesehen hat. Die wahrscheinlichste Stelle, an der man heute noch über diesen Anime stößt, sind Filmlisten die deprimierende oder traurige Streifen sammeln, oder Empfehlungen für besonders Bedrückendes aus Fernost. Solche Mund-zu-Mund-Propaganda eben. Was viele dieser nicht nur positiven Meinungen allerdings übersehen, ist, dass dieser Film noch vor dem Drama-Aspekt eine schonungslose und betroffen-machende Darstellung der Auswirkungen des zweiten Weltkrieges auf die zivile Bevölkerung ist - In diesem Falle Japans. Keine reißerischen Kampfszenen, kein heimatlischer Pathos, keine unnötigen Gewaltdarstellungen und auch keine übertriebenen Emotionsausbrüche - Nur die schmutzige, trostlose, morbide und oftmals unfassbare Realität dessen, was Menschen Menschen antun.

Der Film spielt gegen Ende des zweiten Weltkrieges in Japan, wir begleiten den vierzehnjährigen Seita und seine vierjährige Schwester Setsuko bei ihrem verzweifelten Kampf ums Überleben, welches nachdem sie durch amerikanische Angriffe heimatlos wurden vor allem durch die überall in Japan vorherrschende Lebensmittelknappheit und den daraus resultierenden Hunger bedroht wird. 

Nein, man wirft Die letzten Glühwürmchen trotz der historischen Stärke nicht zu unrecht vor, eure Tränen perfide vorzubereiten und im richtigen Moment wie einen verdammten Wasserstrom abzuernten. Die gesamten 88 Minuten des Filmes widmen sich nur der Aufgabe, dass ihr Seitan und VOR ALLEM ihre von Unschuld überzogene, lebensfrohe und herzensgute kleine Schwester Setsuko in Selbiges schließt - Warum? Das wisst ihr ganz genau. Es ist kein Spoiler, denn es wird direkt am Anfang gesagt. Und selbst wenn das nicht der Fall wäre, sieht man es als Zuschauer nach den ersten fünf Minuten meilenweit kommen. Man weiß genau, was passieren wird. Man weiß, dass man manipuliert wird. Und dennoch schlägt es einem in die Magengrube, würgt den Hals ab und öffnet die Tränenschleusen mit einem Brecheisen. Die Charaktere sind wunderbar geschrieben, einfach und simpel, keine Frage, aber authentisch handelnd wie Kinder in dieser Situation es wohl tun würden. Niemand der über ein Herz oder einen Funken Empathie verfügt wird es meistern, Setsuko nicht nach drei Minuten zu lieben und vor der grausamen Welt beschützen zu wollen. Es ist dieser Umstand, der dafür sorgt, dass wir die Reise der Geschwister so gespannt und harrend verfolgen, obwohl sie nicht groß erklärt werden und der Film auch nicht übermäßig lang ist - Man möchte, dass sie es schaffen. 

Das Andere aber ist der weniger manipulative Teil, die Darstellung des besiegten Japans und seiner gebrochenen Bevölkerung. So kommen Seita und Setsuko etwa für einige Zeit bei ihrer Tante unter, welche sie ernährt - Aber eben nur bis zu einem gewissen Maß, denn beide tragen nichts zum verdienst der Familie bei. Wir erleben Bauern, die den Kindern nicht einfach so von ihrem Essen abgeben können, obwohl sie darum betteln. Wir sehen Ärzte, die Seita mit methodischer Kaltschnäuzigkeit sagen, dass seine Schwester verhungert. Wir sehen Männer, die den Jungen verprügeln weil er versucht, für seinen Schützling eine Orange zu stehlen. Der Charakter der Tante insbesondere erscheint dem Zuschauer unsympathisch, egoistisch, böse. Aber ist er das? Ist diese Frau böse, weil sie eine Familie und zwei fremde Kinder ernähren muss und darum fordert, dass diese etwas beisteuern? Nicht nur in diesem Fall lässt der Film durchaus auch Protagonist Seita nicht nur als Opfer da stehen, sondern stellt bewusst die Interpretation in den Raum, ob er in seiner Verantwortung, seine kleine Schwester zu beschützen, in vielen Momenten des Filmes nicht mehr hätte tun können - Sei es wegen seinem Stolz, seiner Naivität oder seiner Ratlosigkeit. Keiner dieser Menschen ist böse. Es war kein Geheimnis, dass diese beiden Kinder verhungern und im Sterben inbegriffen sind, jeder konnte das sehen. Es gab nur nichts, was die Menschen dagegen tun wollten oder konnten, denn um diese Zeit herum war Essen nun mal buchstäblich unbezahlbar. Und während es mich insbesondere nach dem ersten Sehen der Credits anekelte darüber nachzudenken, ob ich nicht Protagonist Seitan die Schuld für das zerstörerische Ende von Die letztem Glühwürmchen in die Schuhe schieben könne, spielt das doch eigentlich gar keine Rolle - Damals, um 1945 herum starben tausende und abertausende kleine Seitas und Setsukos an Hunger, Krankheit, Strahlung, Feuer, Unfällen, Geschossen oder Verzweiflung.

