Dienstag, 27. August 2019

Kurzgeschichte - Just another Lovestory



Glaubst du an den Teufel?


Das waren ihre ersten Worte zu mir. Rückblickend gesehen nicht sehr subtil, aber wer würde auch mit dem rechnen, das dahinter steckte? Doch ich sollte zuerst bei mir anfangen, ehe ich über jemand anderen spreche. Mein Name ist Itris, Itris Callmon, ich bin 24 Jahre alt und war mein ganzes Leben lang das, was ich als Ewig Einsamen bezeichnete. Seit ich denken konnte war ich anders. Die Kinder im Kindergarten mochten mich nicht, darum spielte ich allein. Die Kinder in der Grundschule mochten mich nicht, darum war ich allein. Die Jugendlichen in der Oberschule fanden mich eklig und seltsam, darum wurde ich gemobbt, verprügelt, ausgelacht und beschimpft. Ich war immer leicht übergewichtig, mein fettiges Haar schien sich niemals sauber waschen lassen zu wollen, und egal was ich damit anstellte oder wie ich es schnitt, am Ende war es ein lockiges, krauses Chaos. Ich hatte blasse Haut und schwitzte durch meine Drüsenkrankheit sehr stark, war weder sportlich noch klug, weil mir zum Lernen die Motivation fehlte. Nach einem knappen Schulabschluss absolvierte ich eine Ausbildung zum Buchhändler, die mich nicht interessierte, und kehrte wieder in meine Heimatstadt Blackburough, einem kleinen, amerikanischen Kaff zurück, um bei Mama zu leben und in einem örtlichen Laden zu arbeiten, der einem ihrer Nachbarn gehörte. Ich hatte die Ausbildung nur gemacht, um Mama nicht noch mehr zu enttäuschen. Abgesehen davon war ich der uninteressanteste Mensch, dem ich je begegnet war. Ich hatte keine besonderen Interessen oder Hobbies, in meiner Freizeit laß ich Comics oder guckte online illegal Filme und Serien, um die Zeit totzuschlagen, spielte mit Mama ihre Lieblingsbrettspiele oder tauschte mich in miserablen Foren mit noch miserableren Menschen aus, die ein ähnlich tristes und einsames Leben wie ich führten. Ich besaß noch nie Freunde oder Personen die freiwillig ihre Zeit mit mir verbracht hätten, und abgesehen von Mama hatte mich keine einzige Person des anderen Geschlechts jemals umarmt, geküsst oder gar mit mir geschlafen. Ich wusste nicht, wie sich Liebe anfühlte, oder menschliche Zuneigung, aber ich konnte mir vorstellen, dass es schön sein musste. In meinen jüngeren Jahren hatte ich fast jede Nacht geweint, weil die Einsamkeit unweigerlich zu Depressionen und Suizidgedanken führte. Irgendwann nahm das ein Ende, als ich bemerkte, dass sich dadurch nichts änderte. Ich war hässlich, hatte nichts zu bieten und lebte ein unbedeutendes Leben in Isolation. Und der einzige Grund, warum ich mich nie umgebracht hatte war, weil ich meine Mama dann alleine in der Welt zurücklassen würde. Sie besaß ebenfalls niemanden außer oberflächliche Bekanntschaften. 

Ich könnte seitenweise so weiterlamentieren, und das hier würde - wie jede authentische Erzählung eines Menschen, der mit 24 noch keinen anderen Menschen geküsst hat - sehr schnell sehr anstrengend und deprimierend werden. Aber da das keiner lesen möchte, überspringe ich den Rest und komme zu einem Tag im Juni, in ein kleines Café in Blackburough, in dem sich mein Leben, gelinde gesagt, veränderte. Es war der einzige öffentliche Ort der Stadt an den ich mich tagsüber traute, wenn ich nicht mehr arbeiten musste und etwas Leckeres essen wollte, ohne Mama für mich kochen zu lassen. Ich saß wie während jedes meiner Besuche der letzten acht Jahre hier auf meinem Stammplatz weit hinten in der fensterlosen Ecke, die von den anderen Tischen und Sofas entfernt und isoliert lag, und spielte etwas auf meiner Playstation Vita, während ich an einem Milschshake saugte.  

Ich weiß nicht, warum ich sie nicht sofort bemerkt hatte. Eine meiner Theorien besagt, dass sie es so wollte. Als ich irgendwann von meiner Playstation aufsah, um am Strohhalm zu ziehen, dachte ich, ich halluziniere. Mir gegenüber saß auf der anderen Seite des Tisches ein Mädchen, das etwa in meinem Alter sein musste, und mich ungeniert anlächelte. Ich glaubte in diesem Moment nicht, schon einmal ein so vollkommenes, wunderschönes Lebewesen gesehen zu haben, was wohl vor allem daran lag, dass ich noch nie einer gleichaltrigen Frau so nah war. Ihre tiefschwarzen, glatten Haare reichten ihr fast bis zur Hüfte, ihre Haut war von einer elfenbeinartigen Blässe, und ihre Augen… schimmerten gelb. Mir fiel das erst viel später als ungewöhnlich auf, weil ich in diesem Moment ganz andere Sorgen hatte. Mit offenem Mund musste ich sie für fast eine halbe Minute dümmlich angestarrt haben, ich spürte, wie ich einen Schweißausbruch bekam und sah ohne konkreten Anlass schnell beschämt nach unten auf die Tischplatte. Das Mädchen sagte nichts und irgendwann sah ich wieder zu ihr.
“Glaubst du an den Teufel?”

Ich erinnere mich, dass ich bevor ich über diese Frage nachdachte, bemerkte, wie klar und melodisch ihre Stimme klang. Zusammen mit ihrem Aussehen beschlich mich das Gefühl, dass diese Person nicht von dieser Welt sein könne. Junge, hatte ich eine Ahnung… erst Momente später jedenfalls realisierte ich, dass sie mich tatsächlich angesprochen und von sich aus mit mir geredet hatte. Ich glaubte, zu stottern, ehe ich wirklich etwas herausbekam.
“Der… Teufel…? Ich… glaube nicht, ich meine… “, ich druckste mit meinen Händen herum, um mich zu beruhigen, “... ich bin nicht religiös, und… na ja, ich halte das alles nicht für sehr logisch, ich glaube mehr an die Wissenschaft.” Mir wurde schlagartig bewusst, dass ich so eben vielleicht ihre Weltanschauung beleidigt hatte, weswegen ich schnell die Hände entschuldigend vor die Brust nahm, “ich… ich will 
natürlich nicht sagen, dass es ihn nicht geben kann, den… den Teufel. Und Gott, und all das. Soll ja jeder glauben, was er möchte… ja.” 
Ich suchte meine Knie. Ich schwitzte, und das würde sie riechen. Aber die Person mir gegenüber kicherte. Leise. Nicht das nervige Kichern eines naiven Schulmädchens. Das elegante Kichern einer Dame. Sie hatte ihr Kinn auf beide Hände abgestützt, als ich mich traute sie anzusehen. Für einen Moment sahen wir uns in die Augen, genau bevor ich wegschauen wollte sagte sie etwas:
“Was ist deine Lieblingszahl…?”
“Ich… weiß nicht… zwölf vielleicht…?”
Ihr Lächeln wurde zu einem belustigten Grinsen. Ich wusste mit Sicherheit, dass meine Knie noch nie so weich waren, und wollte krampfhaft an einen Gott glauben, damit ich zu ihm beten konnte, sodass sie mein Herzklopfen nicht hörte. 
“Komisch, meine auch.”
Ah…” Ich nickte und versuchte ihr Grinsen zu erwidern, was in einer verstörenden Mischung aus Zahnschmerzen und Knurren geendet haben musste. Aber mit diesem seltsamen Charisma, das das Mädchen umgab, fuhr sie einfach fort:
“Du bist mir hier schon öfter aufgefallen, weißt du? … Du sitzt immer hier hinten, allein. Isoliert.” Es war unangenehm. Ich tat das Übliche, ich leugnete.
“Na ja, nein, der Platz hier ist immer frei, und ich kann in Ruhe für meine Arbeit rech-”
“Du recherchierst hier nicht und tust auch anderweitig nichts für deine Arbeit. Du sitzt immer nur mit dem Rücken zum Café über deine Playstation gebeugt, trinkst zwei, drei Milchshakes und gehst dann mit dem selben, apathischen Gesichtsausdruck raus, mit dem du eingetreten bist. Das hier ist kein Platz, den man zufällig nimmt. Man setzt sich nur in diese Ecke, wenn man es ganz gezielt möchte.”
Ihr Lächeln war verschwunden. Stattdessen zeigten mir ihre Augen einen schwer zu deutenden Ausdruck, der mich am ehesten noch an Empathie erinnerte. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte. Ich war verwirrt, dass so eine Frau mich offenbar so genau beobachtete. Schweigend starrte ich meine Jeans an, bis mir scheinbar klar wurde, was das hier sollte.
“Ist… ist das ein Streich von meinen Arbeitskollegen oder so…? Wenn du mich nur verarschen willst, tut mir leid, ist nicht lustig, ha ha. Bitte lass mich in Ruhe.”
Meine Stimme musste weinerlich geklungen haben als ich ihrem Blick auswich, denn mir kroch die alte, aber noch immer schmerzliche Erkenntnis ins Genick, dass es keinen rationalen Grund hätte geben können, aus dem eine schwarzhaarige Schönheit mich in einem heruntergekommenen Café in einer amerikanischen Kleinstadt anspricht. Sie beugte sich nach vorne, weit. Ich schreckte zurück, und sah wieder die Andeutung eines Lächelns auf ihren Lippen.
“Mein Name ist Rebekka. Darf ich deinen erfahren?”

