Sonntag, 19. April 2020

Film-Review: SHINING (1980) - 127 Times




127 Mal. So oft hat Ausnahme-Regisseur und Filmkünstler Stanley Kubrick die weibliche Hauptrolle seines benannnten Meisterwerkes 'shining', Shelley Duvall, eine dramatische Szene gegen Ende spielen lassen, in der sie weint, schreit und um sich schlägt. So lange, bis die Schauspielerin, die von Stanley Kubrick während den gesamten Dreharbeiten gepiesackt, malträtiert und beschimpft wurde, authentisch gebrochen, emotional aufgelöst und nervlich am Boden war  - um genau die Performance abzuliefern, die Kubrick brauchte.

Es ist eine von vielen absurd erscheinenden Anekdoten, die einen der populärsten Klassiker Kubricks umkreisen. Der 1999 verstorbene Intellektuelle war bekannt für seine Retakes, und so verwundert es auch nicht, dass die ikonische Szene, in der Protagonist Jack Torrance mit einer Axt eine Badtür einschlägt, angeblich über 70 mal gedreht wurde, bevor Kubrick zufrieden war. Wie Jack Nicholson sich darauf wohl vorbereitet hat? Das kann man den ganzen Tag so weiterlesen, Zahlen in den Hunderten sind in der Produktion dieses Filmes nicht selten gewesen. Während vor allem Shelley Duvall, die 2016 zuletzt ihre psychische Krankheit öffentlich gemacht hat, wahrscheinlich nachträglich von der Behandlung Kubricks geprägt wurde, und man von Kubrick angesichts seiner Vorgehensweise moralisch so manches besser unausgesprochen lässt, standen und stehen die Ergebnisse außer Frage - Shining ist ein fantastischer Thriller. Sicher, würde ein amerikanischer Regisseur heutzutage mit seinen Schauspielern so umgehen wie Kubrick damals mit Duvall, wäre er ganz schnell ganz unten. Zurecht. Aber damals hat man hier vor allem, wie auch heute noch in Teilen der Welt *Husthust*Frankreich*Röchelhust* die Kunst gesehen und den Rest ausgeblendet. Nun ja. Shelley Duvall ist im gesamten Film großartig und überzeugend, ob das nun ihre oder Kubricks Leistung war sei mal dahingestellt. Nachdem ich das jetzt kommentiert habe komme ich mal zum eigentlichen Film.

Stanley Kubrick ist eine Filmlegende und wohl einer der meistangesehendsten Regisseure aller Zeiten. In seiner Filmografie gibt sich ein zeitloser Toptitel nach dem Anderen die Klinke in die Hand, wenige Regisseure haben so viele Kreativschaffende derartig mit ihrem einzigartigen Stil und ihrer konzentrierten Arbeitsweise inspiriert wie ein Kubrick. Der intellektuelle Künstler unter den Regisseuren, das war sein Ruf. Ich selbst hatte zu ihm lange Zeit keine große Bindung. Sein sicherlich größtes Werk, 2001 - OIdysee im Weltraum, habe ich vor einem Jahr gesehen. Erstmalig. Der Film war gut und überzeugend, aber ich fand nie besonderes Interesse daran, noch an anderen Filmen Kubricks. Mit Ausnahme von shining, seinem vielleicht konventionellsten Werk, adaptiert von Stephen Kings Buch. Dieser Psycho-Thriller erreichte mich durch Zufall schon in etwas jüngeren Jahren und überzeugte mich, so dass er vor kurzem dauerhaft in meine Sammlung wanderte. Während ich persönlich mit dem Begriff Meisterwerk vorsichtig umgehen möchte und ihn hier auch nicht zwangsweise anwenden würde, ist shining auch für mich zweifellos ein großes, bedeutendes, mächtiges Stück Filmhistorie. Man merkt dem Film in jeder Sekunde seinen Direktor, seine Machweise, seine Ideologie an - every frame a painting

Isolierende Atmosphäre 

Bereits die Eröffnungsszene des in der EU-Fassung 119-Minuten langen Horrorfilmes ist so unnachahmbar wie faszinierend und unangenehm. Vielleicht eine der stärksten Eröffnungssequenzen aller Zeiten. Diese bedrückende, tiefe Musik, die bald in ominöse, unheimliche Töne umschlägt, dieses winzige Auto in schier endloser isolation von Bergen und Wäldern, dieses kafkaeske Gefühl von Bedrohung und Unwohlsein, das sich breit macht und die Stimmung für den Film festlegt. Noch ein Leichenwagen im Bildgemälde versteckt und die Gesamtkomposition ist vollständig. Genial.

