Videospiele, oder ganz allgemein mediale Produkte, welche sich über einen sehr langen Zeitraum in der Entwicklung befinden, haben einen gewissen Fatalismus an sich - Die Fallhöhe der Erwartungshaltung mal mehr mal weniger zahlreicher Fans steigt bei solch transparenten Prozessen exponentiell mit jedem weiteren Monat an, schürft Leidenschaft und Vorfreude wie ein sengendes Hexenfeuer.
Nicht erst seit Duke Nukem Forever, Star Wars, Cyberpunk 2077, Last of Us 2, LOST, Suicide Squad, Frozen 2, Kingdom Hearts 3, Pokemon Sword & Shield oder No Man's Sky wissen wir, dass die prestigereichsten Franchises durch eine jahrelange Glanzpropaganda, vollmündige Versprechungen, zahlreiche Vertröstungen oder schlichtweg kackendreiste Lügen zu hochexplosiven Atombomben werden können. Brennende Zugwracks, die unaufhaltbar auf die größtmögliche menschliche Enttäuschung zurasen.
Ausgerechnet aus der deutschen RPG-Maker-Szene, Indiespielschmiede der Leidenschaft, Von Fans für Fans, mehr mit Herz als Kommerz, hat sich 2014 ein weiterer, trauriger Vertreter in diesen Algorythmus der Schändlichkeit gesellt. Das Projekt Sternenkindsaga, das bis zu seinem vorläufig-endgültigen Release mehr als 12 Jahre(!!) von mehr als 20 Leuten(!!) entwickelt wurde, trat an als das unumstritten ambitionierteste Projekt seit Entstehung der deutschsprachigen Makerszene. Viele Jahre lang wurde der Hype darum geschürt, angefeuert, die SKS-Community wuchs stetig weiter und verwandelte sich letztendlich fast schon in einen Kult.
Nun, viele Jahre nach der Veröffentlichung der kostenlosen Vollversion, nehme ich mir die Zeit, um Sternenkind-Saga ausführlich vorzustellen und zu besprechen. Dabei ist das Spiel, wie ich es eben schon angedeutet habe, in meinen Augen das größte Debakel und die konkurrenzloseste Enttäuschung der Makercommunity überhaupt, ein unkohärenter, diffuser Clusterfuck, der einem strengen Zeitlimit und zu hohen Amibitonen zum Opfer gefallen ist.
In diesem Text soll es ausschließlich um das Spiel gehen, seine Elemente, seine Qualitäten und Schwächen. Für den gesamten Kontext des Debakels, eine persönliche Perspektive und das Drumherum könnt ihr euch dieses Video in Besprechungsform ansehen, oder dieses kurze Freisprech-Review, falls ihr eine knackige Zusammenfassung einem langen Text vorzieht - Dann aber frage ich mich, was ihr mit Sternenkindsaga wollt.
Sternenkindsaga mag qualitativ nicht bis zum Ende halten, was es euch verspricht, doch dies betrifft ausschließlich die zweite Hälfte des Spiels. Warum die erste Hälfte dennoch das Beste ist, was ihr vermutlich jemals im nonkommerzielen Pixelsegment sehen werdet, erfahrt ihr in den folgenden Zeilen.
Krieg im Lande Karadon - Ein Welt voll Götter, Wikinger und Wolfsmenschen
Die Basis des Spiels bildet die vollständig vom SKS-Team erdachte Fantasy-Welt rund um das wikingeresque Land Karadon, das im Zeichen seiner acht Gottheiten ein Ort stolzer Krieger und Heldentum ist. Man merkt dieser Pen & Paper-ähnlichen Welt ihre lange Entwicklungszeit mit ihren eigenen Göttern, Religionen, Kulturen und Ländern wirklich an, selbst wenn es hier und da große Parallelen zu Fantasy-Franchises wie Herr der Ringe oder Skyrim gibt, ist die Welt von Sternenkindsaga unheimlich komplex, vielfältig, kreativ und immersiv, so dass die Entwickler ihr Spiel nicht grundlos als 'Ausgedehnten Roman' verstehen - Ein entspannter Abend mit Tee und Kaminfeuer im Hintergrund, so taucht ihr am besten in diese Welt ein.
