Freitag, 18. Oktober 2019

RPG Maker-Review - Zwielicht (2004)


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RPG-Maker-Spiele sind, essentiell und im Großen und Ganzen, ein Relikt der Vergangenheit, das seine Glanzzeit in den frühen 2000ern hatte. Viele der Wenigen, die heute noch in der deutschen Makercommunity aktiv sind oder zumindest damals ein Teil von ihr waren, verbinden ganz besondere Erfahrungen und Erinnerungen mit den selbstgemachten RPG-Spielen dieser Zeit. Dafür muss man bedenken: Es war eine andere Zeit. Das Internet steckte mehr oder weniger noch in den Kinderschuhen, die meisten von uns waren noch Kinder oder Jugendliche, die kaum etwas vom RPG-Maker verstanden, geschweige denn ihn besaßen oder mit ihm umgehen konnten. Wie viele, die in diesen frühen Tagen der deutschen Hobbyentwickler-Szene ihren Weg in die Welt der selbstgemachten RPGs fanden, war ich nur ein Kind, das die Spiele der Bravo Screenfun spielte, dabei immer wieder auf unrechtmäßig und ohne Zustimmung der Ersteller darin angebotene Makerspiele stieß und diese genoss, weil sie auf deutsch waren. Darüber fand ich laaaange Zeit später meinen Weg in die Community, und alles wurde leichter. Heutzutage stellen RPG-Makerspiele für uns kein Problem mehr dar: Kommen wir nicht weiter oder passt uns etwas nicht, manipulieren wir sie mit dem Maker und cheaten uns den Weg frei ODER fragen wir in der Community nach Rat.

Aber für den kleinen Jungen, der ich damals war, der an seinem uralten, staubigen Röhren-PC saß und für ihn vollkommen ominöse RPGs von einer Computerzeitschrift spielte, gab es diese Optionen nicht. Spiele waren, was sie waren, ob es mir gefiel oder nicht, und wenn ich sie so wie sie waren nicht schlagen konnte, dann hieß es eben buchstäblich Game Over. Das hat nicht zuletzt deswegen zu vielen, traumatischen Erfahrungen geführt, weil die RPG-Makerspiele dieser Zeit eben noch sperrig, unzugänglich und ungeschliffen waren, wie man es eigentlich über viele Videospiele der frühen 2000er behaupten muss. 


Eines dieser Spiele war Zwielicht, und ferner eigentlich alle RPGs vom noch heute namhaften Künstler Kelven, einer der einflussreichsten und prägendsten Hobbyersteller der deutschen Makerszene. Unfairer, schwerer, frustrierender noch als seine anderen Rollenspiele dieser Zeit faszinierte mich das RPG Zwielicht mit seiner andersartigen Fantasywelt, eine Stärke, die Kelven damals in seinen Spielen regelmäßig zur vollen Geltung brachte. Später ist ihm das leider gänzlich abhanden gekommen, aber das ist
ein anderes Thema. Nach einer langen Vorrede möchte ich über Zwielicht reden und eine Meinung dazu abgeben, warum es vielleicht auch heute noch keine schlechte Idee ist, noch einmal einen Blick auf das frühe Fantasy-RPG zu werfen, falls man nichts gegen eine charmante Pixeloptik und viel Frust hat. 




                       


In Zwielicht geht es grundsätzlich um die Dunkelelfin Arianith, die im Gegensatz zu ihrem brutalen, emotionskalten Volk Menschlichkeit und Wärme zeigt und dafür letztendlich von ihnen verbannt wird. Zwielicht behandelt übergeordnet das Thema Rassismus, Gefühle und Identität. Natürlich alles recht profan, und die Story ist auch gar nicht so wichtig. Als Kind hat sie mich genau wie die Welt und Charaktere natürlich noch zutiefst fasziniert, weil ich nichts kannte und all das so ernst genommen habe, heute schaut man da schon mit anderen Augen drauf. 

