Vorwort
Als ich die letzten drei Episoden von Staffel 9 der Serie MLP: Friendship is Magic sah, waren meine Gefühle gegenüber der finalen Konklusion des Franchises, das wir im Bronytum so viele Jahre geschätzt und verfolgt haben, in vielerlei Hinsicht gemischt. Während ich vom Lied ‘The Magic of Friendship grows’ und der Botschaft dahinter sehr angetan war, hatte ich das Gefühl, dass die Problematik von Twilights Unsterblichkeit in keinster Weise behandelt wurde. Außerdem fand ich die Art und Weise, wie das Team hinter MLP am Ende mit den Antagonisten umgegangen ist, unter aller Kanone und habe diese unter anderem in Beiträgen und Reviews verurteilt. Vor allem die Charaktere Cozy Glow, die von Celestia, Luna und Discord mit sadistischem Grinsen in Stein verwandelt wurden, als wäre das eine angemesessene Reaktion gegenüber einemm verstörten Kind und einer Mutter die ihre Familie und gesamtes Volk verloren hat. Am Ende war an Freundschaft doch nicht mehr dran als Regenbogenlaser. Bitte lest die folgende Kurzgeschichte in 2 Kapiteln mit diesen Gedanken im Hinterkopf.
Danke.
- Yoraiko
Weitere Informationen unter:
O u r f r i e n d s h i p s w e a v e t o g e t h e r s t r o n g e r
T he b o n d s g r o w d e e p e r , l a s t i n g l o n g e r
A n d t h e g r e a t e s t s p e l l y o u ' l l k n o w
I s h o w t h e M a g i c o f F r i e n d s h i p g r o w s
Zwielicht
Die Zeit heilte alle Wunden, hieß es. Doch manchmal, da erschuf sie Neue. Ihr Fortschreiten hatte nichts Poetisches, besaß keinen Sinn und konnte keine tiefere Bedeutung vermitteln. Im Sande verlaufende Zeit hatte es nicht an sich, zu geben, stattdessen nahm sie mit, was ihr nicht trotzen konnte. Leben, nur ein flüchtiger Moment. Die Zeit kümmerte es nicht, wer oder was ihr zum Opfer fiel, so lange sie weiterhin über alles das war gebieten konnte.
Es gab keinen Gott. Keine höhere Ordnung oder eine Instanz des Schicksals.
Nur die Zeit, die verging und verlief, die nach niemandem rief, die hoch war und tief, und die doch niemals schlief. Zeit bedeutete Vergänglichkeit. Und Vergänglichkeit lockte den Tod. Der Tod war ein Versprechen der absoluten Gerechtigkeit, der sich ein jedes Wesen, welchem das beispiellose Glück zuteil wurde, ‘Geboren zu werden’, eines Tages zu unterwerfen hatte. Was auch immer es kostete
Einst war Equestria das blühende Zentrum einer lebensfrohen, geradezu unnatürlich-idyllischen Welt gewesen, die Wiesen und Wälder rege summend vor Leben, die blauen Himmel umsorgt von Flügeln. Flüsse und Seen boten den Bewohnern dieses fernen Paradieses ebenso eine Heimat wie zahlreiche Täler und Städte.
‘Kein Land so rein wie Equestria, kein Volk wie das der Ponies’, hatte es einst geheißen. Unter der fruchtvollen und weisen Herrschaft der Schutzpatroninen der Sonne und des Mondes keimten drei Völker, die in einer Stunde der Zwietracht zueinander fanden, innerhalb weniger Jahrtausende zur liebevollsten Gemeinde der Erde heran, und mit ihnen die Lehren, welche sie verbanden. Wissen und Gefühle, die schließlich auch die anderen Völker erreichten. Ja, Equestria war ein Ort der Harmonie und des Zusammenlebens. Ein einzigartiger Ort von Liebe und Akzeptanz.
Aber vor allem, ein Ort der Freundschaft.
Nichts war davon mehr übrig. Die wie jeden Tag von unbarmherzig-sengendem Bernstein-Abendlicht durchzogenen Ruinen Canterlots bezeugten das besser als jeder andere Ort dieser toten Welt. Eine in allen Teilen jener Zeit dominierende, beinahe ungebrochene Stille lag über den weitläufigen Steinhaufen, Gebäuderesten und verschütteten Gebirgswegen, die einmal der ganze Stolz des Einhornvolkes waren. Grillen und ähnliches Kleingetier, das tat noch sein täglich Werk und unterbrach die lebensfeindliche Ruhe dieser toten Stadt. Sonst regte sich hier nichts mehr, kein Windhauch ging, kein Vogel flog. Hoch, hoch oben, wo vor langer, langer Zeit vielleicht einmal der königliche Palast gewesen sein mag, waren jetzt nur noch eingestürzte Überbleibsel eigentlich unsterblicher Gebilde, stumm und von Unkraut und Moos gleichermaßen überwachsen waren sie Beweis der unanfechtbaren Vergänglichkeit. Irgendwo in einer der wenigen verbliebenen Kammern des zerrütteten Palastes rührte sich etwas, ein Körper der den trostspendenden Schatten suchte, welcher dieser Tage rar geworden war. An den langen, dünnen Läufen, derer das Wesen vier hatte, und der fülligen Mähne so wie dem Schweif konnte man es zweifelsfrei als Pony identifizieren. Es bewegte sich nur träge, kratzte sich hier und da das Fell, wälzte sich auf dem staubigen Steinboden umher oder erschlug ein vorbei eilendes Insekt. Ein Zustand der Lähmung und Lethargie schien es einzunehmen, die sich auch auf ihren körperlichen Zustand ausgebreitet hatte: Die einst so prächtige Mähne der Prinzessin war ergraut und zerfallen, kaum mehr als verfilztes Resthaar. Ihr Schweif lag lang und leblos unter ihr und klemmte in den Ritzen des Felses, kein Wabern und keine Farbe in ihm. Ihr lilanes Fell war zerrupft und an unzähligen Stellen verdreckt und verklebt, große Teile des Ponies konnte man nicht mehr erkennen, selbst ihre weiten Flügel schienen abgemagert und stumpf zu sein. Spinnweben wanden sich um das lange Horn auf ihrer Stirn, das zusammen mit der verrosteten Krone der einzige Hinweis auf die Stellung dieses Alicorns bildete. Ihr fein-geschnittenes Gesicht und ihre lavendelfarbenen Augen waren ebenso verblichen wie der Rest der Prinzessin, kein Funke Magie oder Lebenslust lagen in den Tiefen ihrer Pupille. War es eine wandelnde Tote, die hier der Zeit unterlag?