Die Handlung setzt mit einer dramatischen Rückeroberungsmission ein - Wolfsmenschen, auch Garzesh genannt, haben sich der Insel Bergenthorn nordwestlich von Karadon bemächtigt, so dass das martialische Wikingervolk diese blutrünstige Pest nun mit einer großen Schiffsflotte wieder in die Bedeutungslosigkeit zu kehren gedenkt - Ein Vorhaben, das tragisch scheitert. Fortan werden Rekruten aus dem ganzen Land in die ehrwürdige Drachenhalle zusammengerufen, um eine neue Armee für einen weiteren Angriff zu bilden. Darunter befindet sich auch Haaki Weykenson, der Protagonist, welcher schon von Kindesbeinen an anders war als viele der Jungen in seinem Alter - Denn er ist ein Sternenkind, und alles weitere... liegt bei Euch, dem Spieler.
Die Geschichte ist gerade am Anfang sehr spannend, kann einen aber auch leicht überfordern, da man ersteinmal in diese gigantische Welt voll Fachbegriffen, eigenen Göttern, Sternzeichen und Fantasywesen hineinfinden muss. Hat man das geschafft, will man kaum noch wieder weg, zumindest wenn man des Lesens nicht müde wird - Sternenkindsaga polarisiert vor allem darin, dass es ein Textmonster ist, das textlastigste Makerspiel das existiert, und sind die Texte auch allesamt auf hohem Romanniveau muss man dafür in der Stimmung sein. Jeder kleine Gegenstand und jeder noch so unscheinbare NPC bekommen einen liebevollen Dialog der uns etwas über die Charaktere oder die Welt erzählt, nichts ist austauschbar. Während die Handlung in den ersten Stunden eher der rote Faden ist, der einen durch diese immense Welt führt, nimmt sie gegen Ende der ersten Spielhälfte gewaltig Fahrt auf und bleibt erzählerisch nicht weit hinter kommerzielen Rollenspielen wie Witcher 3 oder Skyrim zurück.
In der zweiten Hälfte dann geht es fast nur noch um die im Kern des Plots stehenden, mysteriösen Garzesh, die Geheimnisse dieser Welt und die dunklen Schatten Karadons, etwas das spannender klingt als es tatsächlich ist, denn in der zweiten Hälfte fällt vor allem die Geschichte in ihre morschen Einzelteile zusammen und offenbart rauchende Ruinen, doch dazu unten mehr.
Ganz allgemein lässt sich sagen, dass Sternenkindsaga's Welt auch auf kommerzieler und nicht-videospielerischer Ebene mit zu dem Komplexesten, Liebevollsten und Atmosphärischsten gehört, was ich je gesehen habe. Diese Welt ist ein Paradies für Abenteurer, mehr als irgendein anderer Ort in einem Videospiel.
Die Charaktere - Helden, Götter und Narren
Neben Haaki Weykenson, auf den ich aufgrund seiner betonten Formbarkeit durch den Spieler weiter unten noch eingehe, besteht eure vierköpfige Heldentruppe aus auf den ersten Blick eher unscheinbaren Genrevertretern: Der bullig-waffenerfahrene, einfach gestrickte aber herzensgute Hühne Gorath, die burschikose, kampfeslustige Amazone und Kindheitsfreundin Svenja, und der verschlossen-kultivierte, gebildete Veteran Arson. Es ist ein Quartet, das ihr von der groben Beschreibung sicherlich in jedem zweiten Fantasy-Roman in der Bahnhofsbuchhandlung findet, doch das Geheimnis liegt hier wie bei vielen Aspekten von SKS in der Erzählung. Durch die vielen tausend Dialoge und Interaktionen, die dutzenden Stunden an immersiver Spielzeit die ihr zusammen verbringt, die ausgearbeiteten Persönlichkeiten, Ängste, Hintergründe und Träume dieser Truppe ist es einem schon sehr bald fast unmöglich, sie nicht ins Herz zu schließen oder zumindest auf einem Niveau mit Charakteren aus AAA-Produktionen a lá Game of Thrones zu respektieren.
