Donnerstag, 20. August 2020

Buch-Rezension: TONY & SUSAN (1993) - The movie was better than the book

 

 

 

1993 veröffentlichte der mittlerweile leider an Krebs verstorbene Autor Austin Wright das Buch 'Tony & Susan', welches allerdings wie auch seine anderen Bücher keinen nennenswerten Erfolg verbuchen konnte. Es ist eine Ironie, dass Wright dieses Schicksal bis zu seinem Tod 2003 mit dem Protagoniste von 'Tony & Susan' teilte, welcher ebenfalls mit dem Autorentum kämpft. Doch handelt das Buch davon, wie dieser Kampf offensichtlich mit dem fiktiven Roman 'Nocturnal Animals' siegreich endet, hatte auch die Realität zumindest ein kleines Nachruf-Trospflaster für den verstorbenen Austin Wright parat - 2016 wurde auf Grundlage des Buches von Regisseur Tom Ford ein Drehbuch erstellt und der Nischenfilm 'Nocturnal Animals' kam in die Kinos. Nische wohl, aber eine ausgesprochene Vollendung zwischen Meisterstreich und Kunstwerk war Nocturnal Animals dennoch. Und so verhalf es auch dem Originalbuch zu einer Neuauflage und der lange überfälligen, breiten Beachtung.

 

Auch ich sah den Film 2016 bei seiner Premiere im Kino und kam nun, vier Jahre später, endlich dazu, das zugrundeliegende Buch mit dem wenig klangvollen Titen 'Tony & Susan' zu lesen. Es gäbe viel über den Film zu sagen, viele Vergleiche zu ziehen, aber 'Nocturnal Animals' bekommt ein eigenes Review. Es wäre vollkommen unfair, das Buch systematisch mit der Verfilmung zu vergleichen und daran zu messen, dafür unterscheiden sich beide Veröffentlichungen zu sehr. Ich werde mich also hier auf das Buch konzentrieren, auch wenn ich stellenweise Parallelen zum Film ziehe.


Ein Vorabkommentar zur Beziehung Buch und Film: 

Meines Erachtens nach ist der Film die in jeder Hinsicht gelungenere Veröffentlichung, und kratzt für viele, einschließlich mir, nicht zu unrecht am Titel des 'Nischen-Meisterwerkes'. Muss man wählen, ob man Film oder Buch nimmt, sollte man sich in meinen Augen für Ersteres entscheiden. Das Buch erreicht selten die künstlerische und emotionale Gewalt des Filmes, bietet dafür aber eine literarische Stärke, die der Verfilmung medienbedingt abgeht. 

Hätte ich 'Nocturnal Animals' nicht gekannt, wäre 'Tony & Susan' für mich ein sehr guter, intelligenter und hochwertiger Thriller mit doppeltem Boden. So ist er die schmucklose und verworrenere, dafür aber deutlich komplexere und bildendere Version eines wundervollen Films. 



Der doppelte Boden


Susan Morrow ist verheiratet und fest in einem Leben verankert, das ihr falsch, einengend und bedrückend erscheint. Eines Tages erhält sie von ihrem lange-verschollenen Ex-Mann Edward Sheffield, der immer schon Autor werden wollte, das Script seines ersten Buches, 'Nocturrnal Animals'. Er bittet sie, es zu lesen und ihm zu sagen, was genau diesem Buch noch fehlt. 


In fest und deutlich voneinander getrennten Abschnitten erzählt Autor Austin Wright fortan zwei Geschichten: Die von Susan, welche das Buch liest und zwischendurch über ihr trostloses Leben und die ausweglosen, sozialen Sackgassen, in die sie sich im Laufe der Jahre manövriert hat sinniert, und die des Buches IM Buch. 'Nocturnal Animals' erzählt von Familienvater Tony Hastings, welcher mit Frau und Tochter eines Nachts auf der Autobahn von ein paar Gangstern abgedrängt wird und bald darauf schreckliche Verluste verarbeiten muss...


Das Buch springt sehr geschickt zwischen den beiden Handlungen hin und her, Leserin Susan setzt an den dramaturgischen Höhepunkten ab und reflektiert über das Gelesene mit ganz ähnlichen Gedanken wie wir als eigentliche Zuschauer sie haben. Schnell wird uns und ihr klar: Dies ist nicht nur ein Thriller über einen Mann, der seine Familie verliert und damit zurechtkommen muss, es gibt eine tiefere Bedeutung, vielleicht sogar eine Verbindung zur Realität. Das Buch, das ihr von Susan gewissermaßen im Stich gelassener Ex-Mann geschrieben hat, ist ein Spiegel ihrer beider Leben. Und während Susan als Identifikationsfigur für den Leser die groben Analysen bereits übernimmt, kann man selbst weitere Details und Gedankenspiele anstellen, wo Überschneidungen zwischen den Rückblenden der Realität, als Susan und Edward noch ein Pärchen waren, zu der tragisch-spannenden Geschichte des Tony Hastings stattfinden. 


Der doppelte Boden ist da, er bot die Grundlage für das Filmdrehbuch. Im Gegensatz zu 'Nocturnal Animals' aber ist er im Buch sehr, sehr viel vager, unbedeutender und schwammiger umgesetzt. Während der Film die audiovisuellen Mittel hat, von Anfang bis Ende unheimlich viele Querverbindungen zwischen Realität und Fiktion zu stricken und so ein komplexes Dramakonstrukt zu erschaffen, macht er auch erzählerisch die eigentliche Bedeutung des an Susan Morrow geschickten Scriptes und der darin ablaufenden Geschehnisse klarer. Man kann in 'Tony&Susan' auch seine eigenen Schlüsse ziehen und Muster erkennen, aber der doppelte Boden und dessen Konsequenz wird überhaupt erst so richtig im letzten Teil des Buches relevant - und auch dann nicht im befriedigenden Ausmaß. 

 

Die Verbindung ist für die eigentliche Kernhandlung und den Clou von 'Tony&Susan' wichtig, aber das eher zwischen den Zeilen und in der Gedankenwelt des Lesers. Das emotionale Gewicht und die erschütternde Konsequenz, die Susan Morrows Begreifen im Film nach sich zieht, fehlt im Buch. Das tiefe Schlucken bleibt dem Leser überlassen. Es ist, wenn man so will, nüchterner

 

 

Fragwürdige Motivation

Ohne Wertung muss man wissen, dass der Film 'Nocturnal Animals' auch in seinem Kernplot und großen Clou vom Buch stark abgewichen ist. Ohne große Spoiler kann man sagen, dass die gesamte Geschichte mehr oder weniger von emotionaler Rache erzählt - Rache von Edward Sheffield an Susan Morrow, die ihn in mehr als nur einer Hinsicht im Stich gelassen und fürchterlich gebrochen hat. Daher ergibt im Film alles Sinn und ist auch für den Zuschauer moralisch klar.

 

Im Buch ist das doch recht anders. Auch hier läuft es im Endeffekt wohl darauf hinaus, dass das 'Nocturnal Animals'-Script eine mahnende Rachebotschaft an Susan ist, doch ist die Rechtfertigung für all das gar nicht so klar. In Rückblenden erfahren wir, wie Susan Morrow den idealistischen Edward von ihrem Gehalt alleine lange Zeit durchgefüttert hat, wie sie unter seiner eigenbrödlerischen Art litt und wie er die Ehe letztendlich beendet hat - obwohl sie nicht so recht an seine Autorenkarriere geglaubt hat, fragt man sich als Leser unweigerlich, was genau Susan Morrow ihrem exmann nun eigentlich so fürchterliches angetan hat, und ob man nicht eher auf ihrer Seite ist, weil sie einen undankbaren, arbeitslosen Taugenichts losgeworden ist, der es für selbstverständlich hielt, dass sie alles bezahlt und ihn kompromisslos unterstützt. Natürlich, in der Liebe ist jede Unterstützung Gut und Recht - aber man kommt nicht ohnehin, Susan Morrows Apathie gegenüber ihrem Exmann nachvollziehen zu können.

 

Wie gesagt, im Film ist das komplett anders. Aber auch ohne Filme hätte mich das im Buch gewundert. Der Racheplot ist allenfalls schwach vorhanden. 



Literarischer Facettenreichtum mit Hochgenuss

Filme sind schön und gut - Nocturnal Animals kann filmische Werte wie einen herausragenden Soundtrack oder exzellente Bildsprache bieten, aber ein Buch hat andere Möglichkeiten, zu glänzen. Worte zum Beispiel. Die sollen in einem Buch schon mal vorkommen. Und wenn sie in einem so intelligenten, facettenreichen Schreibstil wie dem von Austin Wright aneinandergekettet werden, kommt man hier auf jeden Fall auf seine Kosten und lernt noch was.

 

'Tony & Susan' ist unglaublich abwechslungsreich und unterhaltsam zu lesen in der Hinsicht, dass das Buch von der ersten bis zur letzten Seite voll ist mit gut durchdachten und interessanten Metaphern, Sinnbildern und Gedankenspielen. Austin Wright lässt keine einzige Seite überflüssig werden, lässt es nicht zu, dass irgendelche Füll-Sätze oder pragmatischen Zusammenfassungen die Sogwirkung seiner Erzählung stören, hier wird einfach jedem Gedanken und jeder Tat eine authentische, komplexe Ummantelung geboten. 

Nein, keine Sorge - das macht das Buch nicht anstrengend, geschwollen oder verworren - nur an sehr wenigen Stellen gegen Ende übertreibt es der Autor vielleicht ein wenig mit seinen Herleitungskonstrukten, so dass man kurz abschweift, aber über weite Strecken ist 'Tony & Susan' einer der besten Kompromisse zwischen 'Spannender Unterhaltungslektüre' und 'Hochwertiger Lernkost' den ich bisher gesehen habe. Lasst mich zwei wahllose Stellen im Buch aufschlagen und zitieren, um Beispiele zu liefern.

 

 

Seite 91:

[…] Was versprachen sie sich davon? Plötzlich, nein, nicht plötzlich, er ahnte es die ganze Zeit schon, aber dennoch war es auch eine neue Erkenntnis, spürte Tony Hastings die Höhlung dort, wo sonst seine Hoffnung wohnte, kalt, nackt, ausgeplündert, bar jeder Zukunft, so als wären ihm die Beamten bei der Suche nach etwas behilflich, das es längst nicht mehr gab. 

 
Seite 356:

[…]Die behütete, abgesicherte Susan lebt am Rand des Desasters, weil alles, was sie kennt, bereits hinter ihr liegt, während die Zukunft ein blinder Fleck ist. In Büchern gibt es keine Zukunft. Sie ersetzen sie durch Gewalt, verwandeln Furcht in Nervenkitzel, so wie in der Achterbahn. Vergiss nie, was passieren könnte, mahnen sie, wenn du, glückliche Susan mit deiner ach so heilen Welt und Familie(so anders als die reale Welt), wie Tony eines Nachts plötzlich dem Bösen begegnen würdest.


Ich hoffe, der Reiz dieser ausgedehnten Gedankengänge kommt herüber, das waren die zwei ersten Seiten, die ich wahllos aufgeschlagen habe. In 'Tony & Susan' werden derartig viele, lebensnahe Beobachtungen und treffsichere Gleichnisse getroffen, dass man sich kaum einen merken kann ehe schon fünf neue auf den Seiten stehen. Eine ganz unauffällige, aber entlarvend-realistische Beobachtung, die ich mir gemerkt habe, war dieser kleine Satz, der mehrmals fällt: 

'Sie hatte keine Lust, ihm zu widersprechen.'

Ja, wie oft haben wir schlichtweg nicht die Lust, jemandem in irgend einem Thema zu widersprechen? 


Noch tiefer geht der Abwechslungsreichtum, dem Austin Wright sich hier bei aller erzählerischer Monotonität hingegeben hat: Im Buch werden viele literarische Regeln gebrochen oder verdreht. Mitunter wechseln - auch innerhalb beider Ebenen - einfach die Zeitformen, verschiedene Charaktere verändern mit ihrer Sprechweise die Formatierung oder den Fluss eines Absatzes, Gedanken werden nicht zu Ende geführt oder wirre Nebensätze eingebaut. Die raffinierte Genauigkeit, mit der dieses organisierte Chaos zu einer extrem-seltenen Varianz im Schreibstil veredelt wird, ließ mich stellenweise Innehalten vor Respekt. So macht Lesen Spaß, so bricht man Regeln richtig. Buchenthusiasten so wie Gelegenheitsleser kommen nicht zuletzt deswegen bei Tony & Susan auf ihre Kosten.



Fazit

 

 

Als Buch bietet 'Tony & Susan' gerade für Freunde des Filmes eine stark erweiterte Version vieler Szenen - Die Autoabdrängung so wie der spannungsgeladene Dialog im Anschluss zu Anfang des Buches etwa ist unangenehmes Nervenkino, eine Tragödie, der man machtlos wie auch Tony Hastings beim Geschehen zusieht. Charaktere die in der Filmumsetzung gar nicht vorkommen spielen eine Rolle, das Buch ist ein komplexer Thriller, der weit weg ist vom effektheischenden Schock-Romans aus der Bahnhofsbuchhandlung. Vor allem für Leser, die ihren Wortschatz und ihren grammatikalischen Horizont gerne erweitern, ist 'Tony & Susan' feine Kost, die den kleinen Mann gleich neben dem anspruchsvollen Doktoranten an den Lesertisch bringt. Auf der anderen Seite ist die letztendliche Pointe der Geschichte lapidar und halbherzig umgesetzt, es fällt schwer, die Aussage des Buches zu unterstützen und ernsthafte Emotionen mit einem der Charaktere - sei es nun im Buch oder im Buch-Buch - aufzubauen. Es ist ein äußerst unangenehmes, unterhaltsames aber auch nüchternes Lese-Erlebnis in die analytische Gedankenwelt eines entfremdeten Pärchens und der Verlustbewältigung.


Für sich stehend ist 'Tony & Susan' damit ein fairer Deal, der wenige Angriffspunkte bietet.

  7 von 10 Misters für Tony & Susan
-> Yoraiko findet dich gut!


 

 

 - Yoraiko

 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Lass mich doch wissen, was du denkst!