Wenn Autoren mit Videospielen vor allem eine Geschichte erzählen wollen, die von ihrer Inszenierung und Intensivität lebt, müssen sie sich oft kritisch mit den Grenzen oder auch Anforderungen des Mediums außeinandersetzen: David Cage und seinen 'Filmspielen', in denen wenig mehr zu tun ist als Entscheidungen zu treffen, wirft man schon seit Heavy Rain vor, es handele sich nicht um echte Spiele. Bei Telltales Walking Dead-Teilen war das ein noch präsenterer Vorwurf, und in diesem Fall auch nicht ganz zu unrecht. In anderen Fällen wird eine intensive Storytelling-Erfahrung mit minimalistischem Gameplay diniert, wenn wir uns Beispiele wie Journey, To the Moon oder Yume Nikki ansehen. Wiederum andere Storybrecher wagen einen ausgewachsenen Hybriden aus Gameplay und Sequenzen, und verlieren durch Ersteres eher an Qualität. Last of Us wäre hier zu nennen. Last of Us stellt sich aber dennoch als bestes Spiel der PS3-Generation ins Rampenlicht, und während das Gameplay nicht ideal war, reichte es für einen guten Standard. Und auch Hellbade ordnet sich in die Reihe der Spiele ein, die es vielleicht besser so konsequent wie David Cage gemacht und einfach beinahe jede Spur von Gameplay aus der Erfahrung gestrichen hätten. Anders als Last of Us zerstört sich das hochgelobte und preisgekrönte Spiel mit seinen spielerischen Aspekten jedoch vollkommen selbst und lässt einen traurig Seufzen bei der verfehlten Aufgabe, die fantastische Story ansprechend einzubetten.
Hellblade erschien 2017 und wurde bald nach Release sowohl von Fachpresse als auch den spielern als der 'Große, neue Geheimtipp' nach Valhalla gelobt, maßstab-setzende Grafik, eine augenöffnende Inszenierung, das seltene Thema von Depression und ein wuchtiges Kampfsystem wurden dem Blockbuster-Indie-Hybriden nachgesagt. Hellblade gilt als Must Play, und wird von nicht wenigen als Meisterwerk deklariert. Ein Nachfolger ist in der Mache.
Ich bekam das Spiel vor ein paar Monaten von einem Freund geschenkt, so dass ich mit viel Vorfreude endlich hineinstarten konnte. Nach nur ein, zwei Spielsessions von einigen Stunden war diese verflogen, das Spiel reizte mich nicht, ich musste mich regelrecht zwingen, den Controller wieder in die Hand zu nehmen. Nach mehr als einem Monat halbherzigem Durchquälen warf ich das Handtuch und ging dazu über, den Rest des Spiels als Walkthrough auf Youtube zu sehen - nur um festzustellen, dass ich gerade mal bei 1/3 der Story war.
Hellblade ist ein wahrhaft exemplarisch inszeniertes Filmspiel, das mit seinen Zwischensequenzen, seiner lebensnahen Mimik, den ausgezeichneten Synchronsprechern und der alles in allem so verblüffend-authentisch gelungenen Darstellung von Depression, psychischen Krankheiten im Allgemeinen und auch Missbrauch ein Brecher in Sachen audiovisuelle Videospielerfahrung darstellt.
Unglücklicherweise wird diese Valkyre des Erfolgs gleich wieder vom Bergtroll des Gameplays vom Himmel geholt. Die spielerischen Aspekte von Hellblade: Senua's Sacrifice laden zu allerlei Wortspielen ein:
Die pure Hölle. Das Gameplay macht mich depressiv. Yoraiko's Sacrifice.
Es durchwachsen zu nennen würde der Problematik nicht gerecht werden. Vielleicht noch von den Kämpfen abgesehen ist alles Gameplay in Hellblade eine anstrengende und wenig-unterhaltsame Angelegenheit, die durch überambitionierte Kopfnüsse und undurchdachtes Wiederholen sehr schnell sehr repitiv wird und den Fluss der eigentlich so fesselnden und immersiven Erzählung immer und immer wieder aufs Empfindlichste zerstört.
Damit ist mein Vorfazit abgeschlossen.
Empfehlung: Nicht selbst spielen. Als Wakthrough sehen. Man verpasst wirklich nicht viel. Und jetzt gehen wir noch etwas in die Tiefe.
Zurecht gefeiert:
Grafik, Inszenierung, Thematik
Hellblade hat viel Lobpreisung erfahren und viel davon zurecht. Am offensichtlichsten tritt die grafische Gestaltung zu Tage, die mit der Unreal Enginge 4 umgesetzt wurde und mit ihrer stellenweise ungeheuer eindrucksvollen Detailgenauigkeit und Realitätstreue schon mal sprachlos schlägt. Immer wenn man denkt, herausragende Grafikstandards könnten nicht mehr getoppt werden, gibt es wieder einen neuen Platzhirsch. Zumindest war Hellbalde das, bis LoU2 dieser Tage erschien. Nun ja.