Vervollständigt werden die Helden durch eine breitgefächerte Riege ebenfalls exzellent-geschriebener Nebencharaktere, etwa die anderen Rekruten, der ikonisch-martialische Ausbildungswarlord Kaylar, zahlreiche wichtige Persönlichkeiten der Drachenhalle oder letztendlich auch die ominösen Garzesh. Es gibt kaum ein Spiel in dem ihr so viele so grundsätzlich verschiedene und variantenreiche Charaktere trefft wie in Sternenkindsaga. Hier wird keine Welt simuliert, das IST eine eigene Welt.
Die acht originalen Götter der Wikinger, zum Beispiel Rachegöttin Tanis, Zeitengott Aion oder Kriegergöttin Tura - bilden zusammen mit vielen weiteren Details der karadonischen Religion eine stimmige Basis für dieses fiktionale Volk und seine zahlreichen Personengruppen. Außerdem stehen sie Pate für einige der wichtigsten Features im Spiel.
Das Gameplay: Zurücklehnen und Genießen
In Sternenkindsaga habt ihr vor allem eines zu tun: Lesen, Lesen und nochmals Lesen. Das ist so fundamental mit allem und jedem in dieser Welt verwoben, das ich es gleich nochmal sage: Ihr müsst es lieben, zu lesen. Wirklich alles in Karadon überschwemmt euch mit langenwierigen und ausgedehnten Texten. Selbst ich, der ich mit einem Schinkenroman in der Hand zur Welt gekommen bin, musste dann und wann bei dem literarischen Erguss eines geheimnisvollen Mehlsacks im Rekrutenkeller und der mehrseitigen Beschreibung eines Abortbesuches mal Stöhnen, aber die fantastische Immersion und die romanartige Erzählstruktur brachte mich immer gleich zurück. Versteht SKS als Roman, dann seid ihr auf der sicheren Seite.
Abgesehen davon hängt das Gameplay sehr zentral von euren Sternzeichen und Talenten ab, auf die ich gleich in Features eingehe. Ihr erkundet die gigantische Drachenhalle, die saftigen Wälder Karadons, verlassene Leuchttürme und schließlich das lebensfeindliche Wolfsnest Bergenthorn, findet unzählige Schätze und versteckte Orte, entdeckt Geschichten längst vergangener Tage, macht Ausflüge in das Mystery,-, Horror-, oder Romantikgenre und kämpft euch dabei durch allerhand Abschaum niederer Geburt wie etwa Goblins, Diebe, Untote, Harpyen oder eben Wolfsmenschen.
In der Interaktion mit den vielen NPCs könnt ihr euch auf verschiedenem Wege holen was ihr benötigt, seid ihr ein Haudrauf der einfach alles umnietet oder umwerbt ihr euren Gegenüber geschickt mit Worten? Die erste Hälfte von Sternenkind-Saga legt euch beim Erkunden nur wenige Steine in den Weg, lässt aber dennoch keine spannenden und gut erzählten Missionen vermissen. Schließlich steuert alles auf den inhaltlichen und lang-erwarteten Climax hin und ihr seid Teil einer weiteren Rückeroberungsinvasion der Garzeshinsel Bergenthorn, welche das Ende der ersten Hälfte einleutet.
Dann, in der zweiten Hälfte, ist die Welt deutlich leerer und lebloser, und ihr begebt euch nur noch von einem Zielpukt zum Nächsten.
