Mittwoch, 6. November 2019

Film-Review: Disconnect (2014) - "You grow from the Inside"



Generation 2.0 durchlebt nach wie vor ihre Hochzeit, wir alle sind ein Teil davon und im Begriff, in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu Generation 3.0 zu avancieren. Da ist es wenig verwunderlich, dass Hollywood und andere Filmschmiede sich dem Thema seit Jahren auf die eine oder andere Weise annehmen. Die Frequenz zumeist 'kritischer' Internet/Social Media/High Life-Filme ist nach wie vor ungebrochen hoch und es ist keine Übertreibung zu sagen, dass gerade die Horrorfilme unter ihnen keinen guten Ruf genießen. Was einem Großteil dieses beinahe schon eigenen Genres ausmacht und ebenso zum Verhängnis wird ist in meinen Augen die zu starke Fixierung auf die Medien selbst - Aus Horrorfilmen wie dem zweifelhaften Unknown User kennen wir das Stilmittel, ganze Filme ausschließlich über einen Computerbildschirm zu präsentieren, wiederum andere stellen die technischen Möglichkeiten zur sozialen Interaktion die wir uns mittlerweile erschlossen haben ganz stumpf wie das pure Böse und die Wurzel allen zwischenmenschlichen Übels dar. Kurz gesagt, Internet-Filme sind kein glanzvolles Genre, trotz gelegentlicher Überraschungen wie etwa dem weitestgehend unbekannten Film 'Searching', der eine sehr hohe Qualität aufweist, komplett verstanden hat wie Social Media funktioniert und beweist, dass man mit etwas Kreativität und Sorgfalt auch eine spannende Geschichte über den Desktop erzählen kann. Aber gute, überzeugende Internetfilme zu inszenieren ist eine Miniaturkunst in sich.

Disconnect aus dem Jahre 2014 schafft das für meine Begriffe mit einem einfachen Leitsatz: 
Weniger ist mehr

Der Film ist durchaus nicht unumstritten, heutzutage nicht mehr besonders populär oder bekannt und hatte dazumal auch keinen großen Erfolg. Ich führe das darauf zurück, dass er weder effektheicherisch noch medien-reißerisch ist wie viele seiner Genre-Kollegen. 

In Disconnect geht es um mehrere, voneinander teilweise unabhängige Personen, welche in ihren gegenseitigen Beziehungen, ihrer Beziehung zu sich, ihrem Leben oder der Gesellschaft straucheln und sich abgekpaselt haben. Sie alle haben irgendetwas mit dem Internet zu tun, und sie alle tragen Lasten und Probleme mit sich herum, vor denen das Internet Zuflucht bieten soll. Aber ist eswirklich eine Zuflucht oder doch eher ein Abgrund?

Was Disconnect für mich ausmacht ist die Tatsache, dass er eigentlich gar nicht unbedingt vorrangig ein Internet-Film ist. Er ist ein menschliches Drama verschiedener Geschichten und Beziehungen, der nur durch die genutzte Technik der einzelnen Personen einen Rahmen bekommt und diese verbindet. Es geht nicht um das BÖSE Internet, um die Gefahren sozialer Medien oder Datenschutz, es geht um kleine, persönliche Dramen zerbrechlicher Menschen, die zufällig alle etwas mit dem Internet zu tun haben. Und das ist ein Ansatz, der selten gewählt wird und mit dem Titel 'Disconnect' vielleicht auch gewissermaßen falsche Erwartungen weckt. Mit Jason Bateman, Paula Patton und Frank Grillo haben wir einige sehr fähige Schauspieler aus der zweiten Reihe Hollywoods, die hier für mein Empfinden die besten Performances abliefern, neben - Und das muss man unbedingt herausstellen - dem damaligen Kind-Darsteller Colin Ford, der in seiner Geschichte eine ganz besondere Entwicklung durchmacht. 

Geschichten, genau - Wie oben erwähnt geht es in Disconnect nicht um einen einzelnen Charakter oder Handlungsstrang, es handelt sich um eine Anthologie mehrerer gleichzeitig ablaufender Episoden verschiedener Menschen die sich auseinandergelebt haben, mit sozialen Problemen belegt sind oder die in ähnlicher Weise von der Gesellschaft disconnected sind. Der 'Hauptstrang', wie ich ihn wahrgenommen habe handelt dabei von einem Jungen namens Ben, welcher in der Schule keine Kontakte hat und regelmäßig gemobbt wird. Für Ben gibt es kein Licht am Ende des Tunnels, bis ihn über Facebook ein Mädchen anschreibt und sich mit ihm anfreundet - Ein Fake-Account seiner beiden Mobber, die sich einen Spaß daraus machen ihn zu veralbern und zu demütigen. Bis hierhin kennen wir die Versatzteile einer solchen Erzählung. Interessant wird es dann, wenn der oben erwähnte Colin Ford in seiner Rolle als einer der beiden Jungs anfängt, mit dem vermeintlichen Opfer Ben sehr private und sehr emotionale Gespräche zu führen die auch ihn betreffen. Die beiden beklagen ihre desinteressierten Väter, ihren tristen Alltag und ihre Missverstandenheit. Irgendwo zwischen diesen Zeilen merkt Colin Ford, zunächst nur ein Mobber, dass er den Jungen am anderen Ende der Leitung gern hat. Als es letztendlich dann aber doch drastischer kommt und er sich für das verantworten muss was er getan und angerichtet hat, spielt er die daraus resultierenden Emotionen und seine menschliche Entwicklung alles andere als schlecht. Die anderen Charaktere dieser Handlung wie die Schwester Bens tun ihr übliches dafür, dass man hier mit allen Personen mitfühlen kann und eine starke emotionale Unterhaltung entsteht.