Wie Senua's innerer Kampf, ihre Unsicherheit, ihre Krankheit und ihre Ängste, wie sich all ihr Seelenleben während ihrer Dellusionen in ihrem Gesicht bis aufs letzte Fältchen wiederspiegelt, ist schlichtweg sensationell. Jeder versteht es, jeder kann es beobachten, was da in Senua vorgeht. Man muss sich wirklich allmählich fragen, wie lange wir Polygonfiguren noch von Menschen unterscheiden können. Videospiel-unerfahrene Personen wie etwa meine eigene Mutter haben diese Fähigkeit schon bei Titeln wie Detroit: Become Human verloren.
Die Umgebungen in Hellblade sind der bedrückenden Reise entsprechend stimmig gestaltet, leer, tot und trostlos, aber fantasievoll und oft auch angenehm außergewöhnlich. Das nordische Setting kommt gut beim Spieler an, auch dank der vielen Erzählungen über Ragnarök und andere nordische Mythen.
Spricht man über die Inszenierung, kommt man über das besondere Gimmick von Hellbade nicht hinweg: Die Stimmen in Senua's Kopf. Fünf oder sechs verschiedene Senua's, alle mit verschiedenen Persönlichkeiten, die beinahe ohne Unterlass das gesamte Spiel auf sie einreden, sie bei Kämpfen und Rätseln entweder unterstützen oder verspotten, die ihre Gefühle und Gedanken ausdrücken und ein Stück weit auch uns als Spieler ansprechen. Das Spiel rät nicht umsonst, Hellblade mit Kopfhörern zu spielen: Ich habe SCHLECHTE Headphones und selbst MIR wurde klar wie unheimlich immersiv es ist, diese Stimmen um den eigenen Kopf herum zu hören. Das ist ein fantastisch gelungenes, dramaturgisches Element, das vor allem dann greift, wenn die Stimmen sich mit den Gedanken des Spielers überlappen:
Ein Kampf ist scheinbar unfair-schwer und frustrierend, man wird nur niedergeschlagen. Senua's Stimmen kommentieren 'Hes too strong!', 'She CANT do it!', 'Dont give up!',
'Its so frustrating...'
Man fühlt sich vom Spiel verstanden. Bei Rätseln ist es ähnlich: Läuft man eine Weile ziellos herum, fangen die Stimmen genau wie die eigenen Gedanken an daran zu zweifeln, ob man wirklich weiß was man gerade tut und ob das hier überhaupt einen Sinn hat. Außerdem unterstützen die Stimmen einen direkt, sein es kleine Hinweise bei Knobelein oder Warnungen in Kämpfen, wenn der tödliche Schlag des Gegners droht. Ein solches Element habe ich so noch nicht in Videospielen erlebt, und es wertet das Erlebnis ungemein auf.
Senua ist depressiv. Da ein solcher Zustand zur Zeit und Kultur der Wikinger aber wenig willkommen war, erleben wir diese Krankheit in Hellblade als 'Die Dunkelheit', was naheliegend und auch perfekt umgesetzt ist.
Ich komme aus einer Phase meines Lebens, in der schwere Depressionen für Monate und Jahre mein Wegbegleiter waren, ebenso wie Isolation und eine grassierende Unsicherheit. Ich will sicher nicht behaupten, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, aber doch zumindest, dass ich mich mit vielen Aspekten von Senua's innerem Zwist und dem feinfühlig-geschriebenen Dialogen identifizieren kann. Ich halte die Symptomatik in Hellblade als eindrucksovll und schmerzlich-treffend umgesetzt, und durch Senua's wahnhafte, monströse Visionen gewinnbringend ergänzt.
Wenig Videospiele trauen sich überhaupt ins risikoreiche Minenfeld der düsteren Depressionsverarbeitung, und als vermutlich der bisher bekannteste Titel mit dieser Ausrichtung überzeugt Hellblade in Sachen Authentizität auf ganzer Linie. Man leidet mit Senua und erkennt die eigenen Sorgen in ihr wieder. Hellblade ist allein schon deswegen mit Sicherheit von konventionellen Games abzugrenzen.