Es hatte angefangen zu regnen, leise Tropfen prasselten gegen die entfernten Fenster. Rebekka, falls sie so hieß, lehnte sich über den Tisch und ihr Gesicht näherte sich meinem schneller als es mir lieb gewesen wäre, deutlich schneller. Nervös und äußerst unglücklich mit der Situation hoffte ich, sie würde einfach bald ‘Reingelegt’ brüllen und mich wieder in Ruhe lassen. 
“... Itris.”
Sie setzte sich wieder normal hin und legte den Kopf ein bisschen schief.
“Gefällt mir. Itris…”
Ich war kurz davor aufzustehen, denn mein T-Shirt war durchgeschwitzt und ich kam mir dumm vor. Erneut schien sie das vorherzusehen und stoppte mich.
“Mit mir hat überhaupt niemand geredet, Itris. Du kommst seit acht Jahren in dieses Café und entscheidest dich bewusst, in dieser Ecke zu sitzen. Und ich beobachte dich seit einiger Zeit und habe mich bewusst entschieden, dich anzusprechen.”
Ich verengte die Augenbrauen und schüttelte den Kopf. Sie war eine gute Schauspielerin und hatte meine Kollegen sicher ein kleines Vermögen gekostet.
Als würde sie meine Gedanken lesen schmunzelte sie wie eine Katze. Ihre Zähne waren weiß wie Schnee, ihre Mundwinkel spitz wie Dornen.
“Du glaubst nicht an den Teufel. Aber du glaubst an Teufel, die dich kränken wollen. Oh ja, die gibt es. Aber ich bin keiner davon. Ich möchte… dich kennenlernen.”
Warum…?
Mehr als dieses gekrächzte Wort brachte ich nicht zustande. Ich hatte noch nie mit einer Frau eine Konversation geführt, die länger als eine Minute ging. Das hier fühlte sich auf jeder Ebene einfach surreal und unangenehm an, einerseits misstraute ich ihr, andererseits wollte ich ihr vielleicht auch gar nicht vertrauen. Statt mir zu antworten stützte sie ihre Wange auf ihrem Handrücken ab und starrte mich wie eine seltene Kuriosität an. 
“Weil du besonders bist. Und weil ich dir gerne helfen möchte.”




Ja. Und das war unser erstes Treffen. Natürlich, das Gespräch ging noch eine Weile weiter, aber das interessiert doch eh keinen. Die Essenz des Gespräches bestand darin, dass Rebekka sich mir als aus Kanada hinzugezogene Übersetzerin vorstellte, die mit ihrer Familie nach Blackburough gekommen war, um dem Großstadttrubel zu entfliehen. Die Farbe ihrer Augen, so erklärte sie mir, war eine angeborene Krankheit, irgendwas mit Kerato. Nach fast einer Stunde des wohl seltsamsten Gespräches in meinen 24 Lebensjahren hatte sie mich davon überzeugt, dass sie mich wirklich aus freiem Willen angesprochen hatte. Als wir uns ein paar Minuten später voneinander verabschiedeten und für den nächsten Tag verabredeten, rannte ich wie ein kleiner Schuljunge aufgeregt nach Hause, um es Mama zu erzählen, Mama und den Jungs aus dem Onlineforum. Während einige genau wie ich an Rebeccas Beweggründen zweifelten, wünschten mir andere viel Glück. Ich warf mich auf mein Bett und starrte die Decke an, die noch immer mit den Rockerpostern längst vergangener Teenagerjahre bepflastert war. Meine Gedanken rasten. Ich war nicht mehr außer Puste, aber dafür umso aufgeregter. Ich stellte mich vor den Spiegel und betrachtete mein Selbst lange und intensiv, um sicher zu sein, dass es sich nicht um einen Traum handelte. Wenn ich die Lider senkte, leuchteten mir in der Dunkelheit noch immer ihre stechend gelben Augen entgegen, als würden sie mich selbst jetzt beobachten.

Die nächsten zehn Tage verliefen gänzlich anders als die letzten zehn Jahre. 
So als hätte ich seit dem Tag an dem ich geboren wurde ausschließlich Pisse getrunken und jetzt plötzlich entdeckt, dass es Wasser gab. Rebekka war Wasser. Ich hatte eine Freundin, die an mir interessiert war, und ihre Freizeit mit mir verbrachte. Sie war unglaublich gebildet, witzig und kreativ; und obwohl ich glaubte, aus meiner grauen Persönlichkeit könne man nichts herausholen, tat sie genau das und lauschte meinen holperigen Ausführungen über diesen Film und jenes Videospiel gespannt mit leuchtenden Augen. Spätabends am zehnten Tag saßen wir beide auf meinem Bett und erzählten uns über unsere Vergangenheit, wobei ich das meiste beschönigte oder ganz wegließ. Irgendwann fing ich an zu weinen. Ich hatte keine Ahnung warum oder was es ausgelöst hatte, es passierte einfach. Ich schluchzte vor mich hin und Rebekka nahm mich in den Arm. Ihre Wärme und ihre sanfte Stimme an meinem Ohr, die ein gleichmäßiges ‘Shhh’ säuselte, verstärkten den Effekt nur. Rückblickend glaube ich nicht, dass es sich um ein Weinen aus Traurigkeit handelte. 
Wir freundeten uns an. Freundeten uns tatsächlich an. So kitschig es klingt, Sonnenlicht betrat meinen Alltag, ich fühlte mich, als würde ich das erste Mal einen Grund haben, aufzustehen wenn ich morgens die Augen aufmachte. Ich freute mich auf die Arbeit, weil ich danach Rebekka sehen würde, konnte zum ersten Mal flüssige Sätze in einer Konversation beitragen und begann endlich zu begreifen, dass ich nicht nur menschlicher Müll war. Ich atmete nicht mehr, weil es ein Körperreflex war, sondern weil ich es wollte. Ich traf die bewusste Entscheidung, zu atmen und zu leben. Und nach drei Wochen - Rebekka und ich saßen auf meinem Bett und guckten einen Splatterhorrorfilm - nahm sie meine Hand, sah mich sehr lange sehr tief an und fragte mich, ob sie mich küssen dürfe. Eine solch surreale Situation überforderte mich, es hätte andersherum sein sollen, und ich konnte ihr nicht antworten. Und so tat sie es einfach. Als es vorbei war, war ich noch immer betäubt von dem warmen Gefühl ihrer Lippen auf meinen, ich konnte nicht glauben, was gerade passiert war. Die einzige Konstante waren Rebekkas gelbe Augen, die mich sehr ernst ansahen und näherkamen, bevor sie mich nochmal küsste.


“...Hör auf…”

“Warum?”

“Ich…”, mir kamen wieder die Tränen, und ich hasste mich dafür, also wandte ich mich ab, “ich bin hässlich, und fett, und stinke, und kann dir gar nichts bieten und”, sie unterbrach mich, in dem sie sich auf meinen Schoß setzte und mir beide Arme um den Hals legte. Ihre Stirn lehnte an meiner und ich glaubte, ich würde gleich anfangen zu hyperventilieren, mir wurde heiß und kalt, ihr Gewicht auf meinem Schoß war ein wunderbares, und gleichzeitig lähmendes Gefühl. 

“Du bist schön, Itris. Mich interessiert nicht, was Menschen von deinem Aussehen halten oder was sie die letzten fünfzehn Jahre darüber gesagt haben, für mich bist du schön, und ich weiß, was Schönheit ist.”
Ich zitterte. War stumm wie ein Fisch. Rebekka flüsterte mir ins Ohr.
Fett… dabei wären hunderttausende Menschen aus der Welt gerne so kräftig wie du. Millionen wären gerne so mager wie du. Das ist eine Mitte, die nur wenige, sehr wenige jemals erreichen.”
Ich wollte wegsehen, denn mein Gesicht brannte vor Röte, aber Rebekka ließ es nicht zu, drückte ihre Stirn gegen meine.
“Ich mag deinen Duft.”
Sie küsste mich. Küsste und umschlang mich. Unvergleichlich sanft, nachsichtig und liebevoll kompensierte sie meine Unsicherheit, Angst und Emotionalität, und bescherte mir einen Moment des Glückes, den ich bis dahin für idealistisches Geträume gehalten hatte, das ich nie erleben würde. Als es vorbei war, küsste sie meinen ganzen Körper langsam und behutsam. Schließlich war sie bei meinem Mund angekommen, ihre blassen Lippen vereinten sich mit meinen, und einen Moment später auch unsere Zungen. Das Letzte, das ich hörte, bevor ich das erste Mal glücklich einschlief war ein geflüstertes 
Ich liebe dich, Itris.’

