Unsere heutige Welt ist geprägt von bitterem Zynismus. Man findet ihn, ob gewollt oder nicht, in allem und jedem das wir tun und produzieren, und so kann sich auch kaum ein Film davon frei machen. Selbst wenn man zum traditionellen Familienkino Disney geht, findet man in den allermeisten Werken immer diese fahle, unvermeidbare Spur Grausamkeit. Der König der Löwen beginnt mit Verrat und Vatermord. In Bambi wird dem kleinen Reh erst mal die Mutter weggeschossen. In Schneewittchen wird die Prinzessin ausgestoßen und muss wegen ihrem Aussehen mehrere Mordanschläge hinnehmen. In Rapunzel wird das Mädchen in einem Turm festgehalten und als buchstäbliche Verjüngungscreme ausgequetscht. In der Eiskönigin gerät das naive Mädchen an einen Heiratsschwindler, der die ganze Familie auslöschen will. In Zootopia wird die eine Hälfte der Tiere auf Drogen gesetzt, um die andere Hälfte zu zerfleischen.
So bunt, unschuldig und kinderfreundlich, wie immer gesagt wird, ist Disney dann also doch gar nicht. Zynismus und frustrierender Realismus in jedem einzigen Film. Aber so wollen wir es ja auch - wir sind zynisch geworden, sei es durch den Lauf der Welt (Wer weiß das besser als das Jahr 2020?) unser zunehmendes Alter oder unsere eigene Miserablität. Ich selbst mehr als andere definiere mich komplett über den Spott, die Ironie und die Abschätzigkeit, mit der ich allem popkulturellen begegne, nichts tuei ich lieber, als einem adretten Animationsfilm seine Klischees und leeren Versprechungen mit einem hämischen Vorschlaghammer in tausend Stücke zu zersprengen. Ich bin geprägt von Negativität und Misstrauen.
So bin ich Spirit - Der wilde Mustang, welches zwar von Dreamworks produziert wurde, vom Ersteindruck aber in eine sehr ähnliche Richtung wie Disney geht, auf meiner Watchlist mit wenig Enthusiasmus begegnet. Der visuelle, etwas in die Jahre gekommene Stil schreckte mich ab, und wie spannend konnte schon ein Film über Pferde sein? Wahrscheinlich würde der Plot nur die üblichen zwei, drei Stationen eines Kinderfilmes abhaken und das war es dann. Als ich mir Spirit dann schließlich mit disneyscher Erwartungshaltung einer theoretischen Enttäuschung eines Abends angesehen habe, wurde ich vollkommen überrascht. Von Anfang bis Ende hatte dieser so unscheinbare Film mich großartig unterhalten, und das - ich wollte es nicht recht glauben - ohne die allerkleinste Spur von Zynismus.
Ja, als die Credits anliefen, konnte ich nicht anders, als mit einem so positiven, lebensbejahenden und warmen Gefühl der inneren Zufriedenheit rauszugehen, dass ich wie ein Trottel grinsen musste. Das beste Wort, um Spirit zu beschreiben, existiert in Deutsch nicht:
Wholesome.
Keine sprechenden Tiere
Meine Mutter hat, was Animationsfilme angeht, eine recht strenge, aber einfache Linie, was ihr unter die Augen kommen darf: Wenn Tiere sprechen, ist es Aus. Ich bin in dieser Hinsicht weniger fundamentalistisch veranlagt als sie, teile aber ihre Abneigung gegen das Phänomen, Tiere albern, comichaft und lustig zu inszenieren. Natürlich hatte ich erwartet, dass Spirit in den selben Hufnapf tritt wie fast alle anderen Tieranimationsfile vor und nach ihm, aber weit gefeht.
Der willkommene Kniff, für den man sich in diesem Film entschieden hat ist, dass KEINES der Tiere spricht, weder die hauptsächlich vorkommenden Pferde, noch Vögel oder Hunde. Stattdessen werde sämtliche Gefühle, Dialoge und Gedanken nur mit der Mimik, den Blicken und der Gestik der Pferde impliziert, und man muss zwischen den Zeilen lesen. Das funktioniert fabelhaft und sorgt dafür, dass wir die eventuellen Lücken, die entstehen, mit unseren eigenen Interpretationen auffüllen können, was die ohnehin wahnsinnig sympathischen Tiere NOCH näher zu uns bringt.
