Montag, 9. September 2019

Sommerhitze, Winterkälte, Herbstgewand, Frühlingsschmand




Es ist momentan Anfang September, und das Jahr geht schon wieder so langsam seinem Ende entgegen. Das ansich wäre schon bemerkenswert genug, aber vor wenigen Tagen hat uns hier in Leipzig nochmal eine erneute Hitzewelle heimgesucht, nachdem wir den Sommer fast schon abgeschrieben hatten. Temperaturen stiegen weit über die 30, die Sonne knallte herunter wie ein amerikanischer Atombomber, und unsere Kleidung klebte uns permanent am Körper. Aktuell ist das Wetter aber wieder so, wie man es im September erwarten würde, wolkenverhangen, kühl, herbstlich. Das wird es für dieses Jahr wohl mit der Novahitze gewesen sein, und darüber sind die meisten, inklusive meiner Person, eigentlich ganz froh - Wir sehnen uns nach dem Winter. Aber tun wir das wirklich? Ist es nicht jedes Jahr wieder das selbe Spiel, dass man sich nach der Jahreszeit sehnt, die gerade nicht an der Tagesordnung ist, um wieder eine Abwechslung zu verspüren? Weil man diese gegen dem aktuell vorherrschenden Extrem verklärt? Darüber möchte ich hier niedergeschrieben nachdenken. 

Der Sommer ist die Jahreszeit, die die meisten als ihren Liebling angeben, die buchstäbliche Sonnenseite des Jahres, die Zeit um hinauszugehen und zu leben, eine Wetterlage des Tatendranges und der Freude. Viele Vorteile kommen mit dem Sommer im Paket - Man kann sich endlich wieder entspannter kleiden, seine coolen T-shirts präsentieren, halbnackt rumlaufen. Und wenn man ein einigermaßen hübscher Anblick ist, haben alle anderen gleich auch noch was davon! Es macht mehr Spaß, morgens aufzustehen, und in ein angenehmes Klima vor die Tür zu treten. Fahrrad-, und Schwimmausflüge bestimmen unsere Freizeit, endlich können wir wieder den Wind in den Haaren spüren und es einfach nur genießen, draußen zu sein. Das Warten auf öffentliche Verkehrsmittel ist deutlich weniger unangenehm als im Winter, nein, man läuft sogar bereitwillig lieber mehr als zu wenig. Und zum Abendessen wird mit der ganzen Familie oder dem Freundeskreis gegrillt.

Die Kehrseite sind die Kleider, die uns permanent an der Haut kleben. Wir fühlen uns permanent, wirklich ständig verschwitzt, ungewaschen und eklig. Wir können duschen gehen, uns neu einkleiden und sind zwanzig Minuten später doch wieder komplett durch. Das Aufhalten in geschlossenen Räumen und Straßenbahnen wird zur Atemübung. Warme Mahlzeiten heizen unsere Körper noch weiter auf, und simulieren uns das Gefühl, wir würden mit Frodo und Sam gerade den verdammten Ring in den Vulkan schmeißen. Wir müssen viel mehr trinken, es wird einem schneller schlecht, der Kreislauf wird zur Sniggers-Diva, und hübscher macht viele das auch nicht. Außerdem ist natürlich unsere Konzentration stark von Hitze und Sonnenschein beeinflusst, was uns vor allem beim Arbeiten zum Verhängnis werden kann. Mehr noch als Videospiele, Pornografie, oder Videospiele-Pornografie hindert uns ein 30°-Thermometer daran, uns länger als zehn Minuten auf etwas Wichtiges und Ernsthaftes zu fokussieren, und das ist durchaus ein Problem, wenn man nicht gerade im Fernsehen, als Youtuber oder als Fahrkartenkontrolleur arbeitet. Und vergessen wir nicht die Schüler, Studenten und Auszubildenden, die dank unserem hoffnungslos-veralteten Schulsystem 6 - 9 Stunden in einem stickigen, kleinen Gebäude sitzen und einem untersetzten Mann vorne an der Kreidetafel dabei zugucken dürfen, wie er geometrische Formeln erklärt, die keiner von ihnen nach diesem Tag jemals wieder brauchen wird.

Das ist der Punkt an dem man anfängt, sich nach dem Winter zu sehnen - Jetzt eine schöne, kühle Brise, kalter, erfrischender Schnee, etwas weniger Sonnenschein und ein ausgeglicheneres Klima, das wär schon was... oder?

Der Winter steht ein wenig im Schatten des Sommers, und wird vor allem von individualistischen Teenagern und/oder sich unironisch als 'Emo' identifizierenden Menschen als Lieblingsjahreszeit angegeben. Das hat vor allem den naheliegenden und wenig tiefgehenden Grund, dass er scheißekalt ist. Er ist dunkel, deprimierend und sehr unangenehm, wenn man sich nicht gegen ihn schützen kann, er verkürzt unsere Tage und macht das, was von ihnen übrig ist, zu grauschwarzen, notwendigen Übels. Und Schnee kann in Deutschland leider schon lange nicht mehr als Verkaufsargument für den Winter her halten, denn zu Weihnachten lässt er sich schon seit 10+ Jahren nicht mehr blicken, außer vielleicht in irgendwelchen realitätsfernen Cartoons, und außerdem setzt er jedes Mal, wenn er dann doch eintrifft, das gesamte deutsche Bahnnetz im biblischsten Ausmaß außer Kraft, so als würde er die Deutsche Bahn jedes Mal wieder vollkommen unvorbereitet treffen, so als wäre einem dieses Phänomen gänzlich neu. Außerdem müssen wir unsere Heizungen in den Dauerbetrieb nehmen und bekommen, vor allem wenn man im Erdgeschoss wohnt, trotzdem keine Garantie dafür, dass wir nicht den halben Tag wie arme Aal-Karikaturen zittern. Unsere Schuhe feuchten sich schneller ein als thailändische Masseurinnen, und vom Ergebnis - unseren gnadenlos durchnässten Socken - haben wir noch den ganzen Abend was. Das Warten auf Straßenbahnen oder andere Sehnsüchte unter freiem Himmel ist eine wirklich furchtbare, furchtbare Vorhölle, die ich Jahr für Jahr wieder verfluchte, weil Kälte bekanntermaßen dann am stärksten ist, wenn man still steht. Freizeitaktivitäten sind die Ausnahme und meist Familien und Draufgängern vorenthalten, gemütliche Abende bei Tee, einem (virtuellen) Kaminfeuer, Kuscheldecke und dem vielzitierten 'Guten Buch' - oder für euch liebe Millenials -  dem Smartphone, sind im Winter eher die Norm. Aber ist das schlecht?
Vielen schlägt die dunkle Jahreszeit auch einfach aufs Gemüt, und man beginnt - Merkt ihr was - sich nach dem Sommer zu sehnen. Endlich wieder Sonnenschein, Wärme und gute Laune.