Was ich mit Zwielicht vor allem verbinde ist Sperrigkeit. Von sich aus würde das Spiel heute kein Mensch mehr spielen, weil es einfach so fordernd, altbacken und frustrierend ist. Zwielicht ist gnadenlos linear und schlauchartig, man wird von Gebiet zu Gebiet geworfen und wenn man den stetig mächtiger werdenden Zwangs-Bossgegnern nicht umfassend vorbereitet entgegentritt, heißt es Endstation. Es gibt keine Rücksetzpunkte, keine Failsaves, keine zweiten Chancen - Seid ihr in einem Abschnitt angekommen, ohne euch in den zwanzig Abschnitten vorher vernünftig vorzubereiten, und könnt den Bossgegner nicht besiegen, könnt ihr das Spiel neu starten. Wenn man als Kind noch keine Ahnung von Maker, Szene oder Internet hat, war das die einzige Option - Nochmal neu anfangen und besser vorbereiten. Zwei Mal habe ich das Spiel als Kind nach vielen investierten Wochen - Teilweise unter Tränen - neu begonnen, weil ich nicht weiterkam aber UNBEDINGT wissen WOLLTE und MUSSTE!! - wie die Geschichte weitergeht und endet. Es war eine kindliche Naivität, die noch keinen popkulturellen Überfluss kannte wie heute, und die jeden wilden Eifer beflügelte.

Vor wenigen Jahren spielte ich Zwielicht erneut und kam zu ähnlichen Schlüssen wie in diesem Review mit der Ausnahme, dass Zwielicht nicht so gut gealtert ist wie andere Fantasy-RPGS von Kelven. Viele der Dialoge und Szenen sind doch sehr, sehr krude und schlecht geschrieben, und während man das als Kind nicht merkt, fällt es als Erwachsener umso unangenehmer auf. Auch als 'intelligenter' Erwachsener ist das Spiel bockschwer und stellenweise schlichtweg unfair, und das mit perfekter Spielweise - Alles machen, alles mitnehmen. Als Heranwachsender war man weniger sorgfältig, zumindest bis man es zum dritten Mal resettet hat und jede einzelne Gegend lieber zwanzig als zwei Mal durchsucht. Das Ende und der Abschluss der Geschichte ist - Wie wirklich beinahe jedes Ende jedes Kelven-RPGS damals - unglaublich unbefriedigend und eine Unverschämtheit angesichts der investierten Mühe und Zeit. Als Kind war ich davon mehr als von all den Beschwerlichkeiten zuvor für Wochen verstört. 

Doch ich deutete an, es gibt Aspekte, die Zwielicht im Sande der Zeit nicht verloren hat - Der optisch immer noch sehr ansprechende, wenn auch sichtbar ungeschliffene Pixelstil von Kelven kann hier in (rudimentären) Fantasyumgebungen bewundert werden, und das Spiel sieht so immer noch um Längen besser aus als z.b. viele Playstation-Spiele. Die (zusammengeklaute) Musik untermalt das Geschehen für die damalige Zeit stimmungsvoll, und das Allerwichtigste: Zwielicht hat wirklich, ernsthaft, gute Charaktere. Versteht mich nicht falsch - Die meisten Charaktere des halben Dutzend spielbarer Figuren sind die flachsten, witzlosesten Klischees die man sich nur vorstellen kann, und die die damalige RPG-Maker-Szene wie Zombies überfluteten. Aber unser Hauptcharakter, die moralisch graue Dunkelelfin Arianith, ist ebenso wie ihr engster Vertrauter, der zwangsweise-gefühllose Halbmensch Darius, auch heute noch ein guter, einigermaßen komplexer Charakter mit nachvollziehbarer Entwicklung und vielen emotionalen Szenen. Sie besaßen eine Tiefe, die viele von Kelvens späteren Protagonisten vermissen ließen, und die man auch in kommerzielen Projekten noch nicht allzu häufig antrifft. Das Stichwort ist hier subtil - Arianith und Darius entwickeln sich in ihrer Beziehung zueinander, zu anderen und ihren eigenen Gefühlen subtil, nicht mit dem Holzhammer wie der Rest des Spiels. Keiner der beiden ist ein Stereotype. Die Story wird also von den Charakteren getragen, denn selbst ist sie eher wirklich klassisch, mit einem typischen Fantasy-Konflikt in mehreren Akten. Unterhaltsam und stellenweise spannend, keine Frage, aber fernab des Besonderen. Gerade gegen Ende hin legt die Handlung aber nochmal eine spürbare Schippe drauf, wie es sich für Rollenspiele damals wie auch heute gehört.



