Montag, 8. Juli 2019

Film-Review - Climax (2018)



 Hier gibt es von mir ein etwas älteres Review zu dem Film Climax, das seinerzeit für ein Forum entstanden ist. Es enthält Spoiler, seit euch dessen bitte bewusst. Falls ihr nur wissen möchtet, ob ihr Climax gucken sollt: Ja. Wenn ihr volljährig seid, einen festen Magen habt, eine Toleranz für hochgradig verstörende, anstrengende und explizite Stoffe habt und einen Filmrausch erleben wollt den ihr so schnell nicht wieder bekommt. Ganz unten ist von mir noch eine aktualisierte Meinung zum Film. Viel Spaß.

Climax ist einer der am schwierigsten zu bewertenden Filme meiner jüngeren Cinografie, und darum hatte ich das Bedürfnis etwas darüber zu schreiben. Da ich meine Gedanken dazu möglichst ungefiltert in den Spoiler packen möchte, sage ich noch Folgendes: Falls in diesem kleinen, spezifizierten Filmforum jemand, der Interesse an Noés Filmen hat Climax aus irgendeinem Grund doch noch nicht gesehen hat, sollte er das tun, wenn er harte, fordernde und rauschartige Erfahrungen verträgt. Am besten auf einem möglichst großen Bildschirm und mit lauten, dröhnenden Boxen, falls er nicht mehr im Kino läuft. Damit komme ich zum spoilerhaltigen Teil. 

Climax ist ein cineastischer Rausch der obersten Güteklasse, eine außer Kontrolle geratene Adrenalinpumpe die mit der brillanten und spektakulären One Take-Tanzszene am Anfang beginnt, welche die wahrscheinlich beste Tanzszene aller Zeiten ist, mit ebenso beeindruckenden Tanzduellen weitergeht, und dann von jetzt auf gleich im Chaos und Wahnsinn versinkt. Dass Noé hierbei die Credits nichts ans Ende, sondern an Anfang und Mitte gepackt hat, ist auch ein brillanter Zug, denn der Zuschauer bekommt am Ende keine Ruhe, um das Gesehene zu verarbeiten, sondern ist sofort wieder allein mit seinen Gedanken. Die Musik im Film holt einen herein und fesselt einen wie eine Droge(Haha!) und man kommt eigentlich nicht umhin, von Anfang an mitzuwippen.
Was Noé in der zweiten Hälfte seines Films zeigt ist fraglos außergewöhnlich, bedrückend, beeindruckend, cineastisch hochwertig und moralisch in allen Aspekten bestenfalls fragwürdig. Die musikalische Untermalung fängt scheinbar jeden Moment und jeden Schrecken perfekt ein. Die schauspielerische Leistung dieser Tänzer und Laiendarsteller sucht mitunter ihresgleichen. Ich wünschte, ich hätte Climax im Kino gesehen. Dieser Film ist ein Erlebnis, eine morbide und ekstatische Momentaufnahme. Der Anfang mit der Frau im Schnee ist filmisch und musikalisch genug, um sofort ein maximales Unwohlsein beim Zuschauer auszulösen.


Nach all dem wäre es einfach zu sagen, dass Climax mich ganz und gar weggeblasen hat und dem Film eine 8-10 Wertung zu geben. Viele Kritiker und Reviewer haben das so gehändelt. Bei Filmen wie Mother!, Das Experiment, Neon Demon, Requiem for a Dream, The Divide oder Martyrs habe ich es so gemacht, das Filmische gar nicht so sehr beachtet sondern einfach gewürdigt wie beispiellos mitgenommen ich nach dem Sehen war und welche Sogwirkung die Filme hatten. Topwertung. Bei Climax hatte ich diesmal aber das Gefühl, ich müsse etwas von der Begeisterung weggehen und den Film mehr aus filmischer und handwerklicher Sicht betrachten. Und damit komme ich, auch mit einer Woche Abstand, noch immer vor allem zu dem Schluss, dass von Climax nichts hängen bleibt und der Film eine konsistenzlose Crazyness-Rauschkunsterfahrung ist. So beeindruckend die Bilder und der Soundtrack auch sind, was genau erzählt Climax mir? Was will er mir nahebringen, was will er vermitteln? Was leistet Climax als Film, nicht als Kunstwerk? Und ist das wirklich ein Kunstwerk? Ist Climax Kunst, nur weil Gaspar Noé 60 Minuten lang elektronische Musik abfeuert, seine Charaktere in einem zugegebenermaßen schockierenden LSDRausch in die eigene Hölle stürzen lässt und ab und zu die Kamera verkehrtherum hält? Ich habe da meine Zweifel. Wenn ich den Rausch, den der Film bis zum Schluss konsequent auserzählt wegnehme, was bleibt dann vom Film übrig? Nichts. Wir haben keinen wirklichen Hauptcharakter und darüber hinaus anders als in vielen ähnlichen Filmen wie die oben erwähnten absolut keinen Charakter zur Identifikation. Einfach ausnahmslos jeder dreht vollkommen ab, was an sich schon unglaubwürdig ist. Das kann funktionieren, hat es aber bei Climax für mein Empfinden nicht. Eine Handlung ist quasi nonexistent, einen Spannungsbogen oder eine Fallhöhe für den Zuschauer sucht man vergebens.


Wenn ich mir schreckliche Filme mit einer irreversiblen Eskalation angesehen habe, denke ich meistens noch Wochen darüber nach, wie es so weit kommen konnte, wie der Anfang und das Ende des Films sich voneinander unterscheiden, und wie man innerhalb der Narrative des Films diesen Ausgang hätte verhindern können. Bei Climax habe ich das nicht, weil es keine Ausgangssituation gab, mir alle Charaktere egal sind und ich eh nur Zeuge eines Farbrausches bin. Aber selbst, wenn ich vom handwerklichen Filmstandpunkt weggehen und alles auf den emotionalen Effekt fokusieren würde, macht Climax nicht nur Punkte, denn die fortschreitende Eskalation und der Wahnsinn werden repititiv, wiederholen sich zu lange, werden obsolet und stumpf. Spätestens ab dem ersten drittel der Roten Saalszene saß ich nur noch auf meine Hand gestützt apathisch davor und hab darauf gewartet, dass Noé fertig wird. Der Rauscheffekt hat mich verlassen, und das ist für einen solchen Film ein Totschlagkriteritum.


Hinzu kommt die in allen Lagen des Filmes liegenden Unglaubwürdigkeiten, die man meist in dieser Art Film ignorieren kann, die mir hier aber im Zusammenhang mit Shock Value sauer aufgestoßen sind. Warum hat anscheinend niemand ein Handy und ruft Hilfe? Warum verlässt niemand das Gebäude und flieht? Warum findet die Eskalation des LSDs binnen weniger Minuten statt, von jetzt auf gleich? Vom Moment an als sie merken, dass LSD in der Bowle ist und sie den ersten Tänzer mobblynchen und rausschmeißen vergehen wenn ich mich recht erinnere keine drei Minuten. Das Schlimmste aber waren die Schwangere und das Kind. Als Erstere sich wiederholt in den Bauch geboxt hat, habe ich geistig abgeschalten, weil das hanebüchener Kokolores war, der genau wie die gesamte Rolle des Kindes nur da war, um ein paar Schocker mehr verbaut zu haben. Außerdem haben mich die 20 Minuten (?) der Gespräche und Dialoge vor der Eskalation sehr gestört und herausgerissen, eine Charakterisierung hat hier kaum funktioniert und so hätte man sich das auch sparen können.


Gaspar Noé ruht sich, um es auf den Punkt zu bringen, leider zu sehr auf seiner Schreckensspirale aus. Sonst ist da nicht viel. Aber ist das schlecht? Climax ist filmisches Fast Food auf dem allerhöchsten Niveau, kein leicht verdauliches Fast Food wie Blockbusterfilme, sondern ein extravagantes, köstliches Makronenküchlein, aber das hat man eben auch schnell gegessen, der Geschmack ist weg und was bleibt davon übrig? Was hat Climax objektiv an Wertigkeit, an filmischer Konsistenz? Nicht viel, leider. Der Film ist mir stellenweise zu billig, und das, was er macht, können andere auch, nur sind die nicht so leer dabei. Das ist nicht, was ich von Gaspar Noé erwarte, und auch wenn ich von Climax über weite Strecken fantastisch und magenumdrehend unterhalten wurde, es kaum abwarten kann den Film mit jedem zu sehen den ich kenne und wirklich, wirklich die emotionale und audiovisuelle Wirkung schätze, kann ich dem Film nicht mehr als eine 7/10 geben, was mein Pendant zu 'Gut' wäre. Direkt nach dem Schauen hätte er eine knappe 9/10 bekommen, aber jetzt mit Abstand ist das für mich die richtigere Wertung, denn ein Film muss mehr können als bunt sein und schockieren. Oder zumindest in diesen Kategorien makellos brillieren, so dass man gar keine Zeit hat nachzudenken. 


Ein mehr als sehenswerter Film, ein Film den ich noch oft sehen werde, aber viel hängen bleibt nicht.


Das war mein Eindruck kurz nach dem ersten Sehen. Ich muss ihn insofern revidieren bzw. ergänzen, dass ich Climax jetzt doch deutlich mehr noch als rauschartiges Kunstwerk akzeptiere. Wie gesagt, die Tanzszenen sind für mein Empfinden die beeindruckendsten, die in der Geschichte des Fernsehens gedreht wurden, der Einsatz von Musik und Farben ist genial. Ich muss Kritikpunkte zurückziehen wie etwa das LSD, das zu schnell wirkt - Zwischen dem Trinken der gedopten Sangria und dem Einsetzen vergeht eine längere Zeit, in der die Personen miteinander sprechen und ihre Tanzduelle absolvieren. Außerdem empfinde ich die langen Gespräche vor der Eskalation nach vier Mal sehen nicht mehr als störend, weil man bereits hier merkt, wie die Droge einsetzt. Mein Eindruck von Climax ist mittlerweile viel besser, und es macht immer wieder Spaß, den Film zu sehen. Daher ist die Bewertung anders.



8/10 Tänze für Climax


- Yoraiko 






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