Dahingegen geht mit dem Winter auch die wunderbare Weihnachtszeit einher, im Schnee zu spielen macht immer wieder Spaß und bietet unbegrenzte Möglichkeiten, das erwähnte 'erzwungene' Drinnsein und die durch die Kälte entstehende Gemütlichkeit schätze ich persönlich sehr, und die dunklen Tage nebst langen Nächten sind genau das Richtige, wenn man ein blasser Mondanbeter ist, der nur unter Protest in die Sonne geht, um da zu glitzern. Wir schlafen viel besser und ruhiger, wenn wir uns entsprechend eingekuschelt haben, weil wir nicht in unserem eigenen Schweiß ertrinken. 

Also, wir stellen fest: Man will immer das Andere. Das ist normal, so ist es eben überall: Uns reizt, was wir nicht haben, was der Andere besitzt, sein es Geschwister, Haarfarben oder Talente. Na ja, oder eben die ferne Jahreszeit, die uns gerade nicht geschenkt ist. Die Natur muss sich mittlerweile nur noch verarscht vorkommen, nichts stellt uns zufrieden, wie man's macht isses falsch. Da ist es auch gar nicht mehr so verwunderlich, dass sie seit einigen Jahren am Rad dreht und uns Hitzewellen und Schneelosigkeit um die Ohren knallt. Dabei hat sie doch schon eine Lösung für unsere Unentschlossenheit ersonnen - Den Herbst.

Der Herbst ist für mich die zurückhaltende, schüchterne Prinzessin der Jahreszeiten, unterschätzt, selten erwähnt, aber mit einem unbestreitbaren Charme ausgestattet. Die beste Jahreszeit, die die Stärken beider Extreme in sich vereint. Gerade der frühe Herbst ist geprägt von abflauenden Hitzewellen mit angenehmer Brise, dem einen oder anderen, erfrischenden Regenschauer oder überfälligen Windböen. Noch ist der Herbst zu schwül, noch zu kalt, er verbindet Kälte mit Wärme, Sonne mit Regen, Blau mit Wolken, Wind mit Schwüle. Und für mich persönlich gibt es auf dieser Welt kein wundervolleres Wetter, als angenehme 25°C mit leicht wolkenverhangenem Himmel, einem ganz sanften Windgang und eventuell noch einem tröpfchenartigen Miniregen. Paradiesisch. Außerdem färbt er unsere Natur in wundervolle Farben und ein immer wieder beeindruckendes Gewand, wo der Sommer sie nur grün und der Winter sie nur tot hinkriegt. 

Der Sommer ist dieser eine, verhasste aber unerreichte Einser-Schüler auf der Kunsthochschule, der seine wenig kreativen Kollegen wie die hinterletzten Versetzungsgefährdeten aussehen lässt. Der Herbst verachtet uns nicht, wie der Winter, oder überschüttet uns mit seiner Liebe, wie der Sommer, er reicht uns freundschaftlich die Hand und nimmt uns mit auf eine sehr kurzweilige, aber sehr versöhnliche Zeit der Zwischentöne. Und darum ist es schade, dass er hinter den anderen drei Jahreszeiten immer sehr zurücksteht, und in der Wahrnehmung der Menschen gar nicht richtig verankert ist. Ich meine... KASTANIENSAMMELN!! Ich muss mich heute noch manchmal beherrschen, dem pokemonesquen Sammeltrieb nicht statt zu geben, obwohl man schon als Kind nie so recht wusste, was man denn jetzt mit den vielen hundert, in mühsamer Arbeit gesammelten Nussfrüchten eigentlich anfangen soll, bis sie vergammelten und wir sie wegwarfen. 

Nicht unerwähnt bleiben soll der Frühling, den ich so ein wenig als die unattraktive kleine Schwester des Herbstes ansehe - Ähnliche Charakteristik eines Vereiners von Extemen, eine Übergangszeit, aber weniger verspielt und dafür umso anbiedernder an den Sommer, indem er dessen Drecksarbeit macht und schon mal alles für ihn bereit legt, inklusive poliertem Apfel. Außerdem ist der Frühling zeitlich sehr schwammig abgesteckt, so dass er meist noch in die Winterkälte fällt. Viel Style, wenig Substance. Miststück. 

Was kann man abschließend noch sagen außer die bahnbrechende Erkenntnis, dass Menschen einfach niemals zufrieden sind? Ach ja natürlich, das in diesem Kontext einzig Ehrliche und Konsequente:



Ich freue mich auf den Winter.

- Yoraiko




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