Sonntag, 1. September 2019

Durchgelesen - Naokos Lächeln

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Haruki Murakami ist durchaus ein Autor mit namhaftem Ruf - Hinter den ganz großen Sternchen der Literaturwelt steht er in der zweiten Reihe und seit längerem im dringenden Verdacht, alltägliche Dramen und emotionale Anekdoten unseres Lebens in allgemeingültige Geschichten zu verwandeln und diese nüchtern wiederzugeben. Preisgekrönt, in 40 Sprachen übersetzt, als Kult gefeiert. Und zu den meistgelesensten Titeln seiner Schreibfeder zählt Naokos Lächeln. Der unscheinbare Titel steht gut für ein Buch, das nicht auffällig sein will, das nicht reißerisch oder mit übertriebener Spannung locken will, sondern sich etwas weiter hinten in der Buchhandlung, zwischen den Reiseführern und den Biografien, eigentlich ganz wohl fühlt. Nur eine Liebesgeschichte, wie das Cover sagt. Aber ist es auch eine Gute?

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass mir Murakami kein Begriff war, ehe dieses explizite Buch mir in einer Buchbesprechung auf Youtube empfohlen wurde, von einem begeisterten Leser vorgestellt und beschrieben beschloss ich, dem Autor eine Chance zu geben, nicht zuletzt, ich gebe es ja zu, wegen dem japanischen Kontext.

Dabei ist dieser doch so bedeutungslos in Naokos Lächeln - Die Geschichte könnte auch in Schweden, Australien oder Ägypten spielen. Es geht um Toru, der uns als 37 Jähriger von seiner Zeit als Jugendlicher berichtet, und wie zwei Mädchen sein weiteres Leben beeinflusst haben. Da wäre einmal seine Kindheitsfreundin Naoko, deren gemeinsamer Freund Kizuki unvermittelt Selbstmord begeht, woraufhin sich beide verlieren, später wiederfinden, ihre Trauer verarbeiten und sich langsam näher kommen. Und da Wäre Midori, ein gewöhnliches, vor Tatendrang nur so überkochendes Mädchen, das im Gegensatz zu Naoko in der Lage ist, das Leben als etwas Schönes zu betrachten.

Ich erwähnte etwas von einer nüchternen Erzählweise, und genau diese dominiert das Buch und seine Geschichte. Es geht zentral um die Themen Selbstmord, Beziehungen, den Sinn unseres Lebens, Trauerbewältigung und jugendliche Romantik, und was uns andere Menschen eigentlich genau bedeuten. Wir erleben alles durch Torus Wahrnehmung, der das Verhalten anderer Menschen und die Geschehnisse um sich herum extrem steril und unaufgeregt wiedergibt, was leider über weite Strecken des Buches für mich dazu führte, dass eine wirkliche emotionale Verbindung mit ihm ausblieb, und Naokos Lächeln stellenweise, Verzeihung, langweilig wirkt. Naoko hingegen ist gerade zu Anfang durchaus ein faszinierender Charakter, denn man versteht sie ebenso wie Toru nicht - Naoko kann weder den Selbstmord ihres geliebten Freundes Kizuki, noch den ihrer großen Schwester verarbeiten, weswegen sich ihr ganzes Wesen in Depressionen, einer tiefgreifenden Melancholie und einem spürbaren Nihilismus wiederfindet. Dennoch kommt Toru ihr nach und nach näher, während die beiden sich unleidenschaftlich über dieses und jenes unterhalten, und versucht sie zu verstehen. Auch da bleibt für mich allerdings bedauerlicherweise jede wirklich nennenswerte Entwicklung, und eine gewisse Tiefe einfach aus. Abgesehen davon, dass Naoko ein tragischer, gebrochener Charakter ist, der uns wie dem Protagonisten bis zum Schluss ein Mysterium ist, hat Murakami über Naoko nicht viel zu sagen. Und im letzten Teil des Buches, als Naoko endlich so ganz langsam anfing, in mein Leserherz zu kriechen, und meine Sympathie zu gewinnen, nun, da bringt sie sich um. Eine Handlung, die man natürlich das ganze Buch über erwartet, und die dann doch unvermitelt, kontextlos, und auch ein wenig... platt passiert. Es folgt wenig, es wird wenig beleuchtet.

Die andere große Rolle spielt wie bereits gesagt Midori, die den großen Gegen-Entwurf zu Naoko bildet, mit geradezu offensiv offenherzigem Wesen. Letztendlich bildet sich zwischen Toru, Midori und Naoko eine Dreiecksbezehung, in der er sich zwischen beiden Mädchen, und somit zwischen zwei vollkommen verschiedenen Leben entscheiden muss - Lebenslust oder Nihilismus? Hoffnung oder Melancholie? Dabei ist Midori für mich im Buch ein Lichtblick gewesen, weil sie das einzige Element in Naokos Lächeln ist, das über das Geschriebene hinaus einen Unterhaltungswert besitzt. So äußert sie gegenüber Toru ganz beiläufig die Frage, ob dieser denn zu ihr masturbiere, und dass sie ihn gerne mal dabei beobachten würde. Bei der Wahl ihres Paarungsortes ist Midori nicht sehr zugeschnürt, und sie macht keinen Hehl daraus, dass sie Sex mehr als nur genießt. Abgesehen von ihrer fehlenden Diskretion und erfrischenden Besonderheit bemüht sie sich enorm um den in einer ganz eigenen Depression und angesichts Naokos Unzugänglichkeit zunehmenden Unsicherheit versinkenden Toru, noch bis zuletzt, und ist damit abermals das Gegenteil von Naoko, die von Toru gestützt wird, und diesen oft gar nicht auf Augenhöhe wahrzunehmen scheint.

Als Leser war ich, und das sage ich als jemand, der sich oft und lange mit tiefsten Depressionen außeinandersetzen musste, irgendwann angestrengt von Naoko, deren Monologe und Weltansichten allen voran prätentiös wirkten, was sich durchaus durch das Buch zieht und ich Haruki Murakami somit zumindest für dieses Werk attestieren würde. Dennoch konnte ich mich mit ihrer Art zu denken, ihrer Unfähigkeit, noch etwas Schönes am Leben zu sehen und ihrer Eloquenz mehr identifizieren als mit der fröhlichen Midori, was sich mit fortschreitender Handlung interessanterweise aber zunehmend änderte.

Das Ende des Buches ist sehr offen, sehr abrupt, lässt einen gewissen Interpretationsspielraum, ist mehr noch als das aber auch schlichtweg unbefriedigend. Naokos Lächeln beginnt mit einem alten Toru, der sich erinnert, schließt diesen Kreis aber nicht, sondern endet im Nichts. Man hat nicht das Gefühl, auf den vergangenen 400 Seiten wirklich schlauer geworden zu sein, unterhaltsam war es auch nicht, und eine wirklich tiefe Erkenntnis oder etwas, das länger als eine Woche im Kopf bleibt, hat man auch nicht mitgenommen. Die einzige, konkrete Szene, an die ich mich noch erinnere, ist das zitierte Gespräch mit Midori. Ob das nun etwas über mich oder über das Buch aussagt, sei mal dahingestellt. Somit musste ich für mich sehr ernüchtert feststellen, dass Naokos Lächeln mehr Schein als Sein war, eine große Menge Ideen und Gedanken, die sich nicht so recht verbinden wollten, und unheimlich viele Dialoge, die ich als prätentiös wahrgenommen habe, weil sie tiefere Denkanstöße vorgaukeln wollten, diese aber nicht wirklich vorhanden waren. Da es sich außerdem um eines der besten Bücher von Murakami handeln soll, entschied ich mich, dass es auch mein Einziges von ihm bleiben wird. 

Ich kann das Buch nicht wirklich empfehlen, aber wenn ihr ein durchaus seltsam/besonders geschriebenes, sehr nüchternes und un-emotionales Jugend-Drama um Depression und die Entscheidungen im Leben, den Umgang mit Trauer und Romantik lesen wollt, nehmt Naokos Lächeln vielleicht doch mal für fünf Euro mit.  



4/10 Billardkugeln für Naokos Lächeln

- Yoraiko

 

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