Die Ausnahme bildet Protagonist Spirit, der zumindest stellenweise im Film als Erzähler auftritt und seine Lage zusammenfasst. Und auch das hätte es ehrlich gesagt nicht gebraucht - Selbst die Erklärung am Anfang, wo und wie er aufwuchs, ergibt sich aus dem Gezeigten. Der Film hätte also wirklich vollkommen ohne Tierstimmen funktioniert, sein gelegentliches Drübersprechen stört aber auch nicht.
Storytelling-Soundtrack
Die simple Handlung von Spirit besitzt neben dem Hauptcharakter und seiner Erzählung noch einen roten Faden, welcher uns seine Gedanken näherbringt und die Ereignisse verbindet - die zahlreichen, gesungenen Lieder von Bryan Adams. Der Soundtrack des Films, der im übrigen von Hans Zimmer(!!) komponiert wurde, ist so grandios und schön, kaum ein Animationsfilm hat so viele gesungene Lieder, jedes Einzelne klingt auf seine Weise toll und sie dienen sogar einer wichtigen Funktion, anstatt nur eine Gag-Compilation zu sein. Das hat Vor-, und Nachteile, und einer von Letzteren ist es, dass man diesen Film auf keinen Fall auf Deutsch gucken kann. Die Übersetzung in allen Ehren, aber allein die deutschen Lieder schänden das komplette audiovisuelle Spiriterlebnis und führen zu einem gänzlich anderen Film. Mein persönlicher Favorit ist das Creditstheme, welches eine erweiterte Version eines früher eingesetzten Liedes und das Maintheme von Spirit ist. Solch unvergessliche Musik haben heutige Animationsfilme nicht mehr.
Müssen Filme immer zynisch sein?
Wir haben sie immer wieder, diese zynische Note. Am Ende vieler Disneyfilme kommt der Bösewicht auf tragische oder schreckliche Weise ums Leben. Denken wir nur an Atlantis, wo der Gauner buchstäblich in Fetzen gerissen wird, oder an den Dreamworks eigenen Shrek, in dem der König im Magen des Drachen landet. Oder aber wichtige Charaktere wie Elternfiguren der Helden sterben zu Anfang. Immer gibt es diese traurig-tragische Note von Realität und 'So ist die Welt nunmal, Kind!'.
Aber muss das sein? Gibt es zwischen einem versöhnlichen Disneyfilm mit Kompromissen und My little Pony Zucker ist Liebesmagie nicht noch irgendeine Grauzone? Spirit ist diese schneeweiße Grauzone. Der Film schafft es wie kein zweiter seiner Art, uns von Anfang bis Ende mit jeglichem Zynismus und jedweder Tragik zu verschonen. Das Gefühl von Freiheit, vom ungebrochenen Willen des Helden, dieses grenzenlose Gefühl von Hoffnung und dass es immer weitergeht, springt hier wie ein Virus auf den Zuschauer über, wenn Spirit mit dem Wind in der Mähne über endlose Weiden gallopiert, garstige Wilderer an der Nase herumführt oder einen Indianerjungen der ihn unbedingt zähmen möchte neckisch auf Abstand hält. Weder stirbt hier die Mutter des Helden, noch irgendeine andere Figur im Film. Es wird angedeutet, es passieren so manchem Charakter schlimme Dinge, und ich habe mich dabei erwischt wie es mir ehrlich im Herzen weh tat. Aber am Ende des Tages konnte ich aufatmen und mich - total verrückt - mindestens genau so sehr wie Spirit lachend darüber freuen, wenn dann doch jeder überlebt hat und alles gut wird.