Wie in fast jedem guten Horrorfilms inszeniert Kubrick in shining viel über Atmosphäre. Das Overlook-Hotel mit seinem berüchtigten Zimmer 237 liegt weit, weit oben in den Bergen fernab jeder Menschenseele. Die verworrenen Gänge und Räumlichkeiten, welche von Kubrick mit Absicht fehlerhaft und konfus aufgebaut wurden, lassen einen in den endlosen Wänden dieses Gebäudes versinken ebenso wie die Familie, die es in Schuss halten soll. Dabei haben mir vor allem die Dreiradfahrten des Sohnes Danny durch die Korridore gefallen, welche die Länge und Endlosigkeit der Innenräume gut verdeutlichten. Selbst die schiere Weite der Eingangshalle kann kaum Trost spenden, wenn sie nur umso mehr die Isolation der Familie Torrance in dieser gottverlassenen Umgebung hervorhebt - selten hat man Leere so spürbar gefühlt.

Von Anfang an bekommen wir über Danny's sogenanntes shining verstörende Bilder und bedrohliche Shockmomente eingebläut, die ihren Teil dazu beitragen, dass der Horror in diesem Film nicht plötzlich und mit großem Krawumm, sondern sukzessiv in jeder einzelnen Szene passiert und sich kohärent aufbaut. 


Atemraubende Schauspieler  

Jack Nicholson hat hier vermutlich die Rolle seines Lebens abgeliefert als Jack Torrance, kleiner Mann der Arbeiterklasse, der einfach nur in Ruhe schreiben will, allerdings nach und nach Frustration, Isolation und eben auch übernatürlichen Übeln zum Opfer fällt und innerlich verkommt. Selbstverständlich ist es immer wieder eindrucksvoll zu sehen, mit welch animalischer Aggressivität und psychopathischer Mordlust er sich am Ende der Badtür nähert und diese schließlich einschlägt. Kaum bedrohlicher hat man nochmal jemanden Laufen sehen als Nicholson, wenn er grunzend durch die Küchengänge schlurft. Auch er hat nach 127 Versuchen auf der Treppe eine Vorstellung abgeliefert, die im Gedächtnis bleibt - 

'Light of my LIFE. I'm not gonna hurt you. If you let me finish my sentence, I SAID I'm not gonna hurt you. I'm just gonna BASH YOUR BRAINS IN!' 



Aber es gibt noch viel stärkere Momente. Da ist zum Beispiel eine meiner Lieblingsszenen im ersten Drittel des Filmes, für mich ungleich gruseliger und schreckenerregender als der spätere Horror, einfach weil es so wenig ist was passiert und Jack Nicholson doch so viel spielt. Diese Szene. Man sieht förmlich, wie es passiert. Wie der einfache, genervte Mann langsam aber sicher zur wahnsinnigen Bestie wird. Dennoch bleibt die Szene ohne Kontext - was starrt er da an? Warum? Schlichtweg unangenehm. Ich liebe das. 

Shelley Duvalls Performance als zunächst einfache Mutter und Ehefrau und bald schon verstörtes und vollkommen überfordertes Opfer steht ohnehin über jedem Zweifel. Das sollte man aber auch hoffen nachdem, was die gute Frau dafür durchmachen musste.

Danny Lioyd als Danny Torrance ist eben ein Kinder-Schauspieler. Seine Rolle im Film gestaltet sich für mich eher als anstrengend, aber gerade in den shining-Szenen, wenn Danny als Erster mit dem nahenden Schrecken und Blutfontänen aus Fahrstühlen konfrontiert wird, sieht man die Angst und Panik in seinem Gesicht. Man möchte gar nicht wissen, wie Kubrik das bei ihm hinbekommen hat. 