Es gibt noch Aspekte des Endes und der Konklusion von Zwielicht, die ich ansprechen muss. Beachtet, dass die folgenden Absätze Storyspoiler enthalten, wenn ich euch auch versichern kann, dass diese nicht tragisch sind und euch das keinen Spaß an diesem Retro-RPG rauben wird. 

                                     

Der große Mastermind hinter den Geschehnissen von Zwielicht ist eine Entität namens 'Wesen'.
Damals wie heute: Ich mochte die Idee und das Design dieses Wesens und halte es noch immer für einen der potentiell ikonischsten Antagonisten auf dem deutschen RPG-Maker, oder zumindest hatte es die Chance ein Solcher zu werden. Sein Konzept war gerade damals einigermaßen unverbraucht: Es muss sich von Leid ernähren und dafür Kriege unter den Völkern der Welt anzetteln. Es ist kein klischeehafter Bösewicht oder wahnsinniger Fiesling, es muss einfach nur irgendwie das Essen auf den Tisch bringen. Sicher kann man dem Herrn einen gewissen Hang zum Größenwahn nicht absprechen, doch letztendlich hat er sein Tun innerhalb der Geschichte nachvollziehbar begründet. Das Aussehen des Wesens ist ebenfalls sehr einprägsam und wie ich finde stilvoll geraten. Es verströmt einen distanzierten Charme. Warum das Wesen mit der Zeit immer mehr Leid braucht, wird hingegen nicht erklärt. Und da sind wir auch schon beim kollektiven Problem des Charakters, es fehlen Hintergründe. Was ist das Wesen überhaupt und wo kommt es her? Denn es ist ja offensichtlich auch eine Art Maschine. Da frage ich mich doch, wer hat es gebaut? Gibt es noch mehr von seiner Sorte? Warum hat es so hochentwickelte Technologie in einer mittelalterlichen Welt? Oder sind nicht alle Regionen der Zwielicht-Erde so rückständig? Warum muss es sich von Leid ernähren? 
Es sind all diese Fragen, die ich mir damals und heute stelle, wenn ich an den Mastermind in Zwielicht denke. Und es sind diese unbeantworteten Fragen, die den Unterschied zwischen einem Wahnfried, einem Asgar oder einem Tentakler und eben einem... Wesen ausmachen, das heute keiner mehr kennt. Ich bin mir sicher, hätte Kelven sich mit dem Hintergrund und dem Profil seines Wesens nur etwas mehr Mühe gegeben und es nicht als bloßes Plot-Device verschrottet, so hätte dieser Charakter einer der maßgebendsten Gegenspieler in der Makerszene werden können, einfach weil er meines Wissens nach auch über die Makergrenze hinaus so einzigartig in seiner Konzeption war. Aber das ist eine Kamelle der Vergangenheit.



Der letzte, große Endgegner war im Gegensatz zu den beiden anderen bedeutenden Fantasy-RPGs Kelvens auch eher eine Witzfigur als eine ernstzunehmende Bedrohung, die weder spielerisch noch innerhalb der Narrative einen Grund zur Sorge gab, ja sogar die Charaktere machten sich über sein Aussehen lustig(!!). Zwielicht ist nicht zuletzt deswegen schlecht gealtert, weil es versäumt, was im Fantasy-Genre doch so essentiell ist - Ein befriedigender Klimax. Und das Ende, das war noch mehr Nichts.