Twilight Sparkle wusste, dass sie sich bewegen musste. Der Gestank ihres eigenen Körpers und ihrer Exkremente malträtierte ihre Sinne und brachte sie fast zum Würgen, und gegessen hatte sie ebenfalls seit mindestens… langer Zeit nicht mehr. Doch dann auch wieder würde sie ohnehin nicht sterben, und niemand anders sie riechen. Also warum die Kraft aufwenden, sich zu erheben und hinaus zu gehen? Hinaus in das Licht, das niemals wich? Hinaus in das detaillierte Gemälde aller Tragödien und Fehler, die ihr erneut die Sinne rauben würden?
Es spielte keine Rolle. Der Hunger war ihr lästig, und ebenso ihr Gestank. Irgendwann würde sie sich bewegen. Sie konnte es genauso gut auch jetzt tun. Ohne besondere Anstrengung, mehr aus einem Reflex heraus, hob Twilight Sparkle ihren hochgewachsenen Alicorn Körper und schlurfte stolpernden Schrittes aus dem demolierten Turmzimmer hinaus. Der zerfallene und verrottete Palasthof bot ihr nichts, also ließ sie ihn hinter sich und stieg in die Ruinen hinab. Zwang sich vorbei an tausenden verkommenen Leichen früherer Gebäude, die schon lange kein Leben mehr beherbergten, das über Maden und Tausendfüßler hinausging. Von hier konnte sie noch immer das gesamte Ruinental überblicken. Es war eine bernsteinfarbene, statische Wüste aus Brocken, Skeletten und wucherndem Unkraut, das sich wieder geholt hatte, was man ihm einst so mühevoll entriss.
Hier gab es keinen Laut und keine Bewegung, so weit Twilights Sinne reichten. Das abendliche Zwielicht in ihrem Rücken war ihr einziger Begleiter, als sie den unebenen Pfad, den sie sich irgendwann freigeräumt hatte, hinab stieg und die halbgeschlossenen Augen nur selten von ihren Hufen abwandte. Alles, was es hier zu sehen und zu entdecken gab, hatte sie bereits hunderte Male genauestens studiert. In einer Welt, in der sich nichts veränderte, starb Neugier zuerst.
Twilight erreichte einen der wenigen, verbliebenen Flüsse, der durch seine Position direkt am Gebirge Canterlots durch viele Felsvorsprünge und einige intakte Bäume geschützt war und stieg leidenschaftslos hinein. Einen Schritt vor, zwei zurück. Das blasse, lauwarme Wasser reinigte sie nur oberflächlich aber ausreichend. Twilight senkte ihren Kopf und trank die selbe Flüssigkeit, in der sie so eben ihren Körper wusch. Niemand war hier, der sich darüber wundern konnte, dass die Herrscherin Equestrias in einem schmutzigen Bergfluss badete. Es gab niemanden, der sie dabei hätte unterbrechen können. Und mit Sicherheit existierte niemand, der ihr hätte Gesellschaft leisten wollen. Zehn Minuten dauerte es, wobei Twilight sich da nicht sicher war. Sie hatte ihr Zeitgefühl bereits vor sehr langer Zeit verloren. Die Zeit war noch immer da, daran bestand kein Zweifel, sie gebietete noch immer über alles auf ihrer Welt, doch sie besaß keine Form mehr.