Die Kämpfe sind grundsätzlich auch gelungen. Das an Dark Souls erinnernde Kampfsystem mit Schwert und Körpereinsatz spielt sich wuchtig, gewaltvoll und dem Kontext entsprechend oft dramatisch. Im direkten Vergleich ist Hellblade aber behebiger und weniger flexibel, so dass die Kämpfe gerade gegen Übermächte an Gegnern oft langsam und latent wirken können. Die fokus-Option, die im restlichen Spiel für Rätsel relevant ist, kann genutzt werden, um die Abwehr von Gegnern zu brechen und diese bewegungsunfähig zu machen, während man auf sie einprügelt. Diese Funktion habe ich nicht so recht verstanden, da sie zumindest für mich keine Begrenzung zu haben schien und somit einem Unbesiegbarkeits-Zertifikat gleichkam. Vielleicht aber habe ich da nicht aufgepasst und der Fokus musste sich aufladen.
Das Kampfsystem kann für sich stehen, auch wenn es im letzten Drittel einige Balancing-Probleme gibt, auf die ich gleich noch eingehe. Es ist schade, dass es in den ersten 2/3 des Spiels nur selten Kämpfe gibt.
Zu wenig kritisiert:
Gameplay, Rätsel, Sackgassen
Das waren alles mehr oder weniger positive Aspekte, die Hellblade zu einem fantastischen Spiel machen. Könnten. Wäre da nicht die Tatsache, dass es keine Serie sondern ein Videospiel ist, das mit mehr auskommen muss(?) als Kämpfen. Und für welches Gameplay entscheidet man sich für sein psychische Krankheiten-basierendes Wikingerspiel mit toter Welt und dichter Atmosphäre? Na klar - Rätsel.
Ich muss natürlich einräumen, dass ich ein Sonderfall bin - Ich hasse Rätsel und Puzzle jeder Art in Videospielen, die sie nicht als explizites Genre haben, inbrünstig und könnte jedes Mal meinen Dickdarm ausscheiden wenn ich gezwungen bin, welche zu absolvieren. Weil sie mir aufzeigen, wie dumm ich doch bin. Dennoch halte ich die Rätseleinlagen in Hellblade für allgemeingültig eklig und vollkommen deplatziert.
Das Gameplay in diesem Spiel besteht zu 80 % aus folgender Bucketlist:
- Komm in einem Gebiet an
- Finde ein verschlossenes Tor mit Runen darauf, oder einen Weg an dem es nicht weitergeht
- Finde diese Runenformen in der Umgebung, um das Tor zu öffnen, oder setze einen Weg aus einer bestimmten Perspektive zusammen.
Klingt einfach? Dann sucht ihr doch mal zwei Stunden in einem niedergebrannten Dorf nach einer Runenform, die auch nur von einer bestimmten Position und mit exakt-richtiger Kameraperspektive funktioniert und HOFFT, dass der Fokus es auch als richtig anerkennt. Und das aller zehn Minuten das gesamte Spiel über. Oftmals stellt sich auch einfach das Problem ein, dass man als Spieler nicht weiß, was man jetzt eigentlich gerade tun soll. Nicht immer versperren Runen oder kaputte Brüpcken den Weg, aber dennoch kommt man nicht weiter. Die Stimmen geben dann, genau wie bei vorhergehenden Problemen, ab und an Kommentare und kleine Hinweise ab, aber dabei bleibt es dann natürlich auch, weil sie Senua's Gedanken sind.
Hier, ein wunderbares Beispiel. Vor allem das R bei 5:30.
Sprich: Man ist GEZWUNGEN, diese schrecklichen Runenrätsel zu lösen, sonst KOMMT man im Spiel nicht weiter. Die Inszenierung und die Story sind abhängig davon, dass man für meinen Geschmack viel zu komplizierte und verkopfte Perspektivrätsel lösen muss, die nichts, aber auch gar nichts mit dem restlichen Spiel zu tun haben und der Story keinen Mehrwert geben. Sie sind da, weil die Entwickler einen Gameplay-Füller brauchten, und sie stören permanent, reißen einen aus jeder Filmsequenz und Atmosphäre heraus, weil man erst mal wieder eine Stunde planlos im Kreis laufen muss bevor man sich wieder entscheidet auf Youtube nachzusehen, wo unter jedem Video hunderte Leute genau so entnervt von den überflüssigen Rätseln sind. Es ist zum pegasusmelken.
Später gibt es Späße wie ein finsteres Endlos-Labyrinth, in dem man den richtigen Weg wählen muss weil man sonst im Kreis läuft, oder lustige Schalterrätsel, die man hin und herstellen muss. Hätte es alles nicht gebraucht. Reißt einen alles aus der Immersion. Die Stimmen geben kleine Tipps die meistens wenig hilfreich sind, und fangen nach einiger Zeit an zu spotten oder ebenso zu verzweifeln wie wir. Aber mehr kommt nicht. Keine Hilfestellungen, wenn ein Spieler feststeckt.