Das war schön. Gib einem vereinsamten Menschen einen anderen Menschen und er ist glücklich. Ich war glücklich, jetzt eine Freundin zu haben. Mama weinte wie ein Schlosshund, als wir ihr erzählten, dass wir ein Paar sind. Meine Kollegen und Nachbarn konnten es nicht glauben und diskutierten einige Wochen, wo ich denn das ganze Geld her hatte, um eine so edle Prostituierte zu bezahlen. Ich wollte schon immer etwas sagen, aber Rebekka hielt mich zurück, denn es amüsierte sie offensichtlich mehr, mir vor den ungläubigen Neidern einen minutenlangen, speichelhaltigen Zungenkuss zu geben, bei dem es sogar dem Teufel die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte, dachte ich jedenfalls damals. Ich trieb Sport, brachte mich in Form und nahm tatsächlich ab. Über die biblische Figur sprach Rebekka nicht mehr. Ich dachte auch gar nicht mehr daran, zu benebelt war ich von ihrer Zuneigung. Aber wie es so war im Leben eines Verlierers, kam irgendwann das Aber. Und Holla die Waldfee, war dies ein riesiges scheiß Aber

Ich erkrankte an Brustkrebs. Es wurde diagnostiziert, als ich zusammenbrach und Blut spuckte. Mir blieb noch ein Monat, höchstens zwei. Bei meinem ersten Krankenbesuch beugte Rebekka sich über mein Bett, lächelte ihr sanftes, beruhigendes Lächeln und streichelte meine Wange. Ich glaubte, mich getäuscht zu haben, meinte, jetzt wirklich zu halluzinieren, aber ich sah wie ihre gelben Augen sich für einen Sekundenbruchteil rot färbten. Dann verließ sie den Raum ohne ein weiteres Wort. Drei Tage später war mein Krebs praktisch verschwunden. Es schien den Ärzten unerklärlich. Mama und Rebekka gaben zusammen mit der halben Stadt eine Party für mich und der Arzt meinte, irgendwer da oben müsse mich lieben. 
Er hätte nicht falscher liegen können. Zwei Tage später, Rebekka und ich befanden uns zum shoppen in der Nähe des örtlichen Bahnhofes, entgleiste zum ersten Mal in der Geschichte Blackburoughs ein Zug und raste voll auf uns zu, nur um wenige Meter vor dem Einschlag von einem zweiten, entgleisten Zug gerammt und von seinem Kurs abgebracht zu werden. Über zweihundert Menschen starben. Rebekka und mir fehlte kein Haar. Keine zwei Stunden nach dem Vorfall hatte eine Krankenschwester mir ein Beruhigungsmittel spritzen wollen, nur um Augenblicke später festzustellen, dass sie es mit Insulin verwechselt und mir eine absolut tödliche Dosis verabreicht haben musste. Zum Glück für mich war es seit 1922 abgelaufen, und zeigte wohl keine Wirkung mehr. Die Krankenschwester war untröstlich und verlor ihren Job. Ich aber rutschte auf dem Nachhauseweg auf einer Bananenschale aus und flog vor ein heranpreschendes Auto, dessen Motor in genau dem selben Augenblick explodierte und den Fahrer, seine Familie so wie das gesamte Fahrzeug in tausend Teile zerfetzte. Mir fehlte nichts, außer mein Vertrauen in meinen Verstand. Da war ich dann einen Tag später auch nur mäßig verwundert, als mitten in unserem Haus ein Meteorit einschlug, der es in Schutt und Asche verwandelte. Mama, Rebekka und ich waren nur unversehrt, weil es Minuten zuvor nach Gas roch und wir uns sicherheitshalber raus begingen. Ein tatsächliches Muster aber wollte ich erst akzeptieren, als Rebekka und ich an einer Bank vorbeigingen, eine Bande von Räubern herausstürmte und im Begriff war, mich niederzuschießen, ehe sich durch ein Erdbeben eine riesige Erdspalte auftat und die Bankräuber - Mitsamt dem Bankgebäude - Im Erdboden verschwinden ließ. Siebenundvierzig Tote. Wir waren nicht darunter. 

Im Wartezimmer der Polizei verlor ich die Neven.
“Was zur Hölle ist in Blackburough los?!”
Wütend und irritiert lief ich auf und ab, während Rebekka nur mit gänzlich unaufgeregter Miene an der Wand lehnte und die Arme verschränkt hatte, ihr Mund war geschlossen und ihre Augen folgten mir aufmerksam.

“Ich meine… erst mein Krebs, die Züge und… und ein scheiß Meteorit??! Sind wir plötzlich in einem Katastrophenfilm gelandet?? Und diese Erdspalte, mein Gott…”  

Na ja.
Ich stutzte, blieb stehen und sah Rebekka befremdlich an. Das war das Erste, was sie seit zwei Stunden von sich gab, und ihr Tonfall war fast schon beiläufig. Überhaupt schien das alles sie überhaupt nicht mitzunehmen, oder zumindest sehr viel weniger als mich.
“Was… was soll das heißen, na ja?”

Rebekka sah aus, als würde sie bezüglich Irgendetwas mit sich ringen, sie biss sich auf ihrer blassen Lippe herum und wisch zum ersten Mal seit wir uns kannten meinem Blick aus. Ich kam näher. 
“Rebekka?” 
Sie lächelte, sah mich aber nicht an, sie starrte zur Seite, fast schon provokativ - in ihrer charismatischen Art provokativ.
“Rebekka..” Mein Tonfall war nicht wie eben fordernd, er war bittend, ruhiger. Das brachte die schwarzhaarige Schönheit dazu, ihre gelben Augen wieder zu mir zu drehen, so dass ich ihre Aufmerksamkeit nutzte.
“Wenn du eine Ahnung hast, was… was hier gerade passiert… bitte?” 
Drei, vier Momente der Stille vergingen, ehe sie schwer ausatmete und an mir vorbei ziellos im Raum umherstreifte. 
“Ich habe dich doch gefragt, ob du an den Teufel glaubst, Itris?”
Wieder musste ich stutzen. Ich sah zu Boden, kratzte mir den Kopf, dann fiel es mir ein. “Ja, stimmt… das war glaube ich das Erste, was du zu mir gesagt hast. Hatte ich ganz vergessen…”
“Und?!” Plötzlich stand sie vor mir, ihr Gesicht war keine zwei Zentimeter von meinem entfernt, und mir fiel wieder auf, wie… unnatürlich ihre Augen waren. Als würde man einer goldenen Schlange direkt in den Rachen sehen, ihre Augen waren wunderschön, auf eine morbid-faszinerende Art und Weise. Das stechende gelb und die tiefschwarzen, gepunkteten und gestrichelten Muster darauf...
“Wie gesagt, ich… ich glaube eher nicht an Religionsgestalten und sowas, aber ich akzeptiere es auch, wenn andere es tun, weißt du…”
Ah.” Sie drehte sich um und die verschränkte die Arme. Ich hatte das Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben.

“Keine Sorge Itris, hast du nicht.”

“Wie bitte?”

“Du hast nichts Falsches gesagt.”
Ich kam nicht mehr ganz mit. Kam ich bei Rebekka oft nicht, obwohl ich sie seit Monaten kannte, wusste ich doch gefühlt kaum etwas über sie. Aber das jetzt war besonders obskur und seltsam. Sie drehte sich zu mir und und das Lächeln, das sich um ihre Lippen spielte, war anders als sonst, es zeigte Aufregung, beinahe Unsicherheit, wenn ich das überhaupt beurteilen konnte.
“Ich habe mir überlegt, wann - Vor allem wie - Ich es dir sage. Die Erfahrung hat gezeigt, dass je später desto besser, und die Reaktionen darauf sind auch seeeehr unterschiedlich, also bin ich nicht übermäßig scharf darauf, es heraus zu posaunen, verstehst du?”
“Ehrlich gesagt nicht.”
Sie schnaufte kurz und hörbar durch die Nase. Aber ihr Lächeln blieb, während sie mich weiter unverwandt ansah. Ich war nicht vorbereitet auf ihren nächsten Satz.

“Itris, ich bin der Teufel.”




Ja, ich könnte jetzt weiter aus-, und beschreiben, wie dieses Gespräch verlief. Wie ich auf diese ungewöhnliche Aussage einer Frau Anfang zwanzig reagiert habe. Aber die Wahrheit ist - Das wisst ihr schon, oder könnt es euch zumindest denken. Wie reagiert jemand, wenn er gesagt bekommt, dass seine Freundin der Teufel ist? 
Ja, und genau so habe ich dann auch reagiert. Springen wir also doch zu dem Teil, an dem Rebekka mich so weit gebracht hatte, dass ich zumindest bereit war, ihr zuzuhören. Wir waren auf dem Nachhauseweg in unser durch die Versicherung finanziertes neues Haus, als sie mir alles erzählte.
“Das Erste, was du für das, was ich dir jetzt erzähle wissen musst ist, dass ich nicht der Tod bin.”
Ach nein?” Rebekka ignorierte meinen schnaufenden Tonfall und den Spott in meiner Stimme.
“Der Tod ist… meine Schwester.”
“Schwester.” Ich blieb stehen und sah sie an, als wäre sie ein Kind, das mir gerade aufzutischen versuchte, das Gespenst habe die Keksdose geplündert. Rebekka störte sich nicht daran, im beiläufigen Tonfall fuhr sie fort.
“Ich nenne sie so, ja, aber eigentlich ist sie weder männlich noch weiblich, genau wie ich.”
“Warte, WAS?!”
“Geschlechter sind ein Konzept von euch Menschen, das von uns zwar nach Belieben angewendet wird, aber eigentlich nicht auf uns zutrifft. Wir sind nicht irgendetwas, wir sind alles und nichts davon.”
So absurd es war, war die Quintessenz an Absurditäten, die Rebekka mir gerade erzählte, doch die, dass sie… was genau war?
“Du bist keine Frau?” Sie musste die Panik in meiner Stimme und meinen entglittenen Gesichtszügen erkannt haben, denn sie hob schmunzelnd ihre Arme und legte sie mir um den Hals.
“Beruhige dich, Itris. Ich bin eine Frau, hier und jetzt. Aber ich könnte auch ein Mann sein. Oder beides. Und nein, bevor du fragst, das ist leider nicht der Körper, mit dem Vater mich gemacht hat. Der ist weniger schön. Aber der hier gefiel mir ganz gut für dich.”

Vater?
Meine Freundin ließ einen dramatischen Moment der Stille vergehen, ehe sie mit dem Kopf nach oben deutete. Ich weitete die Augen und löste mich aus ihrer Umarmung.
“Na schön, jetzt veralberst du mich aber.” 
Sie stellte sich vor mir auf und sah mich zum ersten Mal mit etwas an, dass Zorn nahe kam.  “Hör mir zu, Itris. Ich verdiene das!”
Ihre ehrfurchtgebietende Stimme sorgte dafür, dass ich mich schlagartig beruhigte und mich schämte, weil ich meine mich umsorgende Freundin nicht ernst nahm. 
“Tut mir leid, ich wollte nicht…”
“Schon gut…” Rebekka küsste mich. Wir setzten uns auf eine Bank nahe eines Parkes, der um diese Zeit weitestgehend ausgestorben war. Nur bitte, hör mir zu. Habe ich dich bisher angelogen?”
Ich schüttelte den Kopf und signalisierte, dass sie weitersprechen solle.
“Meine… Schwester also ist der Tod. Sie ist kein Sensenmann wie ihr euch das immer ausmalt, aber ihre Rolle ist genau das - Menschen sterben lassen. Das macht sie nicht nach Lust und Laune, sondern wie auch alles auf eurer Welt nach einem genauen Plan und fester Struktur. Sie schickt die Sterbenden in den Himmel oder in die Hölle. Und da ich über Letztere herrsche, bekomme ich entsprechend etwa ein Jahrzehnt im voraus die Liste aller Personen, die in den nächsten zehn Jahren dorthin kommen.”