Twilight Sparkle entstieg ihrem Fluss und zog sich tropfend zurück in ihr Zuhause, das Ruinenmeer. Es gab einen Ort, den sie lange nicht besucht hatte. Ihr leise schlagendes Herz, dem jede Form der Aufregung abhanden gekommen war, befahl es ihr. Es war Zeit, sich wieder einmal dem im Zwielicht schädlichsten aller Gifte auszusetzen, das doch für den kürzesten aller Momente vergessen ließ: Erinnerungen. Sie kannte alle Wege innerhalb der Felshaufen und zerstörten Strukturen bestens, denn hier veränderte sich jetzt nichts mehr. Die Zeiten, in denen ab und an noch eine Ruine dazukam oder etwas zerfiel waren vorüber. Still und ereignislos verlief ihr Pfad zu einem zweigeteilten Haus, das als Boutique geboren wurde. Twilight stieg über vereinzelte Skelette hinweg und durchschritt die von Glas und Stoffresten bedeckten Böden blind, bis sie zur hintersten Ecke der runden Struktur gelangte, in der zwei Innenwände ineinander gefallen waren. Nur ein kleines Loch zwischen ihnen erlaubte es Twilight, sich wie eine Ratte hindurchzwängen und, vollkommen im Dunkeln, das Zwielicht auszusperren. Ihr Horn erglimte schwach im trüben Rosa, kein Licht hell genug um einen Weg zu erleuchten, doch genug für Twilight um ihre Schätze zu finden. Eine grüne Schuppe, da lag sie zwischen anderem Tant, der einem Außenstehenden nichts sagen würde. Das ergraute Alicorn umfasste sie mit beiden Hufen und starrte sie an. Für Minuten. Sie hatte gehofft, ihr möge vielleicht eine Träne entwichen, doch ihre Augen blieben trocken. Sie führte sie an ihr Herz und ließ sie dort, wärmte sie in einer tiefen Umarmung als wäre sie lebendig. Ihr eigenes, schwaches Atmen war Twilights einzige Versicherung, dass die Welt noch existierte. Dass sie selbst noch lebte. Sie legte die Schuppe beiseite und griff nach einem ungleich größeren Gegenstand, der sich, von Staub und Dunkelheit befreit, als Buch herausstellte. Ein von den Zähnen der Zeit zerfressenes, stark in Mitleidenschaft gezogenes Buch, dessen Einband einstmals wohl so edel war. Mit müdem Blick und schwachem Huf blätterte Twilight hindurch, ließ Bilder und Buchstaben an ihren Augen vorbeiziehen.
And no matter how much time goes by
The party will still be here with some fun new games to try
Sie erinnerte sich an die Mädchen, die sie an diesem einen, besonderen Ort kennengelernt hatte. Diese seltsamen Ponies, die ihr schon bald die besten Freundinnen werden sollten. Ja, sie hatte ihre Gesichter beinahe schon wieder vergessen.
Big adventure's waiting obviously
Long as we're still here together
We'll be flying happily
And it's somethin' true to pass on down
To generations yet to come
And we'll never stop believing in
The generosity of the friendships we've won
And because the love that I feel
For every single living creature is something that is real
Friendship happens so naturally
Twilight schlug das Buch zu und vergrub ihr Gesicht in ihren Haaren. Alles war doch immer in Ordnung. Alles war gut. Wie hatte es nur so weit kommen können? Wie hatte sie es nur so weit kommen lassen können? Warum… war sie alleine nur so machtlos?
Twilight drängte sich zurück in den sonnendurchfluteten Teil der Ruine und fühlte, was sie nach jedem Besuch durchmachte. Selbsthass und eine Leere, die ihre übliche Apathie noch weit hinter sich ließ. Eine dunkle, schwarze Leere, die jedes Sonnenlicht überstrahlte und ihr nur eine Frage stellte:
Warum lebst du?
Warum? Warum lebe ich? Warum warum warum? Warum lebe ich weiter? Wofür? Warum? Warum atme ich?? Warum gehe ich? Warum schlafe ich? Warum esse ich? Warum bin ich?
Sagt mir… was soll ich nur tun?
Sagt mir… was soll ich nur tun?
Darf ich… nicht endlich gehen?
Das Leben eines Alicorns zu beenden war überraschend schwierig. Selbst dann, wenn das Alicorn es selbst beenden wollte. Twilight hatte es bisher nicht geschafft. Doch wenn sie den Augen ihrer Freundinnen oder eines Drachen und den dann und wann einsetzenden Stimmen hinter ihr, über ihr, unter ihr, in ihr ehrlich gegenüber war, so hatte sie es nie ernsthaft versucht. Sie fürchtete sich. Und das war vielleicht auch der einzige Grund, warum sie noch im Zwielicht stand. Furcht. Feigheit als Letzte ihrer Schwächen. Es kümmerte sie nicht, denn sie wusste, die Augen waren nicht echt. Nicht die Stimmen und nicht die Silhouetten. Sie war ganz allein. Darum würde es auch niemanden kümmern, wie feige sie war. Sie konnte tun, was auch immer sie wollte. Leben war sinnlos. Doch Sterben wohl auch. Beides reizte Twilight nicht. Doch um zu Leben musste sie als Alicorn nichts tun. Also Leben.