Vergesst nicht die Dialoge
Kubrik inszeniert die Optik seiner Filme so penibel und detailgetreu, dasss wirklich beinahe jede Einstellung aussieht wie ein Gemälde. Seine Schauspieler sind bis zur Perfektion gedrillt. Die Musik ist die passendste beunruhigende Untermalung die ein Horrorfilm sich nur wünschen kann. Aber die Dialoge sind eben auch brillant. Von der Bewerbungsszene ganz am Anfang, in dem Jack Torrance bereits in Aussicht gestellt wird, wie beunruhigend isoliert und ausgestorben es hier oben im Berghotel wird, über die stetig-aggressiver werdenden Gespräche zwischen Jack und seiner Frau Wendy bishin zur unheilvoll-verstörenden Geistermanipulation im Designerbad. Wer von beiden jagt einem mehr Angst ein? Hier passiert der eigentliche Horror im Film, wenn ich das so sagen darf. 

Angsteinflößende Entfaltung

Der Film läuft gute zwei Stunden, ist aber keine Sekunde zu lang. In der US-Fassung ist es sogar noch mehr. 2001 zum Beispiel habe ich seine 143 Minuten auch an mehreren Stellen unangenehm angemerkt, aber der Film ist von Natur aus schon zäher als ein Horrorthriller wie shining. Hier Entfaltet sich einfach alles so natürlich, so beunruhigend und doch flüssig, dass gar keine Zeit ist um sich zu langweilen. Langsam in Wahnsinn und Desolation zerfallende Normalität, die sich aufbauende und drastischer werdende Bedrohung, der furchteinflößende Kampf ums Überleben, die Konklusion. Viel mehr ist es gar nicht, und ich könnte mir vorstellen, dass auch die US-Fassung mit ihren 143 Minuten ein ähnlich bekömmliches Seherlebnis bietet. 


shining ist gut gealtert und funktioniert meines Erachtens nach heute so effektiv wie damals. Damit ist er in den 80ern durchaus eine Seltenheit, vielen Filmen sieht man dieser Tage ihren Buckel an, aber shining ist noch immer exzellent, ist noch immer zeitgemäß, ist noch immer Kunst in jedem Frame. Junge Horrorfans können den genau so wie alte Hunde des Genres oder Gelegenheits-Grusler angucken, wenn ihr mich fragt. Nur wer wirklich zartbesaitet ist, was psychologischen Terror angeht, sollte lieber zweimal überlegen, ob er sich in diese Abwärtsspirale des Verstandes begibt.

Fazit


Übermäßig viel oder gar Gehaltvolles kann und will ich gar nicht zu solch einem Urgestein der Filmhistorie sagen, da schätze ich mich realistisch ein und sage, dass das vielleicht etwas über meine Kragenweite hinausgeht. Der Film ist, einmal ganz abgesehen von seiner Bedeutung oder seiner Machart, wirklich ein guter Thriller. Ein toller Horror. Ein großer Gruselspaß mit viel Konsistenz dahinter. Wer den Klassikern wehret wie ich sollte hier nochmal reinschnuppern, da shining auch für mich als großen Horror-Enthusiasten noch immer zu den stärksten Vertretern des dunklen Genres zählt. Wahrscheinlich war es auch ein Segen, dass Kubrick sich damals so mit Stephen King zerstritten hat, dem die etwas weniger 'übernatürliche' Adaption seines Geisterbuches wenig zusagte - denn der psychologische Horror im Kopf, der dir und mir genau wie Jack Torrance passieren kann, ist in den allermeisten Fällen doch immer grauenerregender als ein Gespenst mit ungewaschenem Bettlaken auf der Rübe. Aber auch die gehen hier leidlich-effektiv vor und lehren einen das Fürchten auf ganz, ganz bodenständige Weise.

Ich empfehle eine Lektüre solcher Artikel, wenn man shining gesehen hat. Das Einzige, was vielleicht noch gruseliger und interessanter ist als dieser Film, ist mit Sicherheit seine Entstehung.
Mein persönlicher Shockmoment des Filmes: In einer Szene mit Jack Nickolson, in der er im Essenslager eingesperrt ist, liegen im Hintergrund Oreokekse herum. 1980. WAAAAAAS DIE GAB ES DA SCHOOOON?! UNFASSBAR!!!!!!!

9 von 10 Oreokekse für shining


- Yoraiko





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