Samstag, 18. Januar 2020

Film-Review: Joker (2019) - 'You wouldn't get it.'




Um 2008 herum etwa wurde das Marvel Cinematic Universe ins Leben gerufen, das einen bis heute andauernden Riesenhype um Superhelden & Comicfilme begründete, der ungebrochen die amerikanische Unterhaltungslandschaft dominiert und ein ehemaliges Nischenthema zum beispiellos-erfolgreichen Mainstream emporgehoben hat. Dabei müssen sich vor allem die Marvelfilme immer wieder den Vorwurf gefallen lassen, dass sie seelenloser, weichgespülter und gnadenlos-überladener Comedy-Action-Augenzwinker-Einheitsbrei sind und Film um Film um Film auf die gleiche Art und Weise totgespielt werden. Ja, man fragt sich nicht erst seit gestern -  
Wann ist dieser Superhelden-Filmhype endlich vorüber? Wie viele Avengers müssen wir noch ertragen? Wie viele crazy Comichelden bekommen noch ihre eigene Reihe? Die Antwort ist natürlich: So lange es sich verkauft. Und bei Thor, das tut es.

Bereits vor und nach dem Marvel Cinematic Universe allerdings gab es Ausreißer des grellen Popkornkino-Spektakels, eine vor allem in den letzten Jahren wachsende Gegenbewegung zum immergleichen, kindgerechten Comicschema - Die erwachsenen Filme. Die künstlerischen Beweise, dass Comicverfilmungen und Strumpfhosen-tragende Weltenretter nicht immer selbstironisch, superlustigunlustig und in allen Farben des Regenbogens inszeniert sein müssen. Das beste und sicherlich bekannteste Beispiel hat Christopher Nolan mit seiner Dark Knight-Trilogie abgeliefert - Vorher war Batman ein zwar düsterer, aber im Mainstream genau so wenig wie Spiderman oder Superman ernstgenommener Comicheld. Doch die Dark Knight-Filme mit ihrem qualitativen Höhepunkt im zweiten Teil, auch und vor allem dank Heath Ledger als Joker, begründeten gefühlt ein neues Genre - Den düsteren Comicfilm. Realismus, eine hervorragende Spannungskurve und brutale Kompromisslosigkeit waren offensichtlich möglich. Dieser Trend nahm in jüngerer Vergangenheit spürbar zu und man kommt nicht ohnehin, das als Trotzreaktion gegen den Marvelbrei & Co. zu verstehen. Zum Glück - Denn die Meisten dieser Filme sind wirklich, wirklich gut und zeigen, was im Medium Comicverfilmung für Potential schlummert. So bekamen wir Werke wie Kickass(2010), Birdman(2015), Jessica Jones(2015), Deadpool(2016), Logan(2017), Venom(2018), The Boys(2019), Brightburn(2019), die Unbreakable-Trilogie oder eben auch den neusten Vertreter dieses Trends, Joker. 2019. 

Joker widmet sich dem gleichnamigen Gegenspieler von Batman, der schon immer einer der faszinierendsten und facettenreichsten Antagonisten der Comic-Breitengrade war, sei es in seinem Ursprungsmedium, Serien, Videospielen oder seit Heath Ledger eben Filmen. Der Joker-Film versteht sich keineswegs als Comicfilm, als Superhelden-Abenteuer oder auch nur als typische Orgin-Story. Er basiert lose auf der bekannten Figur, aber das war es dann auch schon. Eine Art alternativess Universum für diesen Charakter wird im Film kreiert, und in diesem Kontext, seine Entstehungsgeschichte, die nicht nach Schema F abläuft. 


So viel sei mal vorweg gesagt: Ich habe Joker leider erst 2020 gesehen. Warum leider? Weil es sonst mein Film 2019 gewesen wäre. Joker ist in meinen Augen, vielleicht noch zusammen mit Christopher Nolans Trilogie, der mit Abstand beste 'Adult'-Comicfilm und möglicherweise auf seine Art auch der hochqualitativste Comicfilm überhaupt. Und Joaquin Phoenix, welcher diesen Streifen fast alleine trägt, hat vollbracht, was doch für alle Ewigkeit unmöglich erschien - Er hat Heath Ledgers(Ruhe in Frieden) phänomenaler und unerreichbarer Darstellung und Charakterisierung des Jokers das Wasser gereicht. Welchen von beiden man mehr mag, ist nur noch Geschmackssache. 

Bei Joker ist es wichtig zu wissen, dass er vor allem kein besonders lauter oder knalliger Comicfilm ist - Vielmehr stellt er ein psychologisches Drama dar. Von den oben genannten Filmen kann man ihn vielleicht noch am besten mit Birdman vergleichen. Wir verfolgen den erfolglosen Comedian Arthur Fleck dabei, wie er in seiner tristen und hoffnungslosen Lebenslage in der Großstadt, ohne Aussicht auf einen Durchbruch, eine Frau an seiner Seite oder die Anerkennung seines Fernseh-Idols Murray Franklin, gespielt von Robert de Niro, mehr und mehr zerbricht und zu extremeren Mitteln greift, um gehört zu werden. 

Man könnte denken, dass ein so ruhiger, nachdenklicher und bedrückender Film wie Joker es ist dazu tendiert, Längen zu haben und sich stellenweise zu ziehen - Das ist mitnichten der Fall. Mal abgesehen davon, dass der Film 'nur' etwa zwei Stunden läuft, beinhalten diese für mein Gefühl keinen einzigen Moment, der nicht spannend oder packend war. Und ich habe den Film mit jemandem gesehen, der nun wirklich überhaupt nichts mit Dramen anfangen kann. Großartig gespielte und verzweigte Dialoge geben sich mit morbide-verstörenden Bildern die Klinke in die Hand, gewollt-unangenehme Szenarien drücken den Zuschauer ebenso in seinen Sessel wie die im Laufe des Films immer weiter abnehmende Geistesklarheit von Arthur Fleck. All das gipfelt im Höhepunkt der Handlung, einer langen Late Night Show-Szene gegen Ende, in der eigentlich nur gesprochen wird, und die doch an Spannung, versteckter Bedeutung und Bedrohlichkeit kaum zu übertreffen ist. Es ist eine Herausforderung, einen Film bei dem mehr in den Köpfen der Charaktere und Zuschauer als in tatsächlicher Aktion besteht nicht langweilig werden zu lassen, aber es ist NOCH eine größere Herausforderung, ihn von der ersten bis zur letzten Minute packend und stellenweise nervenzerreißend zu gestalten. Joker ist das gelungen, und dabei scheut er sich auch nicht, große Wagenladungen morbiden Humors einzubringen - Das liegt wohl in der Natur eines solchen Films. 

Was den Film vor allem ein wenig komplexer macht als die Summe seiner Teile ist die zweite Ebene, die zunächst zögerlich, dann aber immer deutlicher in den Vordergrund gerückt wird und uns als Zuschauern in dem einen oder anderen Twist klar wird - Zeitebenen und Einbildung spielen hier eine wichtige Rolle. Was ist real, und was bildet Arthur sich nur ein, vielleicht aus Wunschdenken? Was passiert wann, und in welcher Reihenfolge? Das muss man nicht mögen und es schmälert das Seherlebnis kaum wenn man sich keine Gedanken darüber macht, aber es bietet Enthusiasten viel Raum zur Intepretation. 

Die eher spärlich eingesetzte, dafür aber umso effektivere Musik untermalt das bedrückende Geschehen angemessen dramatisch. Viel mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Die hochwertigen Bilder, die alles in Gotham City widerlich, neondurchflutet und trostlos aussehen lassen, schaffen eine kafkaeske Atmosphäre, der auch Arthur permanent ausgesetzt ist. 

Betreffend dem Batman-Universum gibt es wie gesagt keine allzu dicke Verbindungsleine, Regisseur Todd Phillips ließ es sich aber nicht nehmen, ein paar essentielle Momente einzubauen, in denen die wichtigsten Charaktere auftreten - Auch Batman. Vor allem gegen Ende wird hier die wohl ikonischste Szene dieser Heldenfigur verarbeitet, und das auf eine wunderbar organische Weise, die es nicht wie ein Gimmick oder Fanservice wirken lassen. Erwähnenswert zuletzt, dass der Film für eine Zeit lang ein so unerwartetes, für Batman-Fans schockierendes Fanfiction-Fass betreffend Jokers Herkunft aufmacht, dass ich wirklich nicht wusste, ob ich die Auflösung dessen am Ende dann gelungen fand oder es mir lieber gewesen wäre, wenn das tatsächlich zugetroffen wäre. In jedem Fall, das war ironischer Zynismus vom feinsten.




Als letzten, alleinstehenden Punkt will ich über das offensichtlich wichtigste und prägende Element dieses Films sprechen, das die Kritiken und Meinungen zu Joker verständlicherweise beherrscht - Joaquin Phoenix. Seit der Scifi-Romanze Her(2013) kenne und schätze ich ihnen als einen der ausdrucksstärksten und künstlerischsten Schauspieler meines Horizonts, aber sein wir ehrlich - Her ist eine Romanze, in der er den introvertierten Theodore spielt. Und dann liefert er so was hier ab. Seine schauspielerische Leistung ist meisterhaft. Der absolute Wahnsinn. Wie er hier von Anfang bis Ende einen realistischen und deswegen so unangenehmen, sich entwickelnden Wahnsinn herunterspielt, oft mit wenigen Worten und Nuancen, einer ganz eigenen Joker-Lache mit intelligenter Erklärung, ist aller Ehren wert und ein klarer Gegenentwurf zu Heath Ledger, der sich für seine Rolle als Joker in psychische Tiefen und ein belastendes Method Acting steigerte, um letztendlich eine geradezu an eine Karikatur grenzende Figur abzuliefern, die von übersteigertem Größenwahn durchflutet und fernab jeder Norm stand. Aber auch Joaquin Phoenix hat sich auf seine Rolle eingehend vorbereitet - 24 Kilo hat er für die Rolle verloren, und das sieht man im Film an seinen hervorstechenden Rippen. War er in Her noch ein gutaussehender Mann mittleren Alters, wirkt er hier als Arthur Fleck wie ein lebender Toter. Und das ist er im weiteren Sinne ja auch. Er schafft es, Verzweiflung, Traurigkeit, Wut und auch degenerierte Freude förmlich greifbar dazustellen. 

Die wenigen aber äußerst sinnvoll eingesetzten Gewaltausbrüche im Film sind spürbar. Man fühlt sie. Weil sie nicht im blutigen Exzess untergehen, sondern für sich stehen. Das war so intendiert, wie Joaquin Phoenix in einem Interview mitteilte. Und das funktioniert. Die erwähnte Climax-Szene am Ende baut neben Robert de Niros Acting komplett auf Joaquim Phoenix' Dialogstärke und seiner aussagekräftigen Mimik auf, und weil diese so überzeugen, wissen wir als Zuschauer, dass die Situation angespannter nicht sein könnte. Die Kacke ist am Dampfen, und das während schlechte Witze erzählt werden. Es passiert so wenig, und doch so viel. Ein ikonischer Antagonist wird geboren, und man erkennt ihn wieder.



Vergessen wir auch nicht das neue, ebenso ikonische Joker-Outfit, das dieser Film sich ausgedacht hat und dass das seit zehn Jahren anhaltende, mittlerweile etwas ausgefranste Heath Ledger-Kostüm für tausende Cosplayer vielleicht endlich zumindest ein Stück weit ablösen wird - Rot ist das neue Violett. Weniger ist manchmal mehr, nicht? Das könnte so auch unter dem Filmplakat stehen - Weniger ist mehr. 





Was genau ist Joker? Für manche Zuschauer ist es ein bedrückendes Drama. Für andere ist es ein unheimlich gelungener Comicfilm der bitteren Art. Für wiederum andere ist es ein psychologischer Thriller. Und für Arthur Fleck, für den ist es eine Komödie. 

















Comedy ist subjektiv.






















9/11 Klopf Klopf-Witze für Joker








- Yoraiko




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