Mit schleifenden Beinen trottete das Alicorn Jenseits der zerfallenen Häuser des Ruinenmeers, zurück in ihre Zuflucht und ihr Grab, weg vom sengenden Zwielicht, weg vom schrecklichen Erinnern, hin ins stille Nichts. Sie geriet auf das, was einst eine Hauptstraße war, als sie stockte. Niemals stockte Twilight Sparkle auf ihren Wegen, denn nie war etwas Anders als das Mal zuvor. Diesmal aber gab es da etwas. Vor ihr, nur wenige Meter entfernt, hinter Skeletten und Brocken, stand jemand. Twilight weitete die Augen und hob ihren schweren Kopf, um über den Boden hinwegzusehen. Als sie erkannte wer es war, der sie hier besuchte, stolperte sie einen Schritt zurück und kämpfte damit, das Gleichgewicht zu halten. Hitze und Kälte strömten durch ihren Körper schneller als sie es solange sie zurückdenken konnte getan hatten und ihre Stirn schmerzte ebenso wie ihr rasendes Herz. Twilight war über die Jahre zu versteinert und eingerostet, um wirklich einem emotionalen Ausbruch erliegen zu können - in ihr lebte kaum noch etwas. Doch sie schwitzte und kniff die Augen auf und zu als sie unbeholfen zurück torkelte, und allein das machte ihre Angst. Sie kannte diese Geschehnisse nicht mehr. Neues. Körperliche Reaktionen. Und sie wollte sich diese Person ganz sicherlich nicht einbilden, denn nur das konnte sie sein, eine Einbildung, doch das war zu viel. Sie ertrug solche Aufregung nicht mehr, also legte Twilight ihr Gesicht in den Dreck, kniete sich zu Boden und bedeckte den Kopf mit beiden Hufen in der Hoffnung, das Zwielicht möge ihre Gedanken beiseite brennen - so wie es das immer tat.
Cozy Glow tat ruhige Schritte Richtung Twilight Sparkle. Ihr blassrosanes Fell und ihre hellblauen Locken waren genau wie ihr Schweif im Gegensatz zur desaströsen Twilight weitestgehend erhalten, dünne, beigefarbene Bänder und ein Halstuch hielten ihre Haare zusammen. Weder ihr Horn noch ihre Flügel schienen von den Umständen sonderlich beeinträchtigt, doch auch ihr Körper war abgemagert wie Twilights, die Farbe aus ihren Augen verschwunden. Als Cozy vor der kauernden und zitternden Twilight stand sah sie ausdruckslos auf das herrschende Alicorn hinab, mehrmals schloss sie die Augen und verharrte, bis sie einen tiefen Seufzer von sich gab und mit gelangweilter Stimme ‘Steh auf’ sagte.
Es folgte keine sichtbare Reaktion von Twilight, also wiederholte Cozy Glow sich. Nach einem langen Moment, der abgesehen von Twilights schwerem Atmen ruhig verlief, kniete Cozy sich zu ihr hinab.
“Ich bin echt, Dummkopf. Und jetzt steh auf.” Sie spuckte auf Twilights Krone, langsam lief der Tropfen nach unten und berührte Twilights Stirn. Sie stieß einen jämmerlichen Schrei aus und zuckte zurück wie ein in die Ecke getriebenes Tier. Cozy Glow erhob sich und tat einen weiteren Schritt auf ihre einstige Erzfeindin zu.
“Es ist etwas her, hm?” Der karge Ton des Alicorns glich einem trockenen Flüstern, wobei in einer solchen Umgebung jedes noch so leise Wort klar und deutlich zu vernehmen war. Twilight hob sich mit aller Kraft auf die Beine und blinzelte Cozy Glow zwei, drei Mal an.
“Du bist am Leben…”
“Ja…” Nickte Cozy Glow. Beide Stuten starrten sich an. Twilight wusste nicht, was sie sagen sollte. Es war lange her, seit sie einem anderen Lebewesen begegnet war.
Zumindest glaubte sie das. Nach einigen Augenblicken ließ Cozy den Blick über das Ruinenmeer um sie herum schweifen.
“Du warst nicht die Einzige die dachte, wir wären hier mit allen anderen draufgegangen, als es passierte…”, Cozys leidenschaftsloser Blick nahm eine Spur ihrer alten Hämme an als sie Twilight ansah, “... das Ende des Kreises.”
Twilights Körper hatte sich mittlerweile beruhigt, ihr Herz war in seinen immergleichen Takt zurückgekehrt und ihr Inneres hatte die Tatsachen als nicht übermäßig besonders abgetan. Nichts, das passierte, konnte sie noch aus der Fassung bringen, so schrieb ihre Seele es ihr vor. Doch die bitterste aller Erinnerungen, die tief in ihr versiegelt und im Begriff war, durch Cozy befreit zu werden, schmerzte noch immer spürbar, mehr als das Licht, mehr als die Kälte.
“... Chrysalis, du und Tirek wart schließlich auch hier, als es passierte. Man hat euch nie wieder gesehen, alle dachten…”
“... Dass Prinzessin Cadance uns zusammen mit den Schwestern, Starswirl und halb Canterlot ins Nirwana befördert hat, ja. Aber wir waren vorsichtig, weißt du. Chrysalis und ich waren nicht so dumm wie Tirek, uns gleich ins Gemetzel zu stürzen. Wir sahen unsere Chance und flohen. Und hier sind wir nun…”
“Am Leben als falsches Alicorn.” Hauchte Twilight mit einem Blick, der ein altes Gefühl des Hasses in ihr aufsteigen ließ. Cozys Lächeln erstarb und sie näherte sich Twilight, ebenso viel Schwere in den Augen wie Twilight es aus ihrem Spiegelbild kannte.
“Sollte ich mich dessen schämen? Noch am Leben sein zu können? Ich weiß, du beneidest mich nicht darum.” Sie sah an Twilight herab und senkte die Augenbrauen, verzog aber nicht das Gesicht. Twilight näherte sich ihrer Feindin auf Atemnähe.
