Freitag, 27. Dezember 2019

Film-Review: I saw the Devil (2010) - Der Preis der Rache






Der Revenge-Thriller ist seit Jahren ein beliebtes Genre im Filmsegment, der oft mit einer FSK18 und einer sehr überschaubaren Zielgruppe daherkommt. Das hat verschiedene Gründe wie die häufig schonungslose Brutalität, das wenig massentaugliche Thema Rache aber auch das moralische Dilemma, das solche Geschichten immer wieder in uns auslösen - Ist Rache legitim?

 Es ist eine der urältesten Fragen der Thriller-Popkultur und auch unserer Gesellschaft selbst, mit der sich Revengeporns auseinandersetzen: Protagonisten, die für ein verübtes Unrecht brutale, unmenschliche Gewalt fordern. Wir als Zuschauer nehmen oft die Perspektive des 'Helden' ein und erleben, was ihm oder ihr angetan wird, zumeist handelt es sich dabei um etwas beispiellos Schreckliches wie eine Vergewaltigung oder die Ermordung eines geliebten Menschen. Wir sollen so mit dem dadurch geschaffenem Rache-Engel 'empathisieren' können. Für viele Zuschauer ein Ding der Unmöglichkeit - Auge um Auge, und die Welt versinkt in Blindheit. 

Ich gehöre zu jeden Zuschauern und Personen, die das Konzept von 'Rache' verstehen können und, unter gegebenen Umständen, moralisch nachvollziehen und gutheißen. Es gibt gewisse Dinge, bei denen reicht ein 'Sorry' nicht aus und es gibt ebenso Dinge, die unser Rechtssystem oder unsere Gesellschaft einfach nicht lösen können. Dabei beziehe ich mich freilich eher auf viele Geschichten der Fiktion, in denen das der Fall ist und ich mit den Protagonisten mitfühle, aber das lässt sich natürlich ohne weiteres auf die Realität übertragen. Viele lassen dieses moralische Grau nicht zu - Für sie ist ein Mord ein Mord, ganz gleich was die Umstände auch sein mögen. Niemand steht über dem Gesetz und nichts rechtfertigt Selbstjustiz. Solche Ansichten, sein sie popkulturell oder im echten Leben verankert, sind absolut legitim und nachvollziehbar. 

Schwierig wird es für mich nur wenn jemand sagt 'Es ist vollkommen unrealistisch, dass diese Person so blutrünstig handelt. Kein Mensch bei gesundem Menschenverstand würde das tun'. Es ist eine gängige Aussage unter Gegnern des Revenge-Thrillers, eine Aussage, die mit einer kühlen Erkenntnis abgeschmettert werden muss - Zum Glück können die meisten von uns tragische Rachefiguren nicht nachvollziehen, weil wir nicht erleben mussten, was sie durchgemacht haben. Wer sind wir also zu urteilen, was für sie realistisch ist und was nicht?

Sagen wir also, Rache ist moralisch grau und legitimiert - Das eigentliche Problem ist doch ein ganz Anderes.
Wenn wir Rache üben, wirklich üben, unsere Menschlichkeit wegwerfen und zu lange in den Abgrund starren, was macht das aus uns? 

Dieser Frage widmet sich der koreanische Film I saw the Devil, um endlich mal den Bogen zum Review zu schlagen. In einem kompromisslosen Katz-und-Maus-Spiel mit dem reuelosen Triebtäter-Psychopathen Kyung-chul wird Polizeiagent Soo-hyeon zum Rächer seiner ermordeten und zerstückelten Ehefrau, der er geschwört hat, ihr Mörder werde genau so leiden wie sie. Nachdem der Polizei die Mittel und Beweise fehlen, den verdächtigen Kyung-chul zu stellen, konfrontiert Soo-hyeon ihn selbstständig und prügelt ihn in äußerst gut choreographierten und stellenweise schmerzhaft-expliziten Kampfszenen nach und nach zur hilflosen Beute, erst einmal, dann zweimal, dann drei mal und so weiter. Statt ihn aber zu fangen, lange und breit zu foltern oder gar zu töten lässt er ihn jedes Mal ziehen - Nur um ihn wenig später wieder aufzuspüren und zu malträtieren. Immer gejagt. Niemals sicher. Es ist diese Form, die die Rache in I saw the Devil annimmt. Und es ist diese Form, die dem Film ihre letztendliche Pointe verleiht - Denn Soo-hyeon wird durch seine überlegenen Kampfkünste, den GPS-Sender in Kyung-chuls Magen und seinen durchgeplanten Rachefeldzug überheblich und unvorsichtig - Kaum etwas kann fataler sein, wenn man sich mit einem in die Ecke gedrängten Monster einlässt und dieses zum Duell fordert. 