Natürlich - Senua hat auch keine Hilfe aus dem Nichts. Aber ein bekömmlicherer Spagat aus Detailtreue und Gameplay wäre angemessen gewesen.
Das wirklich tragische an diesem Missverhältnis ist die Tatsache, dass es einem das gesamte Spiel madig macht. Ich musste mich über einen Monat immer wieder dazu animieren, für ein paar Minuten zu spielen, nur um nach einer Kurzen Zeit von Rumrennen und Runen suchen wieder auszumachen und ein Spiel einzulegen, das ich nicht unerträglich finde. Die Story und die Atmosphäre haben mich ganz und gar reingezogen, sind aber nichts Bekömmliches für schwache Nerven. Dieses bittere Gericht mit furchtbarem Try & Error-Suchspiel-Gameplay zu verbinden ist ein beinahe sicherer Garant für phänomenales Scheitern.
Und während das für die große Masse nicht zugetroffen ist, hat Hellblade für mich deswegen das Recht auf den Titel 'Fantastisches Spiel' verloren und rutscht tief, tief in die Mittelmäßigkeit. Viel lieber wäre ich mit Senua wirklich nur gelaufen. Hätte ihre Visionen durchlebt und das ausgestorbene 'Hel' erkundet. Es braucht bei einer solchen Handlung kein Gameplay. Und wenn doch, hätten die Kämpfe genügt. Es ist ein Jammer.
Die Kämpfe selbst bekommen auch noch ihr fett weg: Im großen und Ganzen, und von ein paar wenigen Bossen abgesehen, ändern sich diese so gut wie gar nicht, sondern schmeißen Senua immer wieder die selben, langsamen Gegner in stetig steigender Anzahl entgegen. Das wird innerhalb des Spiels sehr schnell repititiv.
Das Finale der Reise übertreibt es dann endügltig mit absurden Gegnermassen, die das Erlebnis nicht schwerer sondern nur zäher gestalten. Dennoch muss man sagen, dass das Finale mit enigen guten Ideen, cineastischer audiovisueller Gestaltung und einem Damm voll Dramatik mehr als überzeugen kann.
Großer Knackpunkt: Die letzte Szene ist so dermaßen offensichtlich auf "SEQUEL!!!" getrimmt, dass man sich gleich wieder in die Dunkelheit zurückwünscht. Und das Sequel wurde auch schon, Überraschung, angekündigt. Danke, kein Interesse.
Die Savestate-Lüge verdient eine Erwähnung. Am Anfang des Spiels wird einem weißgemacht, man würde seinen Savestate verlieren, wenn man zu viele Kämpfe verliert. Während sich Hellblade damit endgütlig aus jeder Punkteskala ins Abseits teleportiert hätte, weil keine handvoll Spieler sich diese Tortur zweimal antun würden, finde ich es ebenso fragwürdig, dass das einfach geradeheraus gelogen war: Die Verwesung an Senua's Arm verschlimmert sich storybedingt, nicht mit verlorenen kämpfen.
Der Gedanke, uns als Spieler mit der selben Angst und Unsicherheit wie Senua sie empfindet zu strafen stand dahinter, hat meiner Meinung nach aber nicht funktioniert und bleibt mir als 'Dreist' in Erinnerung.
Fazit
Spiele wie jene von QuanticDream fühlen sich wohl da, wo sie sind: In der filmischen Hollywood-Schmiede gameplayarmer-Popkorninszenierung, die wenig Eigenhandlung bedarf. Das geht auf und funktioniert. Einem Last of Us gelingt das eine besser als das andere, aber man verzeiht es ihm aufgrund seiner exorbiutant-hohen Qualität. Ein Journey hat richtig umgesetzt, wie man minimalistisches Gameplay ausreichend in eine Erfahrung einbaut.
Hellblade erreicht mit der Thematik und ihrer Umsetzung eine 999-Kombo auf der Richterskala, landet aber anbgesichts seines ratlosen und unbeholfenen Gameplays gleich wieder unten im Abort. Man wusste sich nicht, das Spiel stimmig zu füllen, und hat deswegen eben viel zu schwere Runenrätsel eingebaut, um die man NICHT HERUM KOMMT, wenn man weiterspielen will. Es gibt keine Hilfen und keine Lösungen, so dass man Hellblade am besten mit Youtube auf dem Smartphone spielt. Durch diese Sperrigkeit verliert der vermeintliche Hit wahrscheinlich nach wie vor viele Spieler und trübt sein eigentlich so lupenreines Produkt.
Eine moderne Tragödie und etwas, das mich wirklich depressiv macht. Na ja, nicht wirklich.
Pech gehabt, Ninja Theory. Das war nichts. Vielleicht ja beim nächsten Mal.
4 von 10 Feuertitanen für Hellblade: Senua's Sacrifice
- Yoraiko
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