“Nein… du solltest dich schämen, einer der Gründe für all das hier zu sein. DU…”
Wallte es in Twilights Kehle hinauf, aber Cozy Glow hob einen Huf und schaffte es, ihr damit das Wort abzuschneiden.
“Hör auf. Nicht ich, oder Tirek, oder Chrysalis oder Discord oder irgendjemand waren am Ende des Kreises schuld. Dass deine liebe Cadance so dermaßen durchgedreht ist kannst du der Zeit vorwerfen, und vielleicht noch der Frage, ob man unsterbliche Wesen wirklich mit solchen zusammenführen sollte, die es nun mal nicht sind.”
Der schneidende Ton von Cozys zweiter Satzhälfte verfehlte seine Wirkung nicht und schmerzte Twilight tief. Ihre Zweifel und Gedanken, ihre Erinnerungen und ihre Reue stimmten Cozy zu. Das pinkfarbene Alicorn drehte sich von Twilight weg und sah ohne bestimmtes Interesse über die weitläufigen Ruinen hin zur Abendsonne.
“Wir waren nicht der Grund, nur das Mittel zum Zweck. Tirek, der als alternder Greis scheinbar unsterblich war und ich, die ich als erstes lebendes Pony ein künstliches Alicorn erschaffen hatte - mich. Es war eigentlich gar nicht so dumm, ihre Karten auf uns zu setzen, das muss ich der Prinzessin lassen. Schade, dass sie am Ende alles hochgejagt hat.”
Cozy wanderte davon, weiter durch die Straßen der Geschichte, und Twilight hatte das unerklärliche Bedürfnis, ihr langsam zu folgen. Gemeinsam schritten sie durch unveränderliches Licht in eine Richtung, die Twilight nicht kannte.
“Als ob ihr widerlichen Verbrecher ihr jemals geholfen hättet.” Fauchte das lavendelfarbene Alicorn mit längst vergangenem Feuer. Sie hatte nicht vergessen, wer Cozy damals noch gewesen war. Cozy drehte sich nicht um, als sie antwortete.
“...’Widerliche Verbrecher’, aha. Die Königin und Mutter, der ihr Volk und Familie geraubt und sie zur Aussätzigen gemacht habt. Und das gestörte Fohlen, das in deiner verblendeten Freundschaftsschule gleich noch verstörtert wurde. Wirklich, Prinzessin der Freundschaft, wir waren Monster.”
Ein altes Gefühl, das Twilight nicht verhindern konnte. Eine sengende Wut, die das verrostete Getriebe ihres eingeschlafenen Körpers wieder rattern ließ. Zähneknirschend trat Twilight auf und nun drehte Cozy sich zu ihr um, einen unberührten, fragenden Blick auf den Augen.
“Wie kannst du nur eure Taten nach all dieser Zeit entschuldigen? Nach allem was passiert ist? Willst du mir etwa sagen, dass ihr drei Unschuldslämmer wart?!”
“Nein”, schüttelte Cozy schulterzuckend den Kopf, “ich will sagen, dass Chrysalis und ich nicht grundlos getan haben, was wir taten. Wir glaubten, wir seien im Recht.”
“Und… und was ist mit Tirek?! Wenn du glaubst er war auch nur ein Opfer, kann ich dir sagen, er-”
“Nein, Tirek war einfach nur böse. Kein Zweifel.”
Ein freudloses Schmunzeln bedeckte Cozy’s Lippen und erreichte auch ihre Sommersprossen, das Alicorn blieb stehen, starrte auf die Überreste des Schlosses über ihnen und sah Twilight dann mit ihren bronzefarbenen Augen an. Weder waren dort Hass, noch Wahnsinn oder falsche Freundlichkeit. Das war nicht die Cozy Glow die Twilight kannte.
“Ich denke, dass wir eine Chance verdient hatten, verstanden zu werden. Das ist alles. Aber ist das nicht etwas, das man als fehlerhafte Existenz von der Prinzessin der Freundschaft und den Elementen der Harmonie erwarten darf? Verdient nicht jeder etwas Verständnis?”
Twilights Brust zog sich zusammen und ihr Mund wurde noch trockener als sonst, sie starrte vor sich in den tristen Kies und starrte zurück in Cozy’s Augen.
“Aber stattdessen”, setzte Cozy an und Twilight wusste was sie sagen würde und sie hätte alles dafür gegeben es nicht hören zu müssen, “...habt ihr uns in Stein verwandelt, mit einem Lächeln. Uns dazu verdammt, für Jahre bewegungsunfähig in absoluter Stille und Isolation zu verharren. Egal wie laut ich geschrien habe, egal wie lange ich gefleht habe, mein Körper blieb steif und meine Welt schwarz.”
Wie ein kaputter Automat ratterte Cozy die Worte emotionslos herunter, die so weit in der Vergangenheit lagen und doch so viel Schmerz beherbergen mussten. Die Prinzessin der Freundschaft wich dem Blick ihres Gegenübers aus und schabte mit dem Huf im Staub. Ihre Mähne verdeckte ihr Gesicht, doch ihre Lippen waren unverkennbar aufeinander gepresst. Natürlich wusste Twilight auch, welche Rolle sie in all dem innehatte. Unveränderlicher Starrsinn und das Beharren auf Prinzipien waren es, welche diese größte aller Tragödien hervorgebracht hatte. In dieser Hinsicht war sie ebenso schuldig wie jeder Andere. Nein, mehr noch, denn sie war zu dieser Zeit nicht versteinert.