Der zweite Handlungsstrang beschäftigt sich mit einem Pärchen, das Opfer eines Bankdatenräubers wird, vor der Pleite steht und im Zuge der daraus resultierenden Probleme auch noch mit alten Verlusten und einer bröckelnden Beziehung zu kämpfen hat. Ist die Frau der einen Realitätsflucht und Verlustverarbeitung verfallen, beschäftigt ihr Mann sich mit Online Pokern und geistlosen Internetvideos. Letztendlich werden die beiden die Verfolgung ihres potentiellen Datendiebes selbst in die Hand nehmen, was diesen Handlungsstrang mehr zu einem Thriller macht, einem Guten wohlgemerkt. Und gerade durch den menschlichen Verlust den das Pärchen vor Jahren durchleiden musste und noch immer muss, mangelt es auch hier nicht an emotionaler Fallhöhe.

Der dritte und letzte Handlungsstrang ist für mich der, der hinter den anderen beiden ein Stück abfällt und der sich grob gesagt mit der Sexstream-Industrie auseinandersetzt und einen Teenagerjungen als Protagonisten hat, welcher Teil eines solchen Konglomerats an pornografischen Dienstleistern ist, mehr oder weniger freiwillig. Eine Reporterin möchte einen Bericht über ihn und diese Industrie machen und nähert sich ihm so ganz privat an, vielleicht eben auch ein wenig zu privat und zu nah. Keine schlechte Handlung, definitiv nicht, und in ihrer Konklusion ein mal mehr ein Beweis dafür, welche komplexen menschlichen Schlüsse Disconnect innerhalb seiner Erzählung zieht, wenn man das Offensichtliche nicht bedient sondern unerwartete Wahrheiten serviert. Für mich allerdings mit deutlich weniger nachvollziehbaren, sympathischen Personen belegt.

Wenn es auf den gefühlten und dramaturgischen Höhepunkt des Filmes zugeht, laufen alle Handlungsstränge inszenatorisch zusammen und teilen sich die gleiche, einprägsame Szene. Ich habe mit Freunden gesprochen, die den ganzen Film nicht mochten und diese Finalszene schlichtweg lächerlich fanden und dabei laut lachen mussten. Beim erneuten Sehen habe ichdarauf geachtet ob man diese Szene als albern wahrnehmen kann und nun ja, ich verstehe schon irgendwo, wenn die Zeitlupen-Inszenierung stellenweise ein wenig übertheatralisch anmutet, doch konnte ich nach wie vor nichts Schlechtes oder gar Lustiges an ihr finden, der in Disconnect unheimlich, unheimlich starke Soundtrack von Max Richter, einem großartigen Komponisten auf den ich über Disconnect gestoßen bin, fährt hier im Climax des Filmes sein bestes Stück auf, die roten Fäden der emotional-geladenen Geschichten dreier Konstellationen von geprägten Charakteren verbinden und verbrennen sich. Es ist eine starke Szene, die man nicht so schnell vergisst.

Am Ende aber gibt es noch eine andere Szene, über die ich sprechen möchte, und das ist, na ja, das Ende. Die letzte Szene. Denn diese letzte Szene, die im Krankenhaus stattfindet und einen Jungen mit seiner Schwester zeigt, fasst für mein Empfinden diesen Film perfekt zusammen. Hier gibt es keine Handys mehr, kein Internet und keine Social Media-Kritik. Hier liegen nur zwei Menschen, die sich einander wieder annähern werden, wenn sie denn die Chance dazu bekommen. Der Film lässt dies offen und geht auch damit gegen gängige Konventionen an. Kein Happy End. Außerdem sehe ich hier ein Wortspiel mit dem Titel - Es mag ein wenig übereifrig und von Wunschdenken von meiner Seite geprägt sein, aber konträr zu dem Namen des Filmes Disconnect sehen wir in seiner letzten Szene die Wiederverbindung zweier entfremdeter Geschwister - Den Reconnect. Dann die ebenfalls unheimlich starken Credits, die nach dieser Szene noch umso mehr wirken. You grow from the inside. Die Gänsehaut gibt es umsonst dazu. Falls ihr keine Angst vor 'Spoilern' habt oder den Film schon gesehen habt, so ist es mir ein Anliegen, diese Szene nochmal zu verlinken, auch wenn sie natürlich nur nach dem Sehen in voller Gänze wirkt.

Disconnect ist ein schöner Film. Was kann man mehr dazu sagen, wenn ich ihn doch eigentlich jedem empfehlen kann? Er ist sicherlich kein Meisterwerk und er ist ebenso kein Must-see, er revolutionierte nicht den Internetfilm und hatte das auch gar nicht vor - Disconnect war bescheiden und brillierte darin, menschliches Drama mit äußerst komplexen Zwischentönen mit leichten Internetelementen zu verbinden.
Disconnect widersetzt sich vielen Hollywood-Klischees, auch wenn es natürlich nicht ganz ohne auskommt. Der Film ist nicht ohne Fehler - Gerade beim zweiten Mal habe ich gemerkt, dass er sich im Mittelteil doch sehr zieht und einfach ein gutes Stück zu lang ist. Aber letztendlich ist das Finale es durchaus wert. 
Man kann sich viel aus Disconnect mitnehmen, oder nichts - Beides ist in Ordnung, beides wird vom Film akzeptiert. Solide unterhalten - Das ist meine Ansicht - war man in jedem Fall.

7/10 Gitarren für Disconnect
 

- Yoraiko


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