Samstag, 30. November 2019

Anime-Review: Kokkoku - Zeitstopp



Zeit. Sie ist in der Popkultur Amerikas wie auch Japans seit vielen Jahren ein so überbehandeltes Thema, dass es schwer fällt, aus ihr überhaupt noch Innovationen herauszuholen - Zeitreise, Zeitschleife, Butterfly-Effekt, hatten wir alles schon noch und nöcher. Der Anfang 2018 erschienene und in 12 Episoden abgeschlossene Anime Kokkoku besticht allerdings dadurch, dass er nicht nur sehr bodenständig und übersichtlich ist, sondern dem Zeitmanipulationsthema eine zentrale Plotrolle einräumt, die dennoch gar nicht unbedingt so wichtig ist. Die der Geschichte zugrunde liegende Idee aber ist sicher nicht schlecht und sorgt dafür, dass dieser äußerst ruhige Anime zu einer definitiv bemerkenswerten Seherfahrung wird.

Die Story
Juri Yukawa ist eine gewöhnliche junge Frau mit einem ungewöhnlich beschissenem Tag: 19 gescheiterte Bewerbungen in Folge zerstören ihre Hoffnung, endlich aus ihrem nervenaufreibenden Elternhaus zu entkommen, dass sich mit Charakteren wie ihrem arbeits-, und antriebslosen Vater, ihrem NEET-Bruder und ihrem exzentrischen Großvater als Krisenherd versteht. Der Einzige in der Familie bei dem Juri noch Hoffnung sieht ist ihr kleiner Neffe Makoto - Ein aufgeweckter Junge, der bald von einer dubiosen Organisation entführt werden wird. Ihr Großvater wird ihr und ihrem Vater ein altes Familiengeheimnis offenbaren - Dass sie in der Lage sind, die Zeit anzuhalten und sich als einzige Personen in der stillstehenden Welt der 'Stasis' zu bewegen... nun ja, als Einzige außer besagter Organisation, deren Ziele zunächst unklar erscheinen. 

Kokkokus Geschichte ist Fluch und Segen  - Während die handlungsgebende Idee, Welt und Umsetzung der Stasis als angehaltene Dimension in der nichts lebt und sich nichts bewegt, inklusive Wasser, Toiletten, Snackautomaten oder geworfener Gegenstände, wirklich erfrischend kreativ und doch so simpel ist, gestaltet sich die Handlung eher träge. Definitiv wird mit der Stasis eine menge interessanter Sachen angestellt und man merkt, dass die Schreiber viel Wert darauf gelegt haben, das Konzept auszuloten, wenn etwa immer wieder zu sehen ist, dass Charaktere statisches Wasser aus einer Flasche als Block herunterschlucken müssen weil es eben still steht oder sie Sachen werfen können, welche dann einfach in der Luft hängen bleiben. Aber wie ich sagte macht die Handlung daraus am Anfang nicht viel.

Das Pacing der ersten sechs Episoden ist gemächlich, um es mal nett auszudrücken. Die Stasis als durchaus normale und bekannte Umgebung, die aber in einem ewigen Abend gefangen ist, macht als Kulisse zunächst wenig her, man gewöhnt sich aber im Laufe der Serie an die eigenartige Welt mit ihren eigenen Regeln. Unsere Charaktere durchlaufen ihre Nachbarschaft in dieser Umgebung immer wieder, jagen die Mitglieder der Genuine Love Society, wie die Entführersekte sich nennt, liefern sich kleine Außeinandersetzungen mit diesen, erfahren mehr über die Stasis und die sogenannten 'Heralde', mächtige mystische Wesen, die alle Personen töten, die versuchen einem angehaltenen Menschen zu schaden. Und während das alles sehr interessant ist und solide unterhält, hat man irgendwann auch mal genug trockene Theorie gehört und sich an japanischen Vorstadthäusern in der Abendsonne satt gesehen - Der Schauplatz von Kokkoku ist beinahe 12 Episoden lang der Selbe. Große Actionsequenzen gibt es in den ersten 6 Episoden so gut wie keine. Der Hauptreiz in Sachen Spannung entsteht dadurch, dass Juri und ihr Großvater bald herausfinden, dass sie die Fähigkeit besitzt, andere Personen mit einer Berührung aus der Stasis zu werfen - Und somit zu einer ernstzunehmenden Bedrohung für die gewaltbereite Genuine Love Society avanciert. 

Während ich also bereits mehrmals mit dem Gedanken gespielt habe, den Anime abzubrechen, zieht die zweite Hälfte enorm an, geht etwas weg von seinem semi-realistischen Setting und wird mehr Fantasy, wird Drama, wird (auch) Action. Es gibt interessante Charakterentwicklungen und spannende Konflikte, Kokkoku wird im späteren Verlauf also durchaus 'verdaulicher'. 

Das Ende beziehungsweise der Weg dorthin ist für mich das Glanzstück des Anime. Ohne zu viel verraten zu wollen hat man das darin präsentierte Konzept schon in der einen oder anderen Form mal gesehen, es ist aber immer wieder interessant,wie es neuinterpretiert wird - Und so wie bei Kokkoku ist es selten passiert. Man fährt emotionale, psychologische und moralische Tiefe auf, schließt die Geschichte dankenswerterweise ohne irgendwelche Cliffhanger rund ab und lässt dennoch Raum für eigene Gedanken zu. Mit seinen letzten vier Episoden stimmte Kokkoku mich sehr versöhnlich!

Die Charaktere
Offen hesagt gibt es in den ersten Episoden nicht wirklich jemanden, der sonderlich heraussticht oder fürden man sich investieren könnte - Juri's Familie besteht wie sie selbst es weiß aus gescheiterten Existenzen und antriebslosen Taugenichtsten, die gesichtslosen Handlanger der Sekte hingegen haben in etwa so viel Charisma wie ein zeitgestoppter Piss-Strahl. Herausstechend sind höchstens Juri und ihr Gegenstück auf Antagonistenseite, Shouko Majima, die für die Sekte arbeitet um eigene Ziele zu erreichen. Während man also ohne bestimmte Identifikationsfigur zusieht, wie die Ereignisse von statten gehen, dümpeln die Charaktere so vor sich hin. Ab Episode 6 jedoch gibt es durchaus Entwicklungen bei vielen der aktiven Personen, manche werde sympathischer, manche wechseln die Seiten, dieser und jener wird genauer beleuchtet oder trifft eine schwere Entscheidung. 

Gerade gegen Ende wird die Entwicklung von Protagonisten und Antagonisten ungeahnt vielschichtig und während nicht alles davon nur gut ist, musste ich persönlich einräumen, dass Kokkokus Charaktercast am Ende doch einen Eindruck hinterlassen hat, zumindest die wichtigsten Personen. Auf Klischees verzichtet man.

Optik
Der Zeichenstil ist genau wie der Rest vom Anime maximal-unspektakulär und solide gehalten, nichts was im Gedächtnise bleibt aber auch keine Beleidigung fürs Auge. Die wenigen Effekte sehen ordentlich aus, erst später gibt es mit Juri's Rausschmiss-Fähigkeit oder grotesken Körperveränderungen aufwendigere Szenen, die dann auch gut funktionieren und hübsch anzusehen sind. Dadurch, dass die Stasis ein japanisches Stadtviertel in der Abendsonne einfriert, wird man der Umgebung und der gelborangebraunen Lichtstimmung leider sehr schnell überdrüssig, das ändert sich bis zum Schluss auch nicht.

Dennoch, gerade die visuellen Anomalien der Stasis wie die in der Luft gefrorenen Gegenstände oder die eindrucksvollen Heralde, sorgen dafür, dass wir hier nicht nur Häuser und umherlaufende Leute zu sehen bekommen. 

Soundtrack
Zum Soundtrack selbst kann ich nicht viel sagen, weil er so unglaublich beliebig, unaufdringlich und austauschbar ist, dass da nichts hängen blieb - Das meine ich nicht unbedingt negativ, denn er ist mir nie störend aufgefallen, nur werdet ihr Kokkoku vermutlich nicht für die Musik mögen lernen.

Erwähnenswert ist das Opening 'Flashback', welches ein ganz typiscger Fall von 'Beim ersten Mal anhören grauenhaft, beim fünften Mal anhören ein Ohrwurm' ist. Ich fand es zunächst wirklich furchtbar, es wächst jedoch mit der Handlung, beinhaltet wirklich gutes Foreshadowing und hat einen flippigen Style und einen coolen Refrain. Das Ending kann man leider wie so oft vergessen, der Gesang ist in meinen Ohren nicht nur unmelodisch und antiklimatisch gewesen, die Lyrics sind auch beschämend bescheuert. 

Fazit
 Ich habe Kokkoku immer auf dem Weg zur Arbeit in der Straßenbahn gesehen und für diesen Zweck war der Anime auch in Ordnung. Ich glaube, hätte ich mir Zuhause die Zeit dafür genommen, hätte ich bei den sperrigen ersten Episoden und der immergleichen Umgebung ohne große Entwicklungen vielleicht die Lust verloren. Die Zeitmanipulations-Thematik bekommt hier tatsächlich einen neuen Dreh auf eine Weise, die nach all den Behandlungen nochmal ganz spannend ist, die Charaktere sind aber allesamt nichts Besonderes. Letztendlich will und wollte Kokkoku wie ich vermute nie mit den großen Animegiganten konkurrieren, stattdessen ist es eine kleine, ruhige Timethriller-Serie mit entspanntem Pacing und guter Entwicklung in der zweiten Hälfte. Muss man nicht gesehen haben, da verpasst man nicht viel. Es tut aber auch wirklich nicht weh, sich die 12 zwanzigminütigen Episoden einzuverleiben. Nicht mal in einer sich bewegenden Welt.


5/10 Flashbacks für Kokkoku


- Yoraiko




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