Doch eine Stimme in ihrem Hinterkopf ließ nicht zu, dass sie Zugeständnisse machte. Nicht gegenüber ihr.
“Ihr musstet aufgehalten werden. Es war das Richtige. Wir haben das Richtige getan.” wiederholte Twilight, um sich selbst zu versichern, wohlwissend, dass es Zweifel in ihr gab, immer gegeben hatte.
Cozy lief weiter durch die Überreste der Stadt und Twilight folgte ihr, langsam bewegten sie sich weg vom Palast, weg vom Ruinenmeer, hin zu den aus Brachland bestehenden Ebenen jenseits dieser Berge.
“Viele Wege führen zum Richtigen. ‘Zu Freundschaftsmagie gehört mehr als Regenbogenlaser.’, war es nicht so?” Leichtfüßig stieg das künstliche Alicorn auf einen umgestürzten Wachturm, welcher den Weg blockierte, vorbei an zertrümmerten Skeletten in zerfallenen Rüstungen. Ganz oben blieb Cozy stehen und sah auf Twilight herab, die keine Anstalten machte ihr zu folgen. Die Prinzessin versank noch immer im eigenen Schatten statt einen Blickkontakt zu halten.
“Du hättest Verantwortung dafür übernehmen können, dass deine scheiß Schule mich zu dem gemacht hat, was ich letztendlich war. Oder für Chrysalis’ verräterisches Volk. Aber das hätte bedeutet, Fehler eingestehen zu müssen. Etwas, in dem ihr Alicorns allesamt nie gut wart, nicht mal wenn ihr euch gegenseitig an die Gurgel geht. Habe ich unrecht?”
Twilights Huf erstarrte und sie nahm einen tiefen Atemzug, bevor sie Cozy mit müdem Blick in die Augen sah.
“...mhm. Ich gebe es zu… wir… ich… habe Fehler gemacht. Schwere Fehler.”
“Kein Scheiß.” Kommentierte Cozy Glow trocken. Twilight war davon ebenso wenig gerührt wie Cozy von ihrer Lethargie.
“... Warum bist du hier, Cozy? Warum jetzt, nach all der Zeit? Damit ich dich um Vergebung bitte? Was würde das schon bringen…? All das spielt keine Rolle mehr.”
“Sieh dich um.”
Cozy Glow breitete ihre mittlerweile ausgewachsenen Flügel aus und streckte ihre Vorderläufe zur Seite, deutete auf das grassierende Nichts und die omnipotente Abendsonne um sie herum.
“Früher gab es einmal sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wie die Hölle aussieht. Manche Ponies hielten sie für den Tartarus, andere wiederum sahen in ihr eine Erlösung, die meisten aber fürchteten sie als einen Ort der ewigen Qualen. Niemand wusste es, also existierte Unsicherheit. Das ist schon lange vorbei, denn die Hölle ist nun hier. Und ganz plötzlich wurde alles still.”
Auch Twilight blickte ins Zwielicht. Sah den roten Himmel, sah die kargen Wüsten. Nichts davon war ihr neu.
“Ja… aber die einzigen beiden Personen, die daran etwas hätten ändern können, sind nicht mehr. Wir können nichts tun. Und glaube mir, ich habe alles probiert.”
Die Verbitterung unzähliger Stunden, Tage, Wochen, Monate, Jahre kehrte zurück in Twilights Herz, die Mühen und die Hoffnungen, die sich immer weiter ausbreitende Verzweiflung in ihr und jedem anderen Pony Equestrias. Das Leid mit ansehen zu müssen, wie eine wichtige Freundin nach der Anderen von ihrer Seite verschwand. Bis sie ganz alleine war und einfach aufgegeben hatte. Ein Kichern von Cozy. Twilight sah verwundert hinauf. Die vage Andeutung eines Grinsens zog sich über Cozys trockene Lippen, als sie sich mit ihrem linken Huf auf die Stirn tippte.
‘Das ist das Problem mit euch magischen Geschöpfen… ihr verlasst euch so sehr auf eure Superkräfte, dass ihr vergesst euer Gehirn zu benutzen!’
Twilight erinnerte sich sofort an diese Worte, die Cozy Glow damals ihr, Celestia und Luna entgegengespien hatte. Es war einer ihrer wenigen Sätze, der Twilight nie so richtig losgelassen hatte, und der nach dem ‘Ende des Kreises’ nochmal eine ganz neue Bedeutung gewann. Jetzt aber, in dieser Situation, in der nichts mehr geschah und nichts mehr eine Bedeutung hatte, verärgerte er Twilight.
“Was willst du damit sagen, Cozy? Warum bist du hier? Was willst du von mir?!”
Geräuschvoll stieß Cozy wieder vom zerfallenen Turm hinab, nahm ein paar Kiesel mit sich, landete aber sanft vor Twilight, die sie jetzt mit todenem Ernst anstarrte.
“Das, was du auch wollen solltest, Twilight Sparkle - der Hölle endlich entkommen. Das Zwielicht beenden.”