“Warum?” unterbrach ich sie ganz stumpf. Ich hinterfragte im Moment nicht, es war eher, als würde sie eine Geschichte erzählen, deren Details ich noch nicht kannte. Rebekka lachte.
Warum? Weil ich deren Ankunft und Aufenthalt organisieren muss, Dummerchen. Platzprobleme gibt es bei uns da unten zwar nicht, aber jeder Leidende möchte einen eigenen Höllenkreis mit auf ihn persönlich zugeschnittenen Ewigen Qualen haben. Bei knapp fünf Millionen Toten pro Jahr kannst du dir den Aufwand vorstellen, den das mit sich bringt.” Geistesabwesend nickte ich, als würde das schon irgendwie Sinn ergeben. Rebekka sprach weiter.
“Na ja, vor zehn Jahren war dein Name auf der Liste…” sie sah von mir weg auf das Gras vor uns. Sie war barfuß und ließ ihre filigranen Zehen über die grünen Halme streifen, welche daraufhin verwelgten. Ich traute meinen Augen nicht, und das auch, weil ihre Stiefel sich scheinbar in Luft aufgelöst hatten.
Manchmal… kommt es vor, dass ich an einer der Personen auf Schwesters Liste Interesse entwickle. Und dann suche ich diese Person auf, um mich ein bisschen mit ihr zu beschäftigen. Es ist einsam in der Hölle, und so viel Spaß meine Arbeit mir auch bereitet, in 300.000 Jahren hat man dann irgendwann doch genug davon. Also verlasse ich die Hölle, um diese Person auf der Todesliste kennenzulernen, die mein Interesse geweckt hat. Und meistens…” Sie sah mich an und lächelte warm, “...entwickelt sich dann etwas mehr daraus als nur eine Bekanntschaft.”
Ich konnte nicht verhindern, dass meine Kinnlade herunterfiel, und was mich daran wirklich störte war, dass ich das Ganze zu glauben begann, wie meine nächste Frage mir und Rebekka nur zu gut offenbarte.
Wie viele Geliebte hattest du schon…?”
Sie leckte sich kurz unwilkürlich über die Unterlippe und sah dann vage grinsend woanders hin, keinen bestimmten Punkt fixierend, wie ein verschüchtertes Blumenmädchen. Ich wusste, dass das gespielt war.
“Rebekka.”
Ach… was sind schon Zahlen. Vielleicht hundert?” 
Ich ließ mich in die Holzbank zurückfallen. Hundert. Das musste man erst Mal verarbeiten. Unter vielen Dingen.
“Sei nicht deprimiert, Itris. Die sind alle längst tot, falls dich das tröstet.”
“Tut es nicht…” schoss ich leicht gereizt, leicht belustigt(?) zurück. 
“Aber erzähl weiter…”

“Na gut. Ich tendiere dazu, mich in Menschen zu vergucken, die gewaltige und alles überschattende Extreme in sich tragen und verkörpern. Leidenschaftlicher Hass, volkommener Wahnsinn”, Rebekka sah zu mir, mir ging ein Licht auf und ich beendete ihren Satz, “... absolute Einsamkeit.”
Sie kommentierte es nicht, suchte mit ihren gelben Augen aber ihre Füße, und das war auch eine Aussage. Ich spürte, wie mir heiß und kalt wurde und mir die Tränen in die Augen schossen. Natürlich hatte es nur so etwas Obskures sein können.
“Also hast du nur Interesse an mir, weil ich ein einsamer, wertloser Haufen Scheiße-”
“Nein!!”
Unsanft setzte Rebekka sich auf meinen Schoss und umfasste mein rundliches Gesicht fest mit ihren langen, dünnen Fingern.
“Was mich lockt, sind extreme Eigenschaften. Was mich hält, sind die Seelen dahinter. Rebekka sah mich eindringlich an, ihre gelben Augen bohrten sich in meine, es war mir schier unmöglich, den Blick abzuwenden, aber meine Unsicherheit blieb. 
“Du… bist besonders, Itris. Dein ganzes Leben lang hattest du nie Kontakt zu anderen Menschen, und doch hast du dir eine Sanftheit bewahrt, die unter euch ihresgleichen sucht. Ich habe in den letzten Monaten erfahren, wie viel Kraft und Begeisterung in deiner Seele steckt, und du hast eine größere Anziehungskraft als du glaubst. Du bist inspirierend.” Ich schluchzte und mir lief die Nase, aber sie ließ mein Gesicht nicht los. 
“Oh, und der Sex ist auch verdammt gut. Bist ein Naturtalent.”
Ich lachte. ein glucksender, erbärmlicher Laut, aber er brachte auch Rebekka zum feixen, ich hörte ihr Lachen, dessen übernatürliche Sogwirkung ich mir bisher nicht erklären konnte. Mein Herz beruhigte sich, auch, nachdem sie ihr Gesicht herabsenkte und mich küsste, und mir mit ihren Daumen die Tränen wegwischte. 
So saßen wir sicherlich fünf Minuten nur eng umschlungen auf der Bank, ehe ich den Kopf wieder frei hatte.
“... und weiter?”
“Manche von meinen Beziehungen… in Ordnung, die meistenalle...
haben nicht gehalten. Die Hälfte hat diese Teufelsache nicht gut vertragen, einige davon wollten mich sofort verbrennen, andere ließen mich einweisen. Wer damit zurecht kam, fand irgendwann eine andere Frau, die ihn interessierte, oder bekam schließlich Angst vor mir. Dann gab es Beziehungen, die bis zu dem angesetzten Tod meines Liebhabers hielten, ich aber kein Bedürfnis hatte, etwas gegen diesen zu tun. Und na ja, dann gab es auch die wenigen Fälle, in denen ich sie nicht sterben ließ.”
So unwirklich das Ganze war, hatte Rebekka mit diesem letzten Satz nun doch mein Interesse geweckt und ich spitzte die Ohren. Wenn ich diesen Irrsinn auch nur für einen Augenblick lang als wahr akzeptierte, verstand ich die Implikationen und war gespannt, wie es weiterging. Meine Freundin wartete einen Moment, meine Reaktion bemerkend, und redete dann weiter. “Wenn ich ein Spielzeug gefunden habe, das mir gefällt, und das ich behalten will, habe ich es nicht so gerne, wenn meine Schwester es mir wieder wegnimmt. Bedauerlicherweise ist sie nunmal der Tod, und hat im Gegensatz zu mir auch die Unterstützung und Zuneigung unseres Vaters. Sie ist beharrlich.” Rebekkas Stimme endete in einem leisen Schnaufen, mit verengten Augen sah sie zu Boden, wo ihre Zehen das verdorrte Gras brutal ausrupften. 

“Warum… warum lässt sie nicht einfach meinen Kopf explodieren, oder mich in Flammen aufgehen? Oder sie lässt einen Berg vom Himmel fallen…”
“Glücklicherweise funktioniert es so nicht. Es gibt Gesetze Vaters, an die sie und ich uns halten müssen. Wenn wir die Regeln eurer Welt und Wirklichkeit zu sehr dehnen und strapazieren, bekommen wir großen Ärger. Deswegen kann sie dich mit Unfällen töten, die theoretisch geschehen könnten, und ich muss dich mit Unfällen beschützen, die ebenso denkbar sind. Wenn sie versucht, dich mit deinem eigenen Körper zu töten, ist das für mich einfach zu verhindern. Dein Brustkrebs hat dich nur so lange malträtiert, weil sie ihn immer und immer wieder hergestellt hat, nachdem ich ihn losgeworden bin. Schließlich hat sie das dann auch aufgegeben.” 
“Und was ist mit sofortigen Toden? Sie könnte eine Vene in meinem Kopf platzen lassen, oder ein Herizinfarkt. Warum macht sie das nicht?”
Rebekka sah verwundert auf mich herab, ihre Augenbrauen waren hochgezogen und eine senkte sich kurz darauf wieder. 
“Das tut sie, Itris. Die ganze Zeit. Ich verhindere es nur jedes Mal.”
Mir fehlten die Worte. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, ich ließ den Kopf hängen, sah ihr in die Augen, und ich bekam ein zittriges Lächeln zusammen.
“Danke, Rebekka.” 

“...hmm.”

“Und… und einen Meteoriten auf unser Haus stürzen zu lassen ist nicht zu viel?”
“Nein”, erwiderte sie mit wieder beiläufigerem Tonfall, als sie zum Himmel sah, “das passiert auf der Erde öfters. Würde sie zehn Meteoriten hintereinander abstürzen lassen, würde es die die Regeln wohl etwas überstrapazieren.”
Ich erwiderte nichts. Ich konnte immer noch nicht ganz glauben, was ich da hörte, auch wenn ich es unbewusst wohl schon akzeptiert hatte. In einer Realität, in der diese Frau die Freundin eines fetten, hässlichen Buchhändlers war, konnte sie genau so gut auch Satan sein. Aber ich musste sichergehen.
“Rebekka…”

Hm? Ah, verstehe…” Ein wissendes Lächeln umspielte ihre Lippen, und ich wusste, dass sie meine Gedanken gelesen hatte. Hastig bemühte ich mich, etwas nachzusetzen. “Versteh mich nicht falsch, ich misstraue dir nicht, aber-”
“Schon gut! Du würdest dich wundern, wie wenige Menschen es ohne Beweis hinnehmen, dass ihr Liebhaber der gehörnte Höllenherrscher aus der Bibel ist.” 
Der leichtherzige Klang ihrer Stimme sagte mir, dass sie dies schon erwartet hatte, und abermals schämte ich mich, weil ich diese Erwartung bestätigt hatte. Aber wer, wirklich, konnte es mir übel nehmen? Sie stieg rückwärts von mir und der Bank und ging einfach weg, schnell stand ich auf und stolperte meiner Freundin hinterher.
“W-wo gehen wir hin?”
“Nach Hause.”
“Und…”
“Es gäbe mehrere Wege, es dir zu zeigen, ohne irgendeinen Zweifel bestehen zu lassen, aber die meisten davon kommen mit den Regeln in Konflikt. Oh…
Als wäre ihr etwas eingefallen sah sie mich eindringlich an, nur einen Augenblick später wurde mir speiübel, ich verlor ich das Gleichgewicht und brach zusammen, aber Rebekka fing mich auf, ihr Gesicht erschien in meinem verschwommenen Blickfeld.  “Was… passiert…?” Ich spuckte Blut, traf Rebekka ins Gesicht, ich wollte mich entschuldigen, aber ich konnte kaum sprechen. Ihr Ausdruck blieb sanft, beruhigte mich.
“Ist schon gut, Itris… multiples Organversagen. Still und heimlich, das hinterlistige Miststück. Das haben wir gleich…” Das Einzige, was ich noch scharf erkennen konnte, waren Rebekkas stechend-gelbe Augen. Die sich im nächsten Moment rot färbten, und ich wusste jetzt, dass ich mir das nicht eingebildet hatte. Doch sie blieben nicht nur rot, ihre Iris bewegte sich wie das Muster eines Mandalas, wie Farbtropfen, die man ins Wasser gegeben hatte drehten die schwarzen Punkte sich um sich selbst, wurden größer und kleiner, ehe sie sich wieder vereinten. Meine Übelkeit war weg. Ich sah meine Freundin klar vor mir, schwarze Haare, gelbe Augen.
“Gehen wir weiter.”


Warum sie plötzlich doch nach Hause wollte? Weil laut Rebekka einer der wenigen Spielräume für Regelstrapazierungen ihrerseits Ekstase war. In Ekstase tat man die irrationalsten Dinge, das war für Menschen nicht anders als für sie, und würde sie in Ekstase etwas tun, das nur ich mitbekam, würde ihr verziehen werden. Also zog sie mich in unserem Schlafzimmer behutsam aus, und ich sie, zitternd. Sie stieß mich auf das Bett, das wir so viele Male schon geteilt hatten, und setzte sich auf mich. Das hineinscheinende, bläuliche Mondlicht machte ihre blasse, glatte Haut noch schöner. Ich fuhr ihr mit den Fingerspitzen erst über die Schenkel, dann über ihren Bauch und schließlich über ihre zarten, rosanen Brüste, während Rebekka mich genüsslich massierte. Sie beugte sich hinab und küsste und leckte meinen Hals ausgiebig, mit leichten Bissen arbeitete sie sich zu meiner Brust herunter, die sie ebenfalls mit ihrer Zunge umspielte, dabei lächelte sie mich begierig an. Ich streichelte ihre Haare und ihren Rücken, und wir küssten uns, küssten uns nochmals, ihre Zunge drang in meinen Mund ein mit einer Unersättlichkeit, die ich von ihr noch nicht kannte. Sie umschlang meine Zunge und zwang sie mit ihrer zu tanzen, ihr warmer Speichel bedeckte meine Lippen, während sie mein Gesicht fordernd mit den Händen umfasste und ihre Hüften gierig auf und ab bewegte. Es war anders als sonst, leidenschaftlicher, wilder. Rebekka schien jede Zurückhaltung verloren zu haben, und so auch ich. Ihre dünnen, grazilen Finger schnitten sich in meinen Rücken, ihre Beine umklammerten meine wie Fesseln, sie küsste mich so heftig, dass ich kaum noch atmen konnte, saugte zart an meinen Lippen und beherrschte meinen ganzen Körper. Mitten auf dem Höhepunkt unserer Ekstase hörte ich ein langes, genussvolles Stöhnen, das nicht mehr Rebekkas Stimme war. Es war tiefer, klang beinahe unmenschlich. Ich öffnete die Augen und sah es. Sah Meine wundervolle Freundin, deren vier Eckschneidezähne spitz und lang waren wie Dolche. Der schwarze und der weiße Flügel auf ihrem Rücken, beide fast doppelt so groß wie ihr Körper. Ihre roten, glühenden Augen, die von schwarzem und weißem Fell überzogenen Beine, ihr wie Magma pulsierendes, rotschwarzes Haar, und vor allem die langen, goldenen Hörner, die daraus hervorstachen. Ich wäre beinahe dem Impuls der Angst gefolgt, aber der Mensch… die Person, die mich als Einzige je so geliebt hatte wie ich sie, vereinte ihren Mund untrennbar mit meinem, küsste mich hingebungsvoll und legte ihre Flügel um mich. Sie waren warm, so warm, dass ich mich geborgen und sicher fühlte, und mich an sie drückte, um sie von mir aus zu küssen, so gut ich konnte. Es war nicht weniger als pures Glück. 

Als ich am nächsten Morgen erwachte, lag Rebekka lächelnd neben mir und strich mir mit den Fingerspitzen über die Haut. 
“Guten Morgen, Itris.”

“... Guten Morgen… Satan.”
Sie verpasste mir einen Faustschlag auf die Schulter und sah mich böse an, ehe sie anfing loszulachen. Ich konnte nicht anders als mich davon anstecken zu lassen.





“Und wie wird es jetzt weitergehen?” Fragte ich sie, nachdem wir uns angezogen hatten und auf dem Bett nebeneinander saßen.
“Sie wird nicht aufhören, fürchte ich. Sie ist beharrlich, wie ich sagte, und wenn du glaubst zu wissen, was das bedeutet, hast du meine verdammte Schwester noch nicht kennengelernt.”
“Ich kenne dich.” erwiderte ich. Es brachte sie zum Schmunzeln, aber sie ging nicht darauf ein. 
“Ich habe es bisher nie sehr lange geschafft, meine Spielzeuge zu beschützen, weil sie nun mal der verfickte Tod ist und ich nur der Herrscher der Hölle… ich meine, selbst jemanden wiederauferstehen zu lassen hat letztendlich nicht gereicht…”
Entnervt legte sie ihren Kopf auf meine Schulter, ich streichelte ihr schwarzes Haar und nahm einen Schluck von meinem Kaffee, ehe ich nochmal durchdachte, was sie da eben gesagt hatte. Meine Hand gefror.
“Du… du hast jemanden auferstehen lassen…?”
“Ja… aber das müsstest du doch wissen, selbst ohne große Religionskunde. Immerhin ist er noch bekannter als meine Schwester oder ich.” 
Ich spuckte meinen Kaffee aus und verteilte ihn über das halbe Bett. Erschrocken wich Rebekka von mir zurück.
Was denn?! Habe ich irgendetwas Seltsames gesagt?”
Ich keuchte und sah sie mit Unverständnis und allergrößten Zweifeln an. 
“Du… wie hieß diese Person… die du hast auferstehen lassen…?”
“... Jeschua. Aber hier in Amerika kennt ihr ihn besser als Jesu-”
“DAS WARST DU?!” Platzte es in einer Tonhöhe aus mir heraus von der ich nicht mal wusste, dass ich sie hervorzubringen in der Lage war.
“DU hast Jesus wiederauferstehen lassen, nachdem er ans Kreuz genagelt wurde??”
Mit schiefem Grinsen zuckte Rebekka die Schultern und quittierte meine Fassungslosigkeit mit einem knappen “Japp.”
“Warte… was?! BITTE?! Das war doch Gott…”
Sie lachte, als ob ich etwas vollkommen Abwegiges und Absurdes gesagt hätte, und ich kam mir dumm vor, obwohl ich das nicht sollte, oder? Und so sah ich sie auch an.
“Tut mir leid, tut mir leid, mein Fehler Itris, natürlich glaubt ihr das… “, sie wischte sich eine Lachträne aus dem Auge, ”nein, Jeschua war nicht Gottes Sohn, wie es in der Bibel heißt. Ich schlafe doch nicht mit meinem eigenen Bruder. Er war nur ein sehr, sehr charismatischer Anhänger meines Vaters. Aber er war der erste Mensch, in den ich mich wirklich Hals über Kopf mit Leib und Hörnern verliebt habe. Seine Einstellung meinem Vater gegenüber fand ich zwar lästig, aber wir ergänzten uns einfach fantastisch, und er war so… tiefsinnig für einen Menschen. Ich glaube, wir haben uns wirklich geliebt, und auch hier kann ich dir versichern, dass der Sex großartig war, das”
“Zu viel Information!” Unterbrach ich sie mit erhobener Hand, “können wir den Teil überspringen, wo Jesus großartigen Sex mit seiner Frau hat?”
“Nein nein”, winkte Rebekka ab, ”da war ich ein Mann. Jeschua war nicht, was ihr als homosexuell bezeichnen würdet, aber glaub mir, er hat bei beiden Geschlechtern keine Gefangenen gemacht.”
Mit aller Mühe, meine Gesichtszüge zu bewahren, schüttelte ich den Kopf wie nach einer Ohrfeige und konzentrierte mich auf das Wesentliche.
“Ja, und weiter?”
“Na…”, Rebekka kaute auf dem Nagel ihres Zeigefingers herum, eine seltene Angewohnheit von ihr, ”so jemanden lässt du nicht am Kreuz verrotten. Und ich hatte eine Stinkwut, weil meine Schwester schon ein paar dutzend meiner vorherigen Liebhaber auf dem Gewissen hatte. Also habe ich auf die Regeln gepfiffen und ihn wieder zurückgebracht. Dafür gab es dann einige Jahrhunderte Hausarrest in der Hölle, und Jeschua starb ein paar Wochen nach seiner Wiederauferstehung, indem er von einem Viehkarrn überrollt wurde. Einem Viehkarren, ist das zu fassen?!”
Entnervt warf sie ihre Arme in die Luft und boxte gegen die Bettwand hinter uns, die dabei zerbarst wie nach einem Hammerschlag. Nur einen Moment später lachte sie auf schmutzige Weise.
“Die Ironie war, dass diese kleine Wiederbelebungsnummer Jeschua als Sohn Gottes bekannt machte, obwohl der überhaupt nichts mit ihm zu tun hatte, und bis heute hat sich das fest gehalten und in vielen eurer Religionen etabliert. Was die wohl sagen würden wenn sie wüssten, dass er einfach nur der Liebhaber des Teufels war?” 
Sie kicherte weiter vor sich ihn.
“Darüber möchte ich jetzt lieber nicht nachdenken. Warum wusstest du eigentlich von seinem nahenden Tod, sollte er in die Hölle kommen?”
“Sollte er, und ist er letztendlich auch. Aber gemessen an deinen bisherigen Reaktionen erspare ich dir lieber die Gründe dafür.”
Rebekka grinste mich mit einem breiten, bösen Lächeln an. Vermutlich war es besser so, ja, also nickte ich nur.
Aaaaaber das ist alles Vergangenheit. Jetzt bist du, mein lieber Itris, und diesmal habe ich nicht vor, mir mein Spielzeug so schnell wieder wegnehmen zu lassen.”
“Ich bin dein Spielzeug?” Hinterfragte ich, eine Spur verletzter Stolz, Gefühle und Ironie im Satz verborgen.
“Bist du.” antwortete Rebekka mir ohne zu Zögern, und legte ihre Hand auf meine.
“Mein geliebtes, besonderes Spielzeug, das ich noch ganz, ganz lange behalten möchte…” ihre Finger streichelten so sanft über meine, dass ich Gänsehaut bekam, und die Geste erwiderte. Ihr Blick, als sie wieder meine Augen mit ihren suchte, war angespannt. 
“Aber dafür müssen wir fortgehen.”

“Fortgehen? Wie meinst du das?”
Rebekka löste ihre Hand von meiner, sie stand auf und stellte sich mit den Armen in der Hüfte vor mich. 
“Meine bisherigen Spielzeuge waren vor allem schwer zu beschützen, weil sie ihr Zuhause nicht verlassen wollten. Irgendwann sind die Unfälle und Katastrophen so häufig, so hanebüchen und so extrem, dass du das Leben eines Menschen an nur einem Ort nicht mehr beschützen kannst. Und ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie lange sich meine Schwester noch an Vaters Regeln halten wird, ehe sie wirklich böse wird.”
“Aber hast du nicht mal erzählt, dass sie nach Struktur und System tötet? Was ist mit all den Unschuldigen, die dabei ums Leben kommen?”
“Sie hat als Tod eine gewisse Obergrenze an Kollateralschäde pro geplantem Toten, sagen wir es mal so, und die ist großzügig.”
Ich nickte gedankenverloren. Das wäre auch zu einfach gewesen. 
“Und so…?”
“Und so wird es nicht mehr lange dauern, bis Blackburough völlig zerstört ist oder jemandem auffällt, dass du ständig im Zentrum der Geschehnisse bist. Und ich kann hier nicht alle beschützen. Denk auch an deine Mama. Wenn wir um die Welt reisen, nirgendwo lange bleiben, kann ich dich besser beschützen.”
Ich dachte über das Gesagte nach. Ich hatte Amerika nie verlassen. Nicht mal meinen Bundesstaat. Ich wusste nichts von der Welt, und der Gedanke, mein sicheres Umfeld zu verlassen, machte mir Angst. Wobei es mittlerweile eben nicht mehr sicher war
Ich sah sie an. Meine wunderschöne, charismatische Freundin. Den Teufel. Sie tat alles, um mich zu beschützen. Sollte ich alles für sie aufgeben? Wäre das meine einzige Chance, zu überleben? Rebekka machte einen Schritt auf mich zu und sah mich eindringlich, aber scheinbar emotionslos an. Ihre Augen bewegten sich nicht, und ihre Lippen zeigten keine Regung. Aber ich wusste, da waren Emotionen.
“Vertraust du mir, Itris? Liebst du mich? Glaubst du mir, dass ich dich beschützen werde, egal wie lange, egal wie schwierig, egal wie oft? Dann spuck dem Tod ins Gesicht. Lass ihr uns zusammen in ihr hässliches Gesicht spucken. 
Denn ja, die Schlampe ist wirklich hässlich.” 
Ich ließ die Schultern sacken und hörte auf, mir den Kopf zu zerbrechen. Ich war mein Leben lang einsam. Ich hatte niemanden. Jetzt hatte ich jemanden, und es war mir egal, was er war oder was ich tun musste, damit er bei mir blieb. Das war mir wichtiger als mein Leben. Aber ich wollte nicht sterben. Nicht mehr. Also gab es nur eine Antwort. Ich stand auf und nahm ihre Hände in meine. 
In der Not frisst der Teufel Fliegen.”

Sie grinste.
“Nein, tut er nicht.” 




Und so gingen wir fort. Ich erzählte meiner Mama, dass wir eine Weltreise unternehmen würden um uns selbst zu finden, und Rebekka sorgte dafür, dass… es ihr an nichts mangelte. Offenbar war es kein Regelbruch, Geld umzuverteilen. Wir reisten erst durch Nord-, dann durch Südamerika. Schließlich durch Europa und Asien. Rebekka führte mich, denn sie schien sich überall auszukennen. In unseren zahlreichen Gesprächen wurde klar, dass sie wenig verwunderlich auch schon fast überall war. Eine Spur der Zerstörung verfolgte uns, eine unwahrscheinliche Katastrophe jagte die Nächste, und wurde nur von einer anderen Katastrophe aufgehalten. Ein Erdbeben in New York, das einen halben Stadtteil in Schutt und Asche legte, die Gebäude aber so um uns herum fielen, dass wir vor Trümmerteilen geschützt waren. Eine Schmelzflut in Norwegen, die uns nicht in Mitleidenschaft zog, weil ein kleiner Bootsmann uns rettete. Ein Vulkanausbruch in Italien, der von einem plötzlich einsetzenden Stromregen ausgebremst wurde. Ein Tiger, der in Tokio aus einem Zoo ausgebrochen war und mir fast den Kopf abgebissen hätte, wenn ihn nicht ein pensionierter Soldat, der zufällig in der Nähe war, mit seinem illegalen Scharfschützengewehr außer Gefecht gesetzt hätte. Aber all das störte mich nicht. All das war mir egal. Denn Rebekka war bei mir. Und ich liebte sie mit jedem Tag mehr. Als ich sie mal fragte, ob sie schwanger werden könne, lachte sie und meinte, sie habe in der Hölle schon genug schreiende Kinder. Das verstörte mich ein wenig, aber irgendwie war es auch süß. Einmal hatte ich sie gefragt, ob Adolf Hitler auch leide für das, was er den Juden damals angetan habe. Rebekka stutzte und fragte mich, ob ich den Namen nochmal wiederholen könne, aber immer noch klingelte bei ihr nichts. Als ich ihr sagte wen ich meinte, erinnerte sie sich, erzählte mir aber, dass er nicht in der Hölle war, sondern im Himmel. Meinem wütenden Unverständnis gegenüber zuckte sie in ihrer unaufgeregten Art mit den Schultern und meinte, sie hätte schon vor Jahrtausenden aufgehört, die Standards ihres Vaters verstehen zu wollen. Das ersparte mir dann auch die Frage, warum ich eigentlich in die Hölle kommen sollte. Interessant genug, es hier zu erwähnen, empfand ich ihre Reaktion, als ich sie fragte, warum sie eigentlich wie ein junges Mädchen spreche, und nicht, ich weiß nicht, wie ein Jahrtausende altes, allwissendes Wesen. Sie erklärte mir, dass sie sich nicht mit Sprache verständigte wie wir Menschen, und dass ihre Art der Kommunikation meinen Kopf zum Explodieren bringen würde. Buchstäblich. Wiederum verstörend war die Info, dass sie sich in jeder Zeitperiode, in der sie auftauchte, das Wissen und den Sprachschatz eines in dieser Zeit gestorbenen Leidenden der Hölle aneignete, um sich besser mit den Menschen verständigen zu können. Ich wusste es zu schätzen, dass sie keine mittelalterliche Dichtersprache verwendete. Als wir uns in einer kleinen Stadt im Südosten Australiens ein Hotel nahmen, waren vier Jahre vergangen, seit ich Rebekka begegnet war. An diesem Tag sollte ich ‘endlich’ die Person kennenlernen, die seit eben jenen vier Jahren vehement versuchte, mich mit allen Mitteln zu töten, und sei es nur mit einem wöchentlichen Hirntumor. 

Rebekka saß erschöpft auf dem Bett, ich hatte ihr eben eine Schale mit kaltem Wasser für ihre schmerzenden Füße gebracht und wollte uns am Automaten ein paar Getränke organisieren. Als ich die Tür unseres Zimmers öffnete, stand eine Frau mit einer Waffe davor, die mir sechs Mal in die Brust schoss. Ich brach zusammen und tat ein paar wenige, pfeffende Atemzüge, ehe wie so oft der gelbe Glanz der Hoffnung in meinem Sichtfeld erschien, Rebekka war sofort zu mir gestürmt und hielt mich fest, die fremde Frau aber zog sie von mir weg und schoss ihr in den Kopf. Rebekka verpasste ihr einen Tritt, der heftig genug war, um unsere Angreiferin in einen Holzschrank fliegen und ihn über ihr zusammenbrechen zu lassen. Dann beugte sie ihr Gesicht zu meinem hinab. Ich spürte meinen Körper kaum noch, nur Kälte und Schmerz. Und ihren warmen Atem. Gelbe Augen. Rote Augen. Rebekka… umschloss meine taube Hand mit ihrer, und es kehrte Gefühl darin zurück. Einmal mehr sah ich das rettende Flackern ihrer roten Augen, die schwarzen Linien und Punkte, die sich umschlangen und wieder zerfielen, die sich öffneten und schlossen als wären sie eigene, kleine Lebewesen. Dann fühlte ich keinen Schmerz und keine Kälte mehr. Nur die Wärme meiner Freundin. Meiner Freundin, die mich anlächelte. 
“Dafür, dass du mal sterben wolltest, klammerst du dich ganz schön ans Leben.”
“Ich klammere mich… an dich.” Uns blieb wenig Zeit für unseren romantischen Moment, denn die fremde Frau trat Rebekka aus meinem Sichtfeld, da meine Wunden nicht mehr existent waren, rang ich meinen mittlerweile deutlich durchtrainierteren Körper auf und riss sie von den Beinen. Keinen Augenblick später lag ich mit verdrehtem Nacken in der Ecke, und der einzige Grund, dass ich nicht tot war, war… genau. Ich konnte nur da liegen und zusehen, wie die weißhaarige, schätzungsweise zwanzigjährige Frau mit den abnormal violetten Augen auf meine Freundin zustampfte, die rücklängs auf dem Bett lag.
“Allmählich reicht es mir mit dir!!” fauchte sie und packte Rebekka am Kragen, zehrte sie mit einer eindeutig übermenschlichen Kraft zu sich hoch wie eine Puppe. 
“Aller paar Jahrhunderte das Selbe, nur weil du deine Lust nicht in Zaum halten kannst, ich habe es so satt!”
Lust?” war das erste, das Rebekka mit Hohn und Wut erwiderte. 
“Du verstehst nichts davon, darum kannst du es auch nur als Lust sehen. Wie solltest du auch…” Sie riss sich los und machte einen Schritt weg von dem weißhaarigen Mädchen, das wiederum keinerlei Anstalten machte, von ihr abzulassen.
“Ich werde mir von dir keine Vorträge darüber halten lassen, was Liebe ist! Es gibt Regeln und Gesetze, und dieser Mensch da hinter dir muss sterben, und dabei ist es mir wirklich vollkommen egal, dass du einen Narren an ihm gefressen hast. Gib endlich auf, denn ich werde es sicher nicht tun, und erspar dir die erneute Enttäuschung wenn dir klar wird, dass mein Atem länger hält. Du kannst ihn nicht vor mir beschützen.”

Im Gegensatz zum, wie ich mit Schrecken geschlossen hatte, weißhaarigen Tod, der offensichtlich auch etwas für junge Frauen übrig hatte und sichtlich aufgebracht war, hatte Rebekka ihre Emotionen unter Kontrolle und verzog kaum eine Miene. 
“Eure Regeln und Gesetze sind mir offen gesagt immer noch ziemlich egal. Es wird Zeit, dass wir die Gesetze machen. Vor allem, da du selbst zunehmend gegen sie verstößt… wie viele Unschuldiger hast du mittlerweile getötet im Versuch, Itris zu bekommen? Tausende? Zehntausende?” 

Violet, wie ich sie später nannte, ballte ihre Finger zu Fäusten und schnaufte wie ein Stier, ich war überrascht davon, wie allzu menschlich Teufel und Tod sich doch verhielten. Violet brüllte ihre Schwester an.
WAS versuchst du hier zu erreichen?! Glaubst du, du kommst damit durch? 
Glaubst du, Vater wird das noch lange dulden?!” 
“Vater mischt sich nicht in deine Arbeit ein. Das musst du schon alleine schaffen.” 
Für einen Sekundenbruchteil glaubte ich, ein hämisches Grinsen auf Rebekkas Lippen zu sehen, dann aber wich es einem klaren Bild von Trotz und Hass. 
“Du hast mir jeden von ihnen genommen… jeden, den ich erwählt hatte, an meiner Seite zu sein, obwohl es genug andere gegeben hätte… diese Welt ist voll von Gefahr und Leid, an Toten gibt es keinen Mangel, also töte doch lieber irgendeinen pädophilen Priester Vaters als meinen harmlosen Geliebten hier.”
“So funktioniert es nicht!” zischte Violet ihr flüsternd entgegen. “Als einzige Instanz in dieser missratenen, degenerierten Welt Vaters bin ich absolut gerecht, der Tod holt jeden, ob arm oder reich, ob mächtig oder schwach, ob jung oder alt, Mann oder Frau - Sie alle sterben eines Tages. Das ist eine Gewissheit, und niemand, kein Mensch auf Erden ist privilegiert oder kann dem entkommen. Und du brichst diese eine Konstante, diese eine Gerechtigkeit, die diese Welt noch übrig hat, weil du einen sterbenden Menschen als Spielzeug willst, statt dir irgend einen anderen zu suchen!!” 
Sie atmete schwer. Ich wusste nicht mal, dass der Tod überhaupt atmen musste. 
Rebekka starrte sie an, reagierte aber nicht, bis ihre Schwester sie nochmals mit “SAG ETWAS!!” zusammenschrie. 
“... Das ist nicht irgendein Mensch. Und er ist nicht mein Spielzeug. Das ist Itris Gallmon, und ich liebe ihn. Mehr als die anderen, glaube ich.”
“Mehr als Jesus?!” spottete Violet mit dem humorlosesten Lachen, das ich je gehört hatte. Rebekka zögerte einen Moment, antwortete aber umso deutlicher. 
“Mehr als Jeschua.” 

Zwischen beiden herrschte Stille. Der Schweiß perlte mir von der Stirn und ich konnte mein herz pochen hören. ich war gefangen zwischen Angst und Glück, konnte nicht glauben, was Rebekka da eben gesagt hatte, doch fürchtete ich, was ihr dieser Starrsinn einbringen würde. Ich wollte das nicht.
“Ich…” murmelte ich kleinlaut dazwischen, und beide Mädchen sahen gleichzeitig zu mir. “Ich… hänge nicht so sehr am Leben, Rebekka. Es ist schon in Ordnung.” 
Mit all der Stärke, die ich in mir finden konnte, lächelte ich die sie an, die Person, die mich vor dem Selbstmord bewahrt und mich lebendig gemacht hatte. 
“Du musst das nicht mehr für mich tun. Diese vier Jahre waren schon mehr als genug. Ich bin glücklich, ehrlich.” 
Ich stand auf, nur um vor ihr auf Hände und Knie zu gehen. 
“Danke.” 
Rebekka und Violet mussten mich anstarren, denn ich hörte für einige Momente nichts. Als ich aufsah, fand ich ihre gelben Augen. In dem Moment wusste ich es. 
Ich wollte sie aufhalten, aber es war zu spät - Sie trat ihre Schwester in die Brust, sie krachte durch die Betonwand unseres Zimmers aus dem zweiten Stock auf den harten Wüstenboden und wurde von den Trümmerteilen zerquetscht. Als ich mich mit Mühe aufrichtete und zu Rebekka ging, die jetzt auf dem zerstörten Balkon draußen stand und ausdruckslos auf ihre wieder stehende Schwester hinabsah, musste ich schlucken. Das Violet ihrer Augen pulsierte so stark, dass ich es hier oben noch fühlen konnte.
“Letzte Chance, gefallener Engel… nutze sie weise. Sonst wird dich keine Regel und kein Gesetz mehr schützen.”





“Fick dich.” 
Entsetzt sah ich Rebekka an. In ihren Augen und auf ihren Lippen konnte ich noch immer nichts sehen außer Sturheit, sie presste ihre Lippen aufeinander und wandte den Blick nicht von ihrer Schwester. Ihre Finger griffen nach meinen. Ich atmete langsam ein und langsam aus, sah zu Violet und drückte Rebekkas Hand. Ich wusste nicht, welche Dimension all das hier hatte, konnte mir kaum vorstellen, dass dieses Mädchen da unten der leibhaftige Tod war, und ich hatte sicherlich keine Ahnung, welche Schwere es hatte, wenn der Teufel zum Tod ‘Fick dich’ sagte. Nur eins war mir klar, wir konnten nicht mehr zurück.
“Ich sterbe nicht. Noch… nicht, jedenfalls.” Rief ich zu Violet herunter. Sie zeigte keine sichtbare Reaktion, das Pulsieren ihrer Augen aber legte sich daraufhin. 
“Schön.” flüsterte sie, fast unhörbar leise, und doch klang es hier oben so klar, als stünde sie neben mir. 
“Ich werde dein niedliches, kleines Spielzeug gewissenhaft in seine Einzelteile zerlegen und jedes davon in einen anderen Höllenkreis schicken. Und du wirst die Hölle niemals wieder verlassen, wenn ich mit dir fertig bin, dafür sorge ich. Niemand entkommt dem Tod.” 
Dann war sie weg, als wäre sie nie dagewesen. Ich drückte Rebekkas Hand fest, ich hatte Angst, dass sie verschwinden würde, wenn ich auch nur für einen Moment losließ. Sie drehte sich zu mir und nutzte die Geste, mit der ich sie kennengelernt hatte - Sie legte ihre Arme um meinen Hals, zog mich zu sich und küsste mich.  




Nur noch ein Gespräch ist wichtig für den Abschluss dieser Geschichte. Das Gespräch, das mich letztendlich hier hergebracht hat und wohl auch der Grund ist, dass ich noch lebe. Es war zwei Wochen, nachdem wir auf Violet getroffen waren. In diesen zwei Wochen starb ich stündlich, oder wäre gestorben, wenn Rebekka mich nicht jedes Mal gerettet hätte. Jeder Ort, den wir aufsuchten, wurde binnen weniger Stunden fast vollständig zerstört. Unzählige kamen ums Leben. Es war mitten in der Nacht irgendwo in den Wäldern Neu Seelands, als ich zusammenbrach, Rebekka eilte zu mir und sah mir in die Augen, aber ich beruhigte sie mit einem Streichen ihrer Hand. “Nein, nicht deine Schwester… ich… ich kann so nicht weitermachen. Ich kann so nicht weiterleben.” Mir liefen Tränen das Gesicht hinab. 
“Es tut mir leid, ernsthaft, aber ich kann das nicht mehr… das hat so keinen Sinn, Rebekka! Wenn das so weitergeht, wird sie noch die halbe Welt umbringen und zerstören!”

“Irgendwann wird Vater sie stoppen.”

“Weißt du das mit Gewissheit?!” 
Sie antwortete nicht. Ich zog sie zu mir heran, dort, in völliger Finsternis, auf einem kalten Waldboden. “Danke, dass du das für mich getan hast… aber ich kann das nicht mehr mit meinem Gewissen vereinbaren… und für dich wird es doch auch immer schlimmer… bitte… lass uns aufhören…” 
Rebekka erwiderte meinen flehenden Blick mit ihrer charakteristischen Unnahbarkeit. Als ich sie weiter bittete, bis ich wieder zu schluchzen begann, zitterte auch ihre Lippe. Ich weiß bis heute nicht, ob das Glänzen in ihren Augen, bevor sie sich von mir wegdrehte und aufstand, gespielt war oder nicht, aber ich habe eine Tendenz. 
“Es… es gibt einen Weg…”

“Den gibt es nicht…”

“Doch!! Hör mir zu! Nur ein Mal noch.”
Sie stellte sich vor mir auf und umfasste mein Gesicht mit beiden Händen.
“Es gibt einen Ort, an dem du sicher wärst… und nicht sterben könntest, Itris.” 
Ich wusste nicht, worauf Rebekka hinaus wollte, also sah ich sie durch meine tränenverquollenen Augen weiter an.
“Die Hölle…” hauchte sie zögerlich.
“Aber… was meinst du…? Beschützt du mich nicht die ganze Zeit, um...”
“Dich vor dem Tod zu bewahren. Aber es ist ein großer Unterschied, ob du als gestorbene Seele oder lebende Person die Hölle betrittst. Die Hölle ist mein Reich, verstehst du? Dort hat sie keine Autorität, und dort käme sie nicht mehr an dich ran… wir könnten dort zusammen sein.”
Vielleicht war es durch die Erschöpfung, meine Sensibilität oder einfach all das in so kurzer Zeit, aber ich verstand noch immer nicht genau.
“Und… und warum hast du das nicht früher vorgeschlagen…? Kann man in der Hölle, ich meine… leben?
Rebekka ging vor mir in die Hocke um mit mir auf Augenhöhe zu sein, und schenkte mir ein Lächeln. 
“Es ist eigentlich ganz nett da, weißt du? Vergiss diesen ganzen Unsinn von wegen Flammen und Ewiges Inferno. Es würde dir gefallen, glaube ich.”
Es klang, als wollte Rebekka noch etwas sagen, also gab ich ihr die Zeit, bis sie weitersprach. “Es gibt allerdings einen Haken.”
“Haken…” Ich schluckte. Aber es war egal, schlimmer als jetzt konnte es nicht werden, so lange ich mit Rebekka zusammen war. 
“Sag schon. Was ist es?”
“Du könntest nie mehr zurückkehren. Und ich müsste dich… verändern, damit du dort existieren kannst.” 
Ich versuchte, ihre Worte mit meiner begrenzten und überlasteten Hirnkapazität einzuordnen und deren Schwere zu ermitteln.
“Aber… aber was ist mit Mama…?” Wieder umschlossen Rebekkas dünne, warme Hände meine, genau als ich es brauchte, und die Sicherheit, die sie ausstrahlte, nahm mir meine Angst. 
“Deiner Mama wird es gut gehen, Itris. Dafür habe ich doch gesorgt. Und ich bin mir sicher, dass sie oben bei Vater landen wird, wenn es soweit ist.”
Ich sah zu Boden und bemerkte den ersten Tropfen. Dann den Zweiten. Kaum später prasselte ein gewaltiger Regen auf uns nieder. Normalerweise mied er Rebekka und mich, aber nicht heute. Ich versuchte, über diese Möglichkeit nachzudenken, und ich kam zu dem Schluss, dass ich außer Mama und Rebekka nie etwas auf der Welt gehabt hatte. Es gab nichts, das ich mochte, und nichts, das ich vermissen würde. Wäre sie nicht gewesen, wäre ich ohnehin längst in der Hölle.
“Diese Veränderung, von der du sprichst…” Ich ergründete Rebekkas Augen, wollte mir sicher sein, dass sie die Wahrheit sagte, “... was ist das für eine Veränderung…? Sag mir die Wahrheit, Rebekka.”
Sie wich meinem forschenden Blick aus, eine seltene Reaktion von ihr. 
“Das… ist wirklich schwer zu erklären, Itris.”

“Werde ich noch die selben Gefühle für dich haben?”   
  
Rebekka drehte sich mir langsam zu und blinzelte zwei, drei Mal. Sie senkte ihre Lider etwas und sah mir für einen gefühlt ewigwährenden Moment in die Augen, und ich wusste, sie war aufrichtig, als sie ein leises, aber klares ‘Ja’ hauchte.




























Viel mehr gibt es nicht zu erzählen. Das alles ist… viele, viele Jahre her. Ich besuchte meine Mama ein letztes Mal. Ich küsste sie, umarmte sie, wie ich es nie zuvor getan hatte, und sagte ihr, ich müsse weggehen. Sie verstand es nicht, aber ich versicherte ihr, dass es ihr gut gehen würde, und dass es mir gut gehen würde. Sie kam wirklich in den Himmel. Ich habe mich seitdem sehr verändert. Niemand, der mich als Mensch kannte, würde mich noch länger wiedererkennen. Aber mein Körper bedeutete mir nie etwas. Den Körper, den Gott mir gab, hatte ich immer gehasst. Rebekka hatte meinen neuen Leib geformt, und ich dankte ihr jeden Tag dafür. An ihrer Seite durfte ich ihr als Prinz der Hölle dienen, und auch wenn ich mich Anfangs schwer damit tat, die Seelen der Menschen auf grausame und unvorstellbar qualvolle Weise zu martern und zu brechen, war Rebekka sehr geduldig mit mir und brachte es mir Schritt für Schritt bei. Unsere Beziehung hat sich kaum verändert, und das ist für mich das, was mich hier und jetzt glücklich macht.

Es nähert sich etwas, so habe ich das Gefühl. Rebekka spricht nicht viel darüber, macht nur vage Andeutungen, aber sie hat sehr lange an einem Plan gearbeitet, der nun bald beginnen wird, und in dem auch ich eine wichtige Rolle spielen werde. Ich weiß nicht genau, worum es in diesem Plan gehen wird, aber ich bin mir sicher, dass er Vaters und Violets Ende beinhaltet. Ja, Rebekka hat mit mir einen zweiten Teufel erschaffen. Und zwei Teufel sind mächtig genug, den Himmel zu stürzen. Vielleicht ist das ihr Plan. Nein, wenn ich so zurückdenke… war das von Anfang an ihr Plan. 
Sie sagte es, kurz, bevor wir gingen: 

“Weißt du, warum ich dich liebe, mehr noch, als alle anderen Menschen zuvor, 
Itris Gallmon? Weil du mich zu deiner Welt gemacht hast. Jeder, dem ich mein Herz schenkte, hatte doch noch so viele andere Sorgen und Nöte im Leben, so dass ich bald zur Nebensache verkam. Aber du hattest nie etwas. Du hast nur mich. Ich bin deine Welt. Und du bist meine Welt, Itris. Ich hatte auch nichts außer der Hölle und meine Aufgabe darin. Liebe bedeutet doch vollkommene Hingabe, oder etwa nicht? Gib dich mir hin, Itris. Jetzt und für immer. Dann bin ich dein. Jetzt und für immer.”

Es ist mir egal, dass Rebekka mich benutzt hat, um einen zweiten Teufel zu erschaffen. Es ist mir egal, dass sie mich ausgewählt hat, weil ich vermutlich der einsamste Mensch auf Erden war, der keine andere Wahl hatte als sich an die einzige Person zu klammern, die ihm Zuneigung entgegenbrachte. Es ist mir egal, dass sie mich belogen und manipuliert hat. Wichtig ist doch nur, dass wir beide in uns jemanden gefunden haben, der uns trotz unserer Hässlichkeit, unserem Anderssein und unserer Inkompatibilität mit der Welt genau so akzeptiert und liebt, wie wir sind. Ich zweifle für keinen Moment daran, dass dennoch alle Gefühle, die Rebekka mir jemals entgegengebracht hat, echt waren. Und sie hat mich, in weit mehr als nur einem Sinne, gerettet. Darum würde ich alles für sie tun und für immer ihr Werkzeug sein, wenn sie mich denn lässt. Ich weiß nicht, was genau in Zukunft noch passieren wird, was wir tun werden oder welche schrecklichen Entscheidungen wir treffen - 
Ich weiß nur, dass wir dabei zusammen sein werden.    

Komm, Itris…” Rebekka stand hinter mir, legte ihre Arme um meine Schultern und sah zusammen mit mir lächelnd auf die Geschichte, die ich so lange aufgeschrieben hatte.  “Es ist Zeit…” 
“Ja…” Ich drehte mich um und nahm ihre Hand. 

Wir würden zusammen sein.
Und das war alles, was zählte.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Lass mich doch wissen, was du denkst!