                     

Ich glaube, das hat mich als Kind und Jugendlicher damals am meisten geärgert, als ich Zwielicht endlich, endlich besiegt hatte, nach Monaten der Willensstärke und des Haderns - Eine Ende, das keines war. Wenn ich eine Geschichte mit ihren Charakteren über längere Zeit verfolgt hatte, wollte ich doch auch immer ein möglichst detailliertes Ende, in dem ich ausführlich erfuhr, wie die Zukunft der mir ans Herz gewachsenen Personen aussah. Während gerade in der Manga-, und Anime-Kultur auch heute noch viel, viel, viel zu viele Geschichten genau daran scheitern, wurde man in Makerspielen in diesem Punkt bedeutend seltener enttäuscht. Zwielicht hingegen lässt nach seinem Finale alles liegen, was es sich in vielen Stunden aufgebaut hat, schmeißt das bisher so mühselig Inszenierte aus dem Fenster und versäumt einen vernünftigen Abschluss. Die Beziehung zwischen Arianith und Darius - Verpufft. Nein, die Hauptcharaktere verabschieden sich am Ende nicht mal voneinander. Der Spieler wird hier auf ganzer Ebene enttäuscht, und somit eingestanden, dass die Charaktere nichts weiter sind als nötige Übel für den Plot. Das ist der einzige wirkliche Grund, der gegen ein Eintauchen in das Kontroverseste von Kelvens alten Rollenspielen spricht.



Fazit

Zwielicht ist dieses alte, angestaubte Brettspiel, das wir in der hintersten Ecke unseres Dachbodens finden, wenn wir diesen in einem Anfall von Nostalgie mal wieder nach schönen Erinnerungen durchsuchen - Wir waren Kinder. Wir hatten doch Nichts. Und wir waren über Alles glücklich, das wir dann doch in die Finger bekamen. Es war nicht perfekt, und heute ist es nicht mehr als ein veraltetes, kaputtes Brettspiel, aber wir erinnern uns noch immer, wie dankbar wir damals dafür waren. Zwielicht ist dieses Brettspiel. Und wie es mit all unseren ganz persönlichen, verschrobenen Erinnerungen der Fall ist, werden auch vor allem Nostalgiker der Kelven-Entwicklung dieses sperrige Fantasy-Rollenspiel nochmals anfassen. Es ist spielerfeindlich, frustrierend, unheimlich schwer und gnadenlos wenn es darum geht, Unaufmerksamkeit zu bestrafen. Die meisten Charaktere sind platte Klischees, doch einige sind es nicht, aber das Ende enttäuscht auf ganzer Linie. Die Welt ist gelungene Fantasy, mit einigen wirklich kreativen und ansprechenden Ansätzen wie den vollkommen schwarzen Dunkelelfen, aber heute lockt sowas natürlich niemanden mehr hinterm Ofen hervor. Und letztendlich darf man nicht außer Acht lassen, dass Zwielicht als Spiel mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Spaß macht, weil es ein gnadenloser Dungeon-Schlauch ohne viel Optionales und schon gar keine Abwechslung ist, und das man mögen oder zumindest wissen MUSS, bevor man sich heranwagt. Man schwingt sich nur von Storyfetzen zu Storyfetzen. Doch was man diesem frühen Hit der deutschen RPG-Makerszene auf keinen Fall absprechen kann, ist Charme. Der Charme des Vergangenen. Der Charme des Unperfekten. Der Charme von Staubduft und dem gleichmäßigen Flimmern unseres Röhrenbildschirms. Es gibt kaum einen günstigeren Fahrschein in die Vergangenheit als Kelvens erste Gehversuche im Rollenspielgenre, und so werden sich die ganz Hartgesottenen an Zwielicht wenden. Ein staubiges, wundervolles Brettspiel, das es so niemals wieder geben wird. 



4/10 Walkmans für Zwielicht
- Yoraiko 



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