Instinktiv hatte Twilight gewusst, dass Cozy Glow auf solch eine Albernheit zusteuerte, aber sie schüttelte dennoch den Kopf in Unglaube und verengte mahnend ihre Augenbrauen.
“Unmöglich… Sonne und Mond haben sich seit ihrem Tod nicht mehr bewegt, und da sie es mir nicht beibringen konnten...wie ich schon sagte, ich habe alles probiert. Ich hatte genug Zeit dazu. Ich weiß nicht, was du so lange getrieben hast, aber-”
Cozy stieß ihr Horn gegen Twilights und rammte ihre Stirn an die ihre, Wut brannte in ihren bronzenen Augen.
“Ich habe bis vor kurzem alles probiert Twilight, im Gegensatz zu dir, die du schon vor langem aufgehört hast zu leben und nur noch lethargisch vor dich hin verrottest und dich im Selbstmitleid suhlst weil alle deine Freundinnen tot sind, habe ich weitergemacht. Aber alleine geht es nunmal nicht.”
“Aber-”
“Die Hexenglocke, Dummkopf!” Fauchte Cozy und entfernte sich wieder ein Stück von Twilight, um um den Turm herum zu traben. Twilight folgte ihr, das Bild jener unheilvollen Glocke im Kopf, die vor langer Zeit als Waffe gegen sie eingesetzt worden war.
“Die Glocke… die habe ich vergessen… aber sie existiert doch nicht mehr, oder?”
“Natürlich tut sie das. Wie du sicherlich weißt, hat Discord sie damals mit hierher gebracht, um sie gegen die Schwestern und ihr Gefolge einzusetzen und uns zu befreien… hat ja auch funktioniert, nur leider nicht ganz so wie er und Cadance sich das vorgestellt hatten.”
Ja, dachte Twilight zurück. Discord und Cadence hatten die Hexenglocke eingesetzt um Tirek seine Kraft wiederzugeben, sobald sie ihn entsteinert hätten. Sie wusste allerdings nichts davon, dass er sie erfolgreich gegen Celestia oder Luna eingesetzt hätte…
“Hat er etwa…”
“Ja”, Nickte Cozy ohne sich beim Laufen umzudrehen, ”er hat uns befreit, uns unsere Kräfte zurückgegeben und die Hexenglocke gegen die Schwestern eingesetzt, um ihnen einen Teil ihrer Kräfte zu nehmen. Erst danach haben sie sich in Nightmare Moon und Solar Flare verwandelt, Discord und Tirek überwältigt und Cadance so gezwungen, zu Eternal Amore anzuschwellen. Den Rest… tja, den kennst du ja.”
Übelkeit und schreckliche Bilder suchten Twilight unwiderruflich heim, zerplatzende Gebäude und verbrennende Körper, eine rosarote, atomare Explosion, die Schreie unzähliger Fohlen, die entsetzten Blicke ihrer Freundinnen und die Schuld, nicht dort gewesen zu sein… das Alicorn gelangte ins Schwanken und stolperte. Cozy Glow blieb stehen und drehte schließlich um um darauf zu warten, dass Twilight sich gefangen hatte.
“Hah… hah… es… es geht gleich wieder.”
Cozy sah ihr mit ausdrucksloser Geduld dabei zu, wie Twilight die Schrecken der Vergangenheit aussperrte und sich erhob.
“Heißt das… die Glocke existiert noch? Mit Celestia und Lunas magischer Signatur darin?”
Ein kurzes Nicken bestätigte Twilights größte und doch unwahrscheinlichste Hoffnung. Das war es, was es für sie so lange Zeit nicht gegeben hatte. Ein kleiner Funke Hoffnung.
“Ganz recht, Chrysalis und ich hatten sie uns geschnappt und waren weg, bevor das Desaster seinen Höhepunkt erreichte. Eigentlich hatten wir daraufhin die Glocke wieder gegen dich und Equestria einsetzen wollen, aber wir beobachteten die Lage für eine Weile und merkten, dass das kaum noch einen Sinn hatte.”
“Weil Equestria sich schon selbst außer Gefecht setzte...”
“Als nach einigen Jahren alles den Bach runterging, nicht nur hier sondern auch überall sonst auf der Welt, entschieden wir uns, dass wir zuerst dieses Problem lösen müssten, bevor wir an unsere Pläne denken konnten. Tja wie sich herausstellte war das Zwielicht hartnäckiger als gedacht.”
Cozy spuckte vor sich in den Boden und schlug ihre Flügel auf, um den Rest des Berges hinab zu fliegen. Twilight, obgleich widerwillig, folgte ihr und flog das erste Mal seit Ewigkeiten. Unter ihnen zogen karge Sträucher und rege Mengen an Felsformationen vorbei.
“Aber wenn Celestias und Lunas Magie in der Hexenglocke ist… dann müsstet ihr Sonne und Mond doch bewegen können.”
Zumindest waren die magischen Signaturen der Patroninnen für Twilights Wissen der Schlüssel aus dem Zwielicht. Doch noch bevor Cozy etwas sagen konnte wurde ihr klar, dass sie sich wirklich zu sehr auf Magie verließ. Wäre es so einfach hätten sie es längst getan.