Und bin ich meistens doch auch noch so ein unbedachter und oberflächlicher Mensch, möchte ich diesen Seitas und Setsukos gedenken und betonen, dass dieser Film das auch tut. Darum ist er ein tear-jerker, ja, zweifelsohne, und die finalen Momente dieses Anime sind, trotz der hoffnungsvollen Note, beispiellos effektiv und niederschlagend. Aber Die letzten Glühwürmchen ist letztendlich mehr als das, denn deprimierend zu sein ist einfach - Dabei aber noch etwas Wichtiges auszusagen und Historie aufzuarbeiten und zu vermitteln gleich viel achtenswerter. 


Ruht in Frieden, Seitan, Setsuko. 
Ihr alle, die ihr ähnlich zu leiden hattet. 



























Audiovisuell merkt man Die letzten Glühwürmchen seine Wurzeln im Jahre 1995 deutlich mehr an als den Fantasy-Vertretern Ghiblis: Das mag am realistischen Setting liegen, sicherlich aber auch an den leicht veralteten Designs der Charaktere, das vor allem in den von Schattierungen und Lichteffekten geprägten Momenten als für heutige Geschmäcker ungewöhnlich hervortritt. Das schadet dem Film aber bei weitem nicht und er ist auch fernab von unästhetisch. 

Die Musik wird erwartungsgemäß und angenehmerweise sparsam eingesetzt, wobei sich vor allem das letzte Drittel unwiderruflich als emotionales Tief in euer Hirn brennen wird. Die gewählten Musikstücke in den emotionalen Szenen sind wunderschön, geben jedoch aufgrund der Geschehnisse, die sie begleiten und erst wirklich zum Runterzieher machen, wenig Anlass zur Freude. Gänsehaut bekommt man dennoch. 


"Nii-chaaan!"


Fazit

Wenn man bereits Teenageralter erreicht hat und für schwerere, bedrückendere Stoffe in unterhaltsamer und exzellenter Form zugänglich ist, würde mir eigentlich kein Grund einfallen, Die letzten Glühwürmchen nicht wenigstens einmal zu sehen. Dieser Film sollte wie viele andere gute, mahnende Verarbeitungen unserer nur allzu fehlerhaften Geschichte als Menschheit in Schulen gezeigt werden, mit Sicherheit aber ist er in jeder Hinsicht sehenswert, trotz seines Alters. Als Gesamtpaket hat er den Zahn der Zeit ohne größere Probleme überstanden und wird vermutlich heute wie damals Wangen einfeuchten. Ob ihr Die letztem Glühwürmchen dabei allein oder in der Gruppe guckt ist egal, so lange jeder den Film ernst nimmt und keiner ständig hereinquatscht. 

Er verdient den Respekt und die Ruhe des Zuschauers, und zahlt diese garantiert mit einer wertvolllen, emotionalen Erfahrung zurück. Ein ganz, ganz toller Film. Seht ihn euch unbedingt an. 



8/10 Fruchtbonbons für Glühwürmchen


- Yoraiko 

























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