Aber da will ich gar nicht weiter spoilern sondern einfach zum Punkt kommen und sagen, dass I saw the Devil unter anderem deswegen einer der gar nicht mal so seltenen, guten Rachefilme ist, weil er zu keinem Zeitpunkt verherrlicht. Zwar war ich relativ von Anfang an sehr auf der Seite des Protagonisten und habe mich förmlich über jeden Schlag und jede Schmerzregung im Gesicht des den gesamten Film über geradezu satirisch-widerwärtigen und verkommenen Kyung-chul gefreut, aber was der Protagonist da macht ist weder schön noch einfach. Es ist schmutzig, anstrengend und moralisch im höchsten Maße fragwürdig, wie ihm auch sein Umfeld immer wieder klar zu machen versucht. Außerdem nimmt der Film am Ende eine Entwicklung, die im Rachethema durchaus nicht selten vorkommt und dennoch hier wieder großartig und in aller Tragik inszeniert wird. Ich habe diese Entwicklung angedeutet und werde nicht weiter darauf eingehen, aber sie wird den Film bis zur letzten Sekunde dominieren, entlarvt die ganze Euphorie eines blutigen, pseudo-gerechten Rachefeldzuges und lässt uns als Zuschauer mit einem schmutzigen, beschämten Gefühl und dem Wissen zurück, dass Rache nichts Erstrebenswertes ist und buchstäblich alles in unserem Leben auffressen kann. 

Handwerklich funktioniert I saw the Devil im Gegensatz zu vielen Low-Budget-Revengeporns auf einem sehr hohen Niveau, das ihn als durchaus publikumstauglichen Thriller auszeichnet und zeigt, dass es hier mehr gibt als nur Brutalität - Diese steht meistens auch gar nicht im Fokus. Der Film geht 2h und 22 min, eine Zeit die mich lange abgeschreckt hat, die man aber tatsächlich überhaupt nicht negativ bemerkt. Es kommt zu keinem Zeitpunkt der Erzählung Langeweile auf, immer passiert etwas, immer verwickelt sich etwas, das Pacing ist makellos. Die Musik ist atmosphärisch und gebührend-dramatisch, die Kamera-Arbeit ist stellenweise der absolute Hammer und es entstehen Szenen, die unabhängig vom Film Kultcharakter besitzen und noch lange im Gedächtnis bleiben - Stichwort Taxi.(Leichte Spoiler) Lange im Gedächtnis bleiben auch verstörendere Sequenzen äußerst blutiger Natur, die so einige Register der Splatterbibel ziehen, I saw the Devil ist auf keinen Fall etwas für schwache Mägen. Keine Sorge, es wird wie gesagt nicht hirnlos gemätzelt, aber unangenehme Gewaltszenen gibt es mehr als genug. Nicht zuletzt wird das Schauen stellenweise unglaublich schmerzhaft, weil wir etwa die Hälfte des Films die Perspektive des Monsters Kyung-chul einnehmen und bei ihm sind, wenn er seine widerwärtigen Taten mit einer ekelerregenden Selbstverständlichkeit vollbringt.
 
Das Ende, das sei nochmal hervorgehoben, tut weh. Uns, den Charakteren, dem Rachethema. Aber es ist ein emotional und inszenatorisch extrem starkes Ende wie ein Schlag in die Magengrube. I saw the Devil macht nachdenklich, I saw the Devil hinterfragt und löst in uns wie die stärksten seiner Genrekollegen wieder jenes moralische Dilemma aus - Ist Rache eine Option? Wie weit darf man für sie gehen? Was macht sie aus uns? 

Und welchen Preis müssen wir für sie bezahlen? 
Wer sich all diesen Fragen stellen möchte, einen hochspannenden, im guten Sinne anstrengenden und blutigen koreanischen Klassiker nachholen möchte, der sehe sich I saw the Devil an. Wer etwas leicht Bekömmliches vorzieht, keine abgetrennten Körperteile sehen kann oder mit Selbstjustiz auf Kriegsfuß steht, der verpasst auch nichts wenn er diesen Streifen weglässt. 

7/10 Guillotinen für I saw the Devil


- Yoraiko


 

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