“Nein, leider reicht das nicht aus, um den Stillstand zu beenden. Zuerst mal braucht man zwei Alicorns, eines für die Sonne, eines für den Mond. Außerdem… immense Mengen richtig-kanalisierter Macht, da die Hexenglocke nur kleine Bruchteile der Prinzessinnen in sich trägt. Tireks Macht ging mit ihm drauf, meine reicht nicht aus und du… bist nur noch ein Schatten deiner selbst.”
Cozy landete weitab vom Fuße des Ruinenmeers in der Ebene um das Gebirge herum, das einer Wüste glich, hier und da bewegten sich kleinere Tiere zwischen raren Bäumen und Büschen hin und her, in der Ferne war etwas waldähnliches zu erkennen und Hufspuren zeigten, dass vor nicht allzulanger Zeit andere Ponies vorbeigekommen waren - vermutlich Jäger, wie Twilight sich dachte. Sie konnte Cozys Worte nicht verneinen.
“Aber ich bin ein Alicorn.” erwiderte sie mit fester Stimme. Cozy wandte sich ihr zu und nickte, während sie an ihrer erbärmlichen Gestalt hinab sah.
“Aber du bist ein Alicorn.”
“Warum erst jetzt? Warum bist du nicht viel früher zu mir gekommen?”
“Chrysalis widerstrebte es, mit dir zusammenzuarbeiten, und mir, offen gesagt, auch. Von dem was wir so gehört hatten, warst du auch unter den Personen, die unsere weitere Gefangenschaft einer Abwendung des Zwielichts vorzogen, und so blieben wir unter uns, forschten zu zweit, wie man die Glocke nutzen könne.”
Twilight sah mit schweren Schuldgefühlen in der Brust zu Boden. Ja, auch sie hatte Cadance und Discord widersprochen und sich den Prinzessinnen angeschlossen. Verbrecher durfte man nicht befreien, ganz gleich zu welchem Zweck. Es war eine kompromisslose Ansicht blinder Prinzipien. Eine Starrköpfigkeit, die alles gekostet und millionen getötet hatte. Cozy ignorierte Twilights Grübelei und sprach weiter.
“Chrysalis hat die Glocke all diese Zeit studiert, sie kann damit umgehen und die Kräfte darin nach Willen freisetzen. Mond für mich, Sonne für sie. Nach vielen, vielen Jahren fruchtloser Versuche, diese angemessen kontrollieren und die Sonne bewegen zu können, neigt sich auch ihre Zeit auf dieser Welt dem Ende zu. Ich konnte sie also davon überzeugen, dass uns die Zeit davon läuft und wir ein zweites Alicorn benötigen. Es hatte Priorität, nach dir zu suchen und es stand außer Frage, dass das Beenden dieser Hölle wichtiger ist als unsere Differenzen. Aber du genügst nicht.”
“Was brauchen wir noch?” Fragte Twilight ohne Umschweife, nun, da sie ihre Seele wiedergefunden hatte. Cozy Glow blieb stumm und sah Twilight weiter an, bis diese verstand.
“Das könnt ihr nicht im Ernst meinen…”
“Doch selbstverständlich, oder kennst du sonst noch jemanden in dieser toten Welt, der genug Macht hat uns beide auf ein Level mit Celestia und Luna zu heben?”
Darauf wusste Twilight keine Antwort, weil es sie nicht gab. Sie biss sich auf die Unterlippe und schloss die Augen beim Gedanken, ihn nochmal wiederzusehen. Es schien, als wäre die Zeit nun gekommen, sich sämtlichen Schrecken ihrer Vergangenheit zu stellen.
“Ich weiß”, säuselte Cozy im beiläufigen Tonfall, “eure letzte Begegnung war nicht sonderlich schön, das hat man in ganz Equestria mitbekommen, aber wenn es dich tröstet, ich brenne auch nicht darauf. Aber das hier ist wichtiger als unsere Gefühle.”
Sie hatte recht. Das einst so wahnhafte, unberechenbare, bösartige Fohlen hatte recht. Twilight war noch immer die Herrscherin Equestrias. Wenn es eine Chance gab, sei sie auch noch so klein, ihre Heimat… nein, die ganze Welt doch noch einmal aus dem Abgrund zu retten, so musste sie sie ergreifen. Ein dünnes, müdes Lächeln spielte über Twilights brüchige Lippen.
“Du hast recht, Cozy Glow. Du hast dich verändert.”
“Wir alle haben uns verändert, Twilight. Doch nicht alle von uns leben noch. Und nun komm, du weißt ja wohl am besten, wohin du ihn verbannt hast.”
“Ja…” hauchte Twilight und schloss abermals die Augen. Mit einer langen Bewegung drehte sie sich zurück zum Ruinenmeer, sah hinauf in ihr verfallenes Schloss, suchte die Boutique inmitten endloser Felsenmeere, dachte an die Schuppe und das Buch darin. Ein langer, entkräfteter Seufzer entwich Twilights Brust.
Über ihr durch lange, schier endlose Dauer von Hoffnungslosigkeit und Selbstmitleid gezeichnetes Gesicht kroch eine Spur von Farbe, ein Hauch des Lebens.
“Ich gehe dann mal.”
Sie nickte Cozy Glow zu und gemeinsam hoben sie ab, weg vom Ruinenmeer, hinauf ins Zwielicht und hin zum Süden, an den Ort, an dem Twilight seit jenem Tag nicht mehr gewesen war.
Der Ort, an dem die Magie geschah.