Der Antagonist des Filmes, seines Zeichens resoluter Colonel eines amerikanischen Forts in der Präerie, versucht die ganze Zeit lang, Spirit zu zähmen, ihn zu brechen und ihm Gehorsam zu lehren. Er ist nicht böse, und als es am Ende zum Showdown zwischen den beiden kommt, gibt es einen gewaltlosen, so befreiend-befriedigenden Moment von wahrem R E S P E K T zwischen zwei Männern, den ich so auch noch nicht erlebt habe. Kein Zynismus, nur ACHTUNG voreinander zwischen Held und 'Schurke'.
Am Ende der kurzweiligen 80 Minuten haben die Helden nichts verloren, aber viel gewonnen, mussten keine Untaten begehen und nichts opfern, müssen über keine Verluste hinwegkommen und keine Kompromisse für ihr zukünftiges Leben eingehen - sie sind zusammen, frei und bald schon wieder Zuhause. Hier in diesem 18 Jahre alten Film wurde eine so zutiefst positive, rundum sympathische Botschaft geschnürt, dass es sogar einem so zynismus-zerfressenem Arschloch wie mir einfach unmöglich war, bei den Credits nicht übers ganze Gesicht zu grinsen und für ein paar Minuten einfach mal ehrlich fröhlich zu sein.
Send Pferdenudes pls
Auch in diesem Film kommen wir nicht um die unvermeidbare Romanze drumherum, aber ich kann mit Frohsinn verkünden, dass auch diese so geschmeidig-weich wie der Rest des Streifens abläuft. Die Indianerstute 'Rain' hat ein freches, verspieltes und offenherziges Verhältnis zu Spirit, der von ihrem Besitzer 'Little Creek' gezähmt werden soll. Verdammt, es gibt hier schon genug Superlativen, aber diese Stute ist einer der sympathischsten weiblichen Charaktere eines westlichen Animationsfilms den ich kenne, und sie nervt kein bisschen. Was vielleicht auch daran liegt, dass sie nicht spricht, weil man sich dann vermutlich wieder kesse Sprüche anhören müsste, die irgend ein Schreiber eingebaut hat, um ein Statement für Emanzipation abzugeben. Nichts dergleichen, stattdessen ein Pärchen, das so herrlich miteinander harmoniert, dass man ihm alle Hufe drückt.
Und mal ganz unter uns, guckt euch diese Stute an...
Ich weiß wirklich nicht, was ich davon halten soll, dass sie die fleckenmaskentragende Rain derartig hübsch und begehrenswert gemacht haben, aber ich meine... das ist das fuckabelste Pferd, das ich je gesehen habe... ICH MEINE, SEHT EUCH DOCH MAL DIESEN SCHLAFZIMMERBLICK AN. (Hoffentlich lesen hier keine Kinder mit...)
Fazit - Film statt Antidepressivum
Man könnte meinen, Zynismus und eine tragische Spannungskurve müssen heutzutage in jedem Film enthalten sein, auch in denen für Kinder. Spirit hat 2002 gezeigt, dass es auch ohne geht. Natürlich existiert auch hier eine Dramaturgie, die die Charaktere beutelt und bedrückende Momente mit sich bringt, aber jeder Einzelne davon wird auf eine befriedigende, pur-positive Weise aufgelöst, ohne über sprichwörtliche oder buchstäbliche Leichen zu gehen. Keine sterbenden Bösewichte, keine toten Eltern, keine 'Das Leben ist nicht Schwarzweiß'-Moral. Nur Positivität und das Gefühl von Freiheit, Liebe und neuen Chancen, in Form von stummen Pferden. Es ist kriminell, wie gnadenlos Spirit untergegangen und heute kaum noch ein Begriff ist, weil dieser Film meines Erachtens nach eine ganz wunderbare Depressions-Therapie ist, oder zumindest das Gegenmittel für einen schlechten Tag. Wenn ich gerade richtig schlechte Laune habe oder mal wieder die ganze Welt verfluche, dann lege ich Spirit ein, lasse mich von der fantastischen Musik, den charmanten Charakteren und der honigmilden Weltsicht wieder aufbauen.
Manchmal tut es auch gut, einfach nur zu Lächeln, wisst ihr?
- Yoraiko
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