Die Features: Choose your own Adventure
Neben der Geschichte und den Dialogen lebt Sternenkindsaga vore allem von seiner schier endlosen Fülle vielversprechender Features, die nicht nur fast allesamt deutlich virtuoser umgesetzt werden als in den meisten (Kommerzielen) Spielen, einige davon gab es in dieser Form vorher auch schlichtweg nicht. Da ist zuallererst das Sternzeichen, unter dem Protagonist Haaki geboren wird: IHR bestimmt die Natur des Helden. Ist er ein verschlagener Dieb, der in allem und jedem zunächst seinen eigenen Profit sieht, ein zartbesaiteter Heiler, der das Wohl der anderen über sein eigenes stellt oder doch ein leidenschaftlicher Dichter, der sich mit seiner Poesie einen Weg in jedes Frauenherz zu erschreiben versucht? Diese Varianz ist NICHT oberflächlich wie wir es aus klassischen RPGs kennen, es bestimmt buchstäblich Haakis ganze Natur und seine meisten Dialoge, was alleine schon den Wiederspielwert immens erhöht. Dann gibt es da die Götter, deren Karma neben Gold die wichtigste Währung im Spiel ist - Ihre Gunst erlaubt oder verwährt euch verschiedene Wunder, Schätze und Fähigkeiten, tut ihr etwas Ehrenhaftes steigt ihr in der Gunst des Einen, ermordet ihr einen Feind im Kampf sinkt ihr in der Gunst des Anderen. Dieses System erwächst vor allem in der ersten Hälfte zu voller Blüte, da ihr immer im Hinterkopf habt, wie eure Taten euren Stand bei den Göttern beeiflussen. Die Wahl eurer Schutzgottheit hat einen eher geringen Einfluss, doch dazu später mehr.
Das Talentsystem steht für eure Möglichkeiten der Erkundung dieser Welt - Alles in eurer Umgebung wird von euren Talenten beeiflusst und inwieweit ihr diese besitzt. Könnt ihr nicht schwimmen, bleiben Gebiete hinter Flüssen euch verborgen, habt ihr keine geschärften Sinne verpasst ihr viele Geheimnisse, könnt ihr keine Schlösser knacken bleibt die Tür wohl zu, könnt ihr nicht Flirten, gilt das auch für die Hose jeder Frau. Es gibt so viele Talente und so komplexe Auswirkungen, dass es schier unmöglich ist, alles was die Welt zu bieten hat in einem Durchlauf zu entdecken - Etwas, das den Spielverlauf noch individueller gestaltet und zum Wiederspielen motiviert.
Später könnt ihr - Gemessen an eurem Sternzeichen - noch eine eigene Stadt(!!) aufbauen und diese gleich einem Age of Empires individuell mit den Gebäuden eurer Wahl bestücken. Ähnlich einem Fußball-Manager könnt ihr eine sogenannte Orkball-Mannschaft aufstellen und an einem Turnier teilnehmen, Ihr seid in der Lage Tränke zu brauen, eigene Ausrüstung zu erschmieden, dürft unzählige Minispiele wie etwa das Abschießen eines Katapults absolvieren und dabei viele, in mühevoller Kleinstarbeit gezeichnete Artworks bewundern, welche die Zeichner des SKS-Teams beigesteuert haben.
Auch etwas, das ihr innerhalb der Makerszene nur bei Sternenkindsaga - Und darüber hinaus in dieser Qualität nur selten - findet, sind die romantischen Beziehungen. Es gibt verschiedene weibliche Charaktere im Spiel, mit denen Haaki eine Beziehung aufbauen und pflegen kann. Das richtet sich grundsätzlich nach dem von euch gewählten Sternzeichen, doch das letzte Wort habt ihr. Diese Beziehungen halten zahlreiche exklusive Szenen, viele ernsthaft-gute Romantik und spätere Beeinflussungen des Spielverlaufs bereit. Und vergesst nicht - Der Wiederspielwert. Sobald ihr mit dem Schlagen roserner Kriege fertig seid, könnt ihr euch wieder auf richtige Schlachtfelder begeben.
Das Kampfsystem - Besser als Standard.
Lange Zeit über hielt Sternenkindsaga das textbasierte Standardkampfsystem des RPG Makers bereit, das nichts besonderes war, aber auch niemanden störte. Mit der Vollversion wich dies einem Sideview-Strategiekampfsystem aus eigener Feder, das eine deutliche Verbesserung darstellt. Mit eigenen Kampfpunkten könnt ihr Fähigkeiten freischalten und diese dann mit euren vier Recken individuell einsetzen. Drei verschiedene Schwierigkeitsgrade so wie das Karma der Götter und euer Talentsystem sorgen dafür, dass ihr euch das Kampfgeschehen so zusammensetzen könnt, wie ihr es am liebsten habt - Entspannt und zurückgelehnt um nicht eure Immersion zu stören oder schwer und fordernd wie in einem klassichen Pen & Paper. Dann und wann macht das Balancing mal einen unfairen Schwenk nach oben, aber alles in allem reiht auch dieser Aspekt sich formschön in die Ruhmeshalle Karadons ein.
Viel mehr gibt es zum Kampfsystem nicht zu sagen, da ihr es nach wenigen Spielstunden vollständig durchschaut habt und es insgesamt recht unspektakulär ausfällt - Es ist solide.
Zwischenfazit:
DAS GUTE - Die erste Spielhälfte
So weit, so gut. In der ersten Spielhälfte - Also für zehn bis zwanzig Stunden, länger als manch kommerzielles Rollenspiel geht - ist Sternenkindsaga für Lesefreunde das polierteste und liebevollste Makerspiel, das je veröffentlicht wurde. Die Atmosphäre und Detailverliebtheit Karadons ist ohnesgleichen, die Umgebung ist der wahrgewordene Traum eines jeden erkundungsfreudigen Spielers, das Gameplay ist in vielen Punkten individualisierbar und auch die Optik ist - trotz der ausbleibenden, ständigen Oppulenz eines Crosscode oder Vampire Chronicles 3 - in ihrem Mittelaltergenre zumindest im Pixelsegment unangefochten magnifizient und glänzt mit unzähligen Animationen, lebendigen und vielschichtigen Umgebungen und variantenreichen Gebieten. Der Soundtrack ist komplett in MP3 gehalten und setzt sich aus melodisch-folglorischen Klängen so wie antreibenden Kriegsmelodien zusammen - Einwandfrei bis ins letzte Detail. Die Charaktere und die Geschichte fesseln uns wie ein hervorragendes Buch und binden uns auch emotional ans Spiel. Sternenkindsaga stellt sich als eine Reise heraus, die wir nie beenden möchten.
Und dann beginnt die zweite Hälfte.
Der Absturz - Akt 2
Wie im Vorwort erwähnt werde ich den ganzen Kontext des Entwicklungsprozesses hier außen vor lassen - Dafür gibt es das verlinkte Video. Konzentrieren wir uns also auf die notwendigen Fakten.
Sternenkindsagas zweite Hälfte kann man auch den Vollversion-Content nennen, also jener Inhalt, der erst mit der finalen Veröffentlichung hinzu kam. Ganz allgemein gesprochen merkt man jeder Minute dieses Contents an, dass er unter Zeitdruck und nachlassender Motivation litt, stellenweise auch ganz offen unter mangelnder Sorgfalt. Dieser Schnitt verläuft interessanterweise exakt gerade - Bis zur Rückeroberungsmission Bergenthorns ist Sternenkindsaga eine qualitative 98 %-Medaille. Zehn Minuten später stürzt es auf 66 % ab und landet am Ende irgendwo bei 32 %. Keine Stelle der zweiten Spielhälfte ist qualitativ besser als eine beliebige Stelle der ersten Hälfte. Bis zum Ende hin wird alles, das ihr bis dato an SKS geschätzt habt weniger, leerer, lebloser, enttäuschender.
So sind es die großen Schlachten und Kämpfe auf Bergenthorn, die euch lange in Aussicht gestellt und hochdramatisiert werden, die ihr als Einzige dann letztendlich ganz oder teilweise verpasst, weil ihr geschlafen habt. So sind es die über dreißig, vierzig, fünfzig Stunden aufgebauten Plotstränge, Hintergrundgeschichten und Antagonisten, die in den letzten Stunden außeinanderfallen, vergessen werden oder ein Game of Thrones-Treatment bekommen.
Karadon kind of forgot about the Garzesh.
So ist es eure eigene Stadt Sanasheym, welche trotz dem immensen Aufbauprozess letztendlich nicht mehr ist als eine Ansammlung unbetretbarer Pappaufsteller, welche euch bedeutungslose Bonuspunkte einbringen - Talentpunkte, die ihr nicht mehr braucht, weil man spätestens in Bergenthorn alle Talente vollgeskillt hat, Karmapunkte die ihr nicht mehr braucht weil alles was die Götter euch bringen Fähigkeiten sind die ihr längst habt, Kampfpunkte die ihr nicht braucht weil ihr alle Angriffe längst beherrscht, Gold, für das ihr keinen Nutzen habt, weil es nichts Sinnvolles mehr zu Kaufen gibt. Diese Unfertigkeit erreicht geradezu groteske Ausmaße, als ihr feststellt, dass ihr euren eigenen, riesigen Dorftempel nicht betreten könnt. Die Umgebungen und Gebiete werden einsilbiger, wenig Verstecktes und Optionales wartet auf euch, von überall schreit euch die Intention an, euch endlich zum Ende eurer Reise zu bringen.
Das vorher noch so makellos und durchdacht wirkende Storykonstrukt offenbart mehr und mehr Logikfehler, wichtige Nebencharaktere tauchen nie wieder auf, euer Love Interest der in der ersten Hälfte noch so wichtig war vergammelt vor sich hin, spannende Nebenquests werden nie wieder erwähnt, Versprechungen die euch von Anfang des Spiels an gemacht wurden werden nicht eingehalten, epische Szenenaufbauten enden in einem sprichwörtlichen und buchstäblichen Wolfsfurz.
Systeme wie die Wahl eurer Schutzgottheit offenbaren ihre Obsolenz und man fühlt sich unangenehm an Spiele wie die von Telltale erinnert in der Art und Weise, wie man euch Bedeutung vorgaukelt - Die Funktion der Schutzgottheit etwa ist es nur, euch bestimmte Wunder zu verbieten. Das Karmasystem dient einzig und allein zum Erwerb müder Mätzchen, keine Storyeinbindungen, keine späteren Geheimnisse.
Wichtige und liebgewonnene Charaktere werden in Nebensätzen und Miniszenen wegrationalisiert, um euch auf Teufel komm raus eine wenig-effektive 'Krieg isterbarmunslos!'-Message einzuhämmern. Animationen und Szenensorgfalt nimmt ab, Dialoge und Ereignisse werden unglaubwürdiger.
All das gipfelt dann schlussendlich in einem konsequenten Episode 8-Pendant, dem stimmungsarmen, spannungslosen und stellenweise parodisch-peinlichen Finale. Um mich von 2015 selbst zu zitieren: (Leichte Spoiler)
So
unfassbar geil das treibende Theme gerade ist (Himmel…!) - Sehen wir
irgendetwas von der Schlacht? Hören wir Kriegsgeräusche? Herrscht
abgesehen von der Musik in irgendeiner Form Kriegs/Final-Atmosphäre,
etwa durch ein paar Effekte, TintScreen oder so? Habe ich gerade das
Gefühl, dass die Scheiße unbeschreiblich am dampfen ist und von mir das
Schicksal Karadons in GENAU DIESEM MOMENT abhängt? All diese Fragen sind
zu beantworten mit einem Wort: Nein.
Da findet eine gigantische Schlacht statt. Also,
irgendwo da, wo ich absolut nichts davon mitbekomme.
Viele Makerspiele haben ein Problem damit, ein stimmiges und konsequentes Finale zu inszenieren. Sternenkindsaga hat es nicht einmal probiert, führt euch wie schon zuvor geschickt an jeder Schlacht und jeder Auftakt-Stimmung vorbei zu einem staubtrockenem und spotteinfachen Storyclimax, der wirklich alles perfekt illustriert, was in der zweiten Hälfte dieses ehrwürdigen Projekts schief gelaufen ist. Selbst das Finale von uralten Makerspielen wie Vampires Dawn, Unterwegs in Düsterburg, Mondschein, Feuer um Mitternacht, Licht und Finsternis und alles was euch sonst nocht einfällt lässt die letzte Stunde der Saga weit, weit hinter sich.
Auch zum Ende hin erlebt ihr allen voran vergeudetes Potential - Aber das würde zu sehr Spoilern, also sagen wir einfach, das ein befriedigender Abschluss eurer langen Reise in jeder Hinsicht ausbleibt.
Man könnte an dieser Stelle noch stundenlang fortführen, welche Verfehlungen, Kompromisse und Enttäuschungen euch in der zweiten Hälfte von Sternenkindsaga erwarten, aber vielleicht erlebt ihr die bei entsprechendem Interesse einfach selbst - Wahrer Frust fühlt sich besser an als fremder Frust.
Fazit - Bipolarer Fantasy-Roman
Sternenkindsaga ist für lesefreudige Spieler das beste deutsche Makerspiel, das jemals veröffentlicht werden wird - In der ersten Hälfte. Seine zweite Hälfte dann ist in besseren Momenten durchschnittlich, meistens aber weit darunter. Das wäre in Ordnung, wenn nicht vorher über viele Stunden eine Qualität und Erwartungshaltung aufgebaut worden wäre, die letztendlich zu keinem Zeitpunkt eingehalten werden kann und den ausdauernden Spieler enttäuscht, ernüchtert, irritiert zurücklässt. Fast schon unverschämte Züge nehmen einige lose Enden und unfertige Elemente der zweiten Hälfte an, und Sternenkindsaga ist insgesamt ein Trainwreck, das man auf kommerzieler Ebene in seinem jetzigen Zustand mit einem epischen Shitstorm überzogen hätte, weil es ein unfertiges Produkt ist, welches das SKS-Team wissentlich zu früh veröffentlicht hat. Nun ist das Spiel aber kostenlos, ein Hobbyprojekt, so dass man es nicht zu harsch kritisieren sollte, richtig? Falsch, denn es wirbt darum, eure Zeit, Leidenschaft und Fantasie in sich zu versenken, so dass Kritik ebenso zulässig ist wie Lob. Das Spiel ist ein diamantenverzierter, goldener Krug, dessen obere Hälfte der Füllung köstlich und verzückend ist, während die untere Hälfte aus ausgedörrten, bitteren Bohnen besteht, deren Nachgeschmack sich kaum wieder ausspülen lässt.
Versteht ihr Sternenkindsaga als zweigeteilte Pixel-RPG-Erfahrung, lässt sich das Projekt dennoch in aller Ausdrücklichkeit empfehlen - Ihr findet in keiner Sprache etwas wirklich Besseres, das sich mit diesem Spiel vergleichen lässt. Doch seid gefasst darauf, dass nicht einmal Sternenkindsaga bis zum Ende so gut sein konnte wie Sternenkindsaga.
Seit 2018 gibt das Team um Daen vom Clan zudem an, an der sogenannten Kriegsherren-Edition zu arbeiten - Also an einer Überarbeiteten Version, welche viele der Versäumnisse ausbessern und das zahlreiche Spielerfeedback umsetzen soll. Ob und wann diese Kriegsherrenedition erscheint, kann nur Zeitengott Aion sagen, aber wenn die Geschichte namhafter medialer Projekte uns eines gelehrt hat dann dass, dass man sich besser Zeit lässt mit den Geschichten, die man auf seine Fans loslässt - Sein es nun Filme, Spiele oder Romane - Oder alles in einem.
Weiterführende Links:
- > Sternenkindsaga-Feature in der Staubstube
- > Das Sternenkindsaga-Forum im RPG Atelier
- > Mein damaliger, 124 Seiten-starker Text-Walkthrough, der eher schlecht